Aus Politische Berichte Nr. 8-9/2018, S.16 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

thema Pflegenotstand

01 Volksbegehren Bayern - Vorbemerkung

02 dok GEMEINSAM STOPPEN WIR DEN PFLEGENOTSTAND! – Begründung des Gesetzesentwurfs

03 Uniklinik Essen: 96,9 % für Erzwingungsstreik

04 dok: Unikliniken: Arbeitgeber verweigern Entlastung

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Martin Fochler, München. Bei Volksbegehren geht es in Bayern um Volksgesetzgebung. Zur Abstimmung muss ein Text vorgelegt werden, der im Wortlaut Gesetz werden kann.

Konkrete Eingriffe in die Planungshoheit und den Betriebsablauf öffentlicher Einrichtungen gesetzlich zu definieren, ist schwierig. Jüngst erst scheiterte das breit unterstützte Begehren gegen Flächenfraß u. Betonflut, weil das Gesetzes die kommunale Selbstverwaltung eingeschränkt hätte. Der von den Unterschreibenden zu unterzeichnende Gesetzestext, in Sachen Pflegenotstand wäre, so wie er auf den Eintragungslisten steht, vom Umfang in dieser Zeitschrift drei bis vier Seiten lang. Das könnte ein Problem werden.

Wie geht es weiter?

Die Formalitäten: 1. Unterschriftensammlung: Die Initiative muss für ihren „Antrag auf Volksbegehren Unterschriften von mindestens 25 000 Wahlberechtigten beibringen. 2. Prüfung der Zulässigkeit: 2a. Verweigert das Innenministerium die Zulassung, ist 2b. Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof möglich. Wird die Zulassung erreicht, müssen 3. binnen vierzehn Tagen mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten sich in amtlichen Eintragungsräumen in die Unterstützungslisten eintragen. Wird dieses Quorum erreicht, wird 4. der Antrag nochmals dem Landtag vorgelegt. Findet er dort keine Mehrheit, kommt es 5. zum Volksentscheid.

Stimmen mindesten 25% der Wahlberechtigten mit „Ja“, ist der Text Gesetz.

Abb.(nur im PDF): Faksimile, Kurzinfo und Die Beauftragten des Volksbegehrens.

Unsere Dokumentation basiert auf https://stoppt-pflegenotstand.de/

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dok GEMEINSAM STOPPEN WIR DEN PFLEGENOTSTAND!

Begründung des Gesetzesentwurfs:

Jeder Mensch kann plötzlich auf eine Behandlung und Pflege in einem Krankenhaus angewiesen sein. Voraussetzung einer guten Qualität bei der Versorgung sind eine bedarfsgerechte Krankenhausplanung, ausreichende Investitionen für Krankenhäuser und genügend gut ausgebildete und motivierte Fachleute in allen Gesundheitsberufen.

In den bayerischen Krankenhäusern herrscht wie im Rest der Bundesrepublik Personalmangel, besonders in der Pflege und besonders in den Ballungsräumen. Im Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Pflegepersonals gibt das Bundesgesundheitsministerium zu: „Die Arbeit hat sich für viele Beschäftigte in der Alten- und Krankenpflege in den letzten Jahren sehr verdichtet.“

Die Krankenhausfinanzierung über sogenannte Fallpauschalen hat dazu geführt, dass immer mehr Behandlungen durchgeführt werden. Gleichzeitig zwingen der politisch gewollte Konkurrenzkampf, das Gewinnstreben privater Unternehmen und die gesetzwidrige Weigerung des Freistaates Bayern, die Investitionskosten vollständig zu tragen, praktisch alle Krankenhäuser dazu, Kosten zu senken. Meistens geschieht das in Form von Personaleinsparungen und Arbeitsverdichtung.

Unter diesem permanenten Druck und der zunehmenden Gewissheit, den Patientinnen und Patienten nicht mehr gerecht werden zu können, haben in den letzten Jahren viele Pflegefachpersonen für sich selbst die Notbremse gezogen. Sie haben auf Teilzeit reduziert oder das Krankenhaus ganz verlassen. Deutschland belegt in Vergleichen mit anderen Industrieländern schon seit vielen Jahren einen der hinteren Ränge: So werden Patientinnen und Patienten in Japan, aber auch im Nachbarland Dänemark, von mehr als doppelt so vielen Pflegefachpersonen versorgt. Auch der Freistaat Bayern hat dieser Entwicklung bislang tatenlos zugesehen. – Ungenügende Pflege ist unanständig, sie missachtet die Würde von Patientinnen und Patienten ebenso wie von gehetzten und frustrierten Pflegefachpersonen. Sie fügt Patientinnen und Patienten vermeidbare Gesundheitsschäden zu. Große internationale Studien haben erwiesen: Bei besserer Personalbesetzung in der Pflege entstehen weniger Komplikationen, die Sterblichkeit sinkt.

Bisher gibt es keine gesetzlichen Personalvorgaben, um die Qualität der Patientinnen- und Patientenversorgung im Krankenhaus konkret zu verbessern – weder auf Landes-noch auf Bundesebene. Das muss geändert werden!

Seit 2016 dürfen Qualitätsanforderungen zur Krankenhausplanung auch auf Landesebene festgelegt werden (§ 6 Abs. 1a KHG). Ziel ist eine verbindliche Pflege-Personalbemessung, die für alle Stationen und Funktionsbereiche und für alle Patientinnen und Patienten gilt. Dieses Gesetz soll die Voraussetzungen für mehr Menschlichkeit und Zuwendung in den Krankenhäusern schaffen. Außerdem soll es Krankenhausinfektionen und die Verbreitung von multiresistenten Erregern in unseren Krankenhäusern vermeiden.

Nach allem was bisher bekannt ist, sind von der Festlegung von Personaluntergrenzen allenfalls minimale Verbesserungen in einzelnen Bereichen der unterbesetztesten Krankenhäuser zu erwarten. Der aktuelle Bundesgesetzentwurf zur Stärkung des Pflegepersonals soll absehbar zusätzliche Stellen in der Pflege schaffen. Jedoch schreibt das hier vorliegende Gesetz eine stationsbezogene Personalbemessung vor. Maßgeblich sollen die pflegerischen Bedürfnisse einer jeden Patientin und eines jeden Patienten sein!

Das durch das Volksbegehren herbeizuführende Gesetz wird die personellen Voraussetzungen für eine gute Pflege in Bayerns Krankenhäusern schaffen. Dazu werden bedarfsgerechte Personalschlüssel für alle Stationen und Funktionsbereiche gesetzlich festgelegt, auch für Hygiene und Reinigung. Zudem wird Transparenz geschaffen, ob die Regelungen umgesetzt werden. Für den Fall, dass die Qualitätsziele nicht eingehalten werden, sind Konsequenzen festgelegt.

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Uniklinik Essen: 96,9 % für Erzwingungsstreik

Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

Pflegefachkräfte an den beiden Unikliniken Essen und Düsseldorf streiken für mehr Personal und die Reduzierung der Arbeitsbelastung (s. PB 7/18). Jetzt sind auch nach der Düsseldorfer Belegschaft die Pflegekräfte in Essen in einen unbefristeten Streik getreten. 96,9 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder stimmten bei einer hohen Beteiligung für den Erzwingungsstreik. Unterstützung kommt auch aus der Gesellschaft. Am vorletzten Donnerstag demonstrierten in Essen ca. 500 Menschen ihre Solidarität, auch in Düsseldorf solidarisierten sich am letzten Montag rund 200 Patienten und weitere Unterstützer mit den Streikenden. Die Situation spitzt sich derweil zu. Am Dienstag sind Verhandlungen zwischen den Tarifparteien gescheitert. Wir dokumentieren im Folgenden aus der aktuellen Erklärung von verdi vom 15. August.

Abb.(nur im PDF): Zeichnung: Mehr von uns ist besser für alle

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dok: Unikliniken: Arbeitgeber verweigern Entlastung

Die Ankündigung der Unikliniken Düsseldorf und Essen, mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) keine Vereinbarung über Entlastungsmaßnahmen für Pflegekräfte an den beiden Unikliniken mit Verdi vereinbaren zu wollen, stößt auf große Kritik. Verdi-Bundesvorstandsmitglied Wolfgang Pieper: „Nach anfänglicher Hoffnung auf Entlastung für die Beschäftigten der Kliniken, wird diese nun von den Klinikvorständen verweigert: Die Arbeitgeberseite ist nicht bereit, eine nachhaltige Entlastung der Pflegerinnen und Pfleger mit uns zu vereinbaren und sie wollen auch keine Vereinbarung mit Verdi.“

Bei den Gesprächen zwischen den beiden Uniklinikleitungen und Verdi mit der TdL ging es in den letzten Tagen insbesondere um Sofortmaßnahmen, um nachhaltige Entlastungsmaßnahmen, um die Vereinbarung von Personalbedarfsermittlungsverfahren sowie ein Ausfallmanagement, wenn Pflegepersonal fehlt. Noch am Freitag waren 100 zusätzliche Pflegekräfte in drei Schritten von den Arbeitgebern angekündigt worden, was Verdi begrüßt hatte. Weitere Gespräche waren vereinbart, doch am 14. August kam es dann für Verdi überraschend nicht mehr dazu. Die Arbeitgeber hätten plötzlich eine Vereinbarung mit Verdi über eine Entlastung der Beschäftigten abgelehnt, so Wolfgang Pieper.

Die Hoffnung und die Geduld der Beschäftigten, aber auch der Patientinnen und Patienten, sind dadurch auf eine harte Probe gestellt. Denn die Arbeitgeber haben damit den bestehenden Konflikt verstärkt … „Wir halten den Druck auf die Arbeitgeber daher aufrecht und werden unter diesen Umständen die unbefristeten Streiks fortsetzen“, sagte Pieper. Obendrein würden die Arbeitgeber mit ihrer Entscheidung auch auf die Refinanzierung zusätzlicher Personalkosten durch die Krankenkassen verzichten. Beide Uniklinikvorstände sowie die Tarifgemeinschaft deutscher Länder seien den Nachweis schuldig geblieben, dass sie Entlastung wirklich nachhaltig schaffen wollen, so Pieper.

https://www.verdi.de/themen/nachrichten

Abb.(nur im PDF): Foto. Profit stimmt - Patien tot.: