Aus Politische Berichte Nr. 10/2018, S.16 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

dok: Rechte Provokationen --- Demokratische Antworten – Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

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01 Lektürebericht: „Sozial ohne rot zu werden“ – Astrid Frenzel, Dreieich.

Redaktionsnotizen

02 „Patriotische Plattform“ steht vor der Auflösung.

03 CDU schließt CDU-AfD-Koalition in Sachsen nicht aus.

04 Jüdische Bundesvereinigung innerhalb der AfD soll gegründet werden.

05 Keine Steuergelder für die Desiderius-Erasmus-Stiftung!

06 Die Causa Maaßen ist ein Alarmzeichen.

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01

Lektürebericht: „Sozial ohne rot zu werden“

Astrid Frenzel, Dreieich

Arbeitswelt ist geprägt von Globalisierung und Abstiegsängsten

Wie oft habe ich in den letzten Jahren vehement gegen die Verlagerung von immer mehr Arbeitsplätzen meiner Kollegen in Deutschland nach Polen, Tschechien, Ungarn oder auch nach Indien oder China gekämpft? Als Gewerkschafter*in und Betriebsrät*in ist es bitter, diesen Prozess nicht wirklich aufhalten zu können und letztlich ratlos dazustehen. In Konkurrenz mit diesen anderen Standorten, in Konkurrenz mit diesen anderen Kolleg*innen zählen nur Zahlen: Standortfaktoren (wie billigere Mieten, geringere Steuern, Förderungen), Gehälter (da sind unsere ausländischen Kollegen immer noch billiger) und ggf. zu unseren Gunsten Arbeitsproduktivität und Qualität. Sicher scheinen nur noch Arbeitsplätze zu sein, die Kunden vor Ort hier in Deutschland bedienen und auch einen Vor-Ort-Einsatz bedingen. Und auch hier gibt es die Konkurrenz über Werksverträge oder Leiharbeit.

Gemeinsam mit meinen Kolleg*innen habe ich die Entsolidarisierung durch Ausgründung von vielen kleinen Tochterfirmen, jeweils verbunden mit dem Ausstieg aus dem Tarifvertrag, die Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden (obwohl die IG Metall in den 90er Jahren auf dem Weg zur 35-Stunden-Woche war), den Abbau von freiwilligen, betrieblichen Sozialleistungen und vieles andere mehr vergeblich bekämpft.

So kommt es, wie die Hans-Böckler-Stiftung in einer Studie zusammenfasst, dass Abstiegsängste sehr wohl auch Personen beträfe, „die nicht unmittelbar vom sozialen Abstieg bedroht sind.“ „Es scheint somit nicht nur um konkrete Erfahrungen sozialer Ausgrenzung und sozialen Abstiegs zu gehen, sondern vielmehr um die Angst davor. Diese Angst speist sich aus konkreten Erfahrungen, insbesondre im Arbeitskontext. Dieses diffuse Gefühl der Verunsicherung macht sich die AfD zunutze.“

Gewerkschaftliche Politik

Ja, und gleichzeitig hat meine Gewerkschaft, die IG Metall, auch jahrelang all diese Entwicklungen mitgetragen, angefangen vom „Bündnis für Arbeit“ über Hartz IV, die Riesterrente als kapitalorientierte „Alternative“, um das Problem der Kürzung der staatlichen Rente zu privatisieren.

Daher ist für mich die Frage von Stefan Dietl in seinem Buch „Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und völkischem Antikapitalismus“ nach der gewerkschaftlichen Rolle beim Aufstieg der AfD durchaus berechtigt. Also letztlich – welche Rolle spielen die sozialen Ängste der Menschen, die durch die Globalisierung verursacht werden und die Unfähigkeit unserer Politik und Gesellschaft, darauf im Interesse der Menschen zu reagieren? Dabei hat eben auch die Gewerkschaft versagt.

Die AfD als „Partei der sozial Schwachen“?

Die AfD präsentiert sich gern als „Partei der sozial Schwachen“. „Sozial ohne rot zu werden“ stand z.B. auf einem Plakat der AfD zum 1. Mai 2018. Die Partei wendet sich damit ganz bewusst an das Klientel der Gewerkschaften und hat damit auch durchaus Erfolg.

Stefan Dietl geht in seinem Buch genau dieser Frage nach, warum die AfD mit dieser Selbstdarstellung durchaus überzeugt und warum überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder diese rassistische Partei wählen. Obwohl sich die Gewerkschaften selbst intensiv an Bündnissen gegen Rechts beteiligen und immer wieder zu null Toleranz gegen Rassismus aufrufen.

Er untersucht, welche Rolle die soziale Frage in der AfD tatsächlich spielt und wie sozial ihre Politik ist, vor allem anhand des Grundsatzprogramms und der vorherrschenden Debatten zwischen den verschiedenen Flügeln der Partei. Aber auch anhand von ganz konkreter Politik der AfD in den Parlamenten, in denen sie bereits agiert. Dabei analysiert er zunächst, woher sich die AfD und ihre Hauptströmungen eigentlich rekrutieren, aus dem marktradikalen, neoliberalen Flügel, der momentan in der Partei offenbar noch dominiert und dem offen völkischen Antikapitalismus, der sich nicht schämt, den deutschen Faschismus zu verharmlosen und offen gegen Ausländer und Asylbewerber in Deutschland zu hetzen.

Mit vielen Quellen hinterlegt ist vor allem die Analyse der AfD mit ihrer Entwicklung aus den rechten Flügeln von CDU und FDP mit Beteiligung von neoliberalen „Wirtschaftsweisen“ und Mittelstands-Unternehmern. „Der AfD gelang es, sowohl marktradikale Eliten als auch nationalkonservative Hardliner*innen, christlich-fundamentalistische Aktivist*innen und völkische Nationalist*innen zu vereinen.“

Stefan Dietl untersucht die Hintergründe der zutiefst rassistischen Anschauungen in der AfD und betont: „Über die Stellung der AfD zur sozialen Frage kann man jedoch nicht sprechen, ohne auch ihren Rassismus, ihren Antisemitismus, ihren ausgeprägten Familismus, der seinen Ausdruck unter anderem in Antifeminismus und Homophobie findet, und ihre feindliche Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung zu beleuchten.“ „Vor allem Protagonist*innen der Neuen Rechten wurden (hier) zu Ideengeber*innen und strategischen Vordenker*innen der AfD.“

Die sozialpolitische Programmatik untersucht der Autor mit vier Schwerpunkten, wobei er auch jeweils die Differenzen zu diesen Punkten innerhalb der Partei benennt:

– Öffentliche Daseinsvorsorge und soziale Sicherungssysteme,

– Arbeitsmarkpolitik,

– Bildungspolitik,

– Steuerpolitik.

Als Fazit fasst Stefan Dietl zusammen, dass in allen Positionen der marktradikale, neoliberale Flügel mit dem Abbau von staatlicher Absicherung und allgemeiner Privatisierung der bisherigen gesetzlichen Systeme dominiert, aber Zugeständnisse an den völkisch-nationalistischen Flügel der Partei gemacht wurden und „einige der unpopulärsten Positionen scheinbar revidiert (wurden), auch um die Partei für neue Wähler*innenschichten zu öffnen.“ So veränderte sich z.B. die Position der AfD zum Mindestlohn, der zu Anfang vehement abgelehnt wurde. Insgesamt waren „die Zugeständnisse an das völkisch-nationalistische Lager, welches dem Staat eine wesentlich aktivere Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft zuweist und Privatisierungen ablehnend gegenüber steht“, gering. „So verabschiedete die Partei lediglich eine Position gegen die Privatisierung von Trinkwasser und die Forderung nach Bürger*innenentscheiden bei Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge.“

In der Bildungspolitik setzt die AfD ausschließlich auf die Verwertungslogik nicht auf die Wissensvermittlung. Stefan Dietl zitiert hier den Sozialwissenschaftler Andreas Kemper: „Die AfD will den Zugang zum Studium und Gymnasien erschweren (…) Ziel soll es sein, eine „Elite“ zu formen. Typischerweise trifft das Kinder aus einkommensschwachen Familien, die sich nicht teuren Privatunterricht leisten können.“ Und Dietl weiter: „Das Leistungsprinzip dient hierbei zur Rechtfertigung sozialer Ungleichheit. Im Rahmen dieser Logik gilt es dann auch, ‚leistungsstarke‘ Schüler*innen von ‚leistungsschwachen‘ zu trennen.“

Bei der Steuerpolitik wiederum bedient die AfD vor allem Besserverdienende und Vermögende mit der Abschaffung der progressiven Einkommenssteuer, der Vermögens- und der Erbschaftssteuer. Und es geht um Steuersparmodelle für Unternehmen. Im Grundsatzprogramm der AfD „versucht man (…), die Pläne als gerechte Entlastung des Mittelstandes darzustellen…“. „Steuererleichterungen von Unternehmen und Vermögenden sollen durch Einschränkungen staatlicher Maßnahmen insbesondere im sozialpolitischen Bereich finanziert werden.“

Was daran sozial ist, fragt sich nicht nur Stefan Dietl.

Viele dieser geplanten Einschnitte werden populistisch begründet und wenden sich an die „Deutschen“ mit den „traditionellen deutschen Tugenden“ wie Fleiß, Einsatzbereitschaft und konservativen Moralvorstellungen z.B. mit der Forderung, keine Hilfe für Menschen, die es „gezielt darauf anlegen, in die Bedürftigkeit zu fallen“. Unter dem Motto „Die Einwanderung in deutsche Sozialsysteme muss verhindert werden“, diffamiert sie jede Asyl- und Einwanderungspolitik.

Gewerkschaftliche Gegenpolitik

Aber der eigentliche Schwerpunkt des Buches ist das Kapitel „Die AfD stoppen – Gegenmacht organisieren“. Hier plädiert der Autor für eine neue gewerkschaftliche Strategie. Natürlich müssen auch die Gewerkschaften weiterhin eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Zielen der AfD und den dahinter stehenden Gesellschaftsentwürfen betreiben. Natürlich müssen die Gewerkschaften weiterhin klar Position gegen den Rassismus und Nationalismus der AfD beziehen, gegen die Ausgrenzung von sozial Benachteiligten, Flüchtlingen und Migrant*innen.

Vor allem brauche es aber „ein Umdenken der Gewerkschaften selbst, in dessen Mittelpunkt die Überwindung der Sozialpartnerschaft, Korporatismus und Standortnationalismus stehen müssen“. „Anstatt die herrschende Politik mitzutragen, müssen die Gewerkschaften wieder zum Träger der sozialen Proteste werden.“

Abb. (PDF): Cover. Stefan Dietl, Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und völkischem Antikapitalismus, Unrast Verlag, 3. erweiterte Auflage, Juni 2018

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Redaktionsnotizen

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02

„Patriotische Plattform“ steht vor der Auflösung. Laut Vereinsvorsitzendem und sachsen-anhaltischen AfD-Landtagsabgeordneten H.-T. Tillschneider habe sich der Verein „überlebt“, seine Forderungen seien von der AfD zu „neunzig Prozent“ übernommen worden. Die übrigen „zehn Prozent“ könnten mittlerweile in der AfD „offen“ gefordert werden. Es gebe deshalb „keinen erkennbaren Mehrwert“ durch die Plattform.

Um eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu verhindern, will die AfD auf Distanz zu Rechtsextremen gehen. „Wir müssen auch eine unglückliche Verquickung mit der Identitären Bewegung lösen“, sagte Tillschneider. Deshalb werde er zum 1. Oktober sein Wahlkreisbüro in Halle schließen, das unter der gleichen Adresse firmiert wie ein Zentrum der vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären Bewegung“. Tillschneider verwahrte sich jedoch gegen den Eindruck, es gebe inhaltliche Unterschiede zwischen der AfD und den Rechtsextremen. „Die AfD will das Gleiche wie die Identitäre Bewegung, inhaltlich gibt es keinen Dissens“. Beiden gehe es darum, „das deutsche Volk als ethnokulturelle Einheit zu erhalten“, sie seien „unterschiedliche Ausprägungen ein- und derselben Zeitenwende“. Es gehe nur um eine „strukturelle Entflechtung“, es werde ein „Angriffspunkt zugemacht“ und eine „Flanke geschlossen“.

03

CDU schließt CDU-AfD-Koalition in Sachsen nicht aus. Dazu erklärt Antje Feiks, Landesvorsitzende von Die Linke: „,Ein Blick ins Nachbarland Österreich zeigt, wohin die Reise bei schwarz-blauen Koalitionen geht: Weiterer Abbau des Sozialstaats und von Grundrechten und damit letztlich eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Diese Kombination aus wirtschaftspolitischem Neoliberalismus einerseits und gesellschaftspolitischem Antiliberalismus andererseits ist extrem gefährlich.‘ In Österreich hat die Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ die Höchstarbeitszeit kräftig heraufgesetzt: Bis zu 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche soll künftig gearbeitet werden. Es wurden Steuererleichterungen für Wohlhabende, Immobilieninvestoren und Großkonzerne beschlossen. Ein Langzeitarbeitslosenprogramm wurde abgeschafft, Ruhezeiten für Mitarbeiter im Gastgewerbe gekürzt. Geplant sind zudem Kürzungen bei der Unfallversicherung und beim Arbeitslosengeld. ,Um es deutlich zu sagen: Kleine Leute und Normalverdiener werden unter einem schwarz-blauen Kürzungsregime in Sachsen genauso zu leiden haben, wie Frauen, Minderheiten und beispielsweise Kulturschaffende. Wir als Linke setzen hingegen auf Zusammenhalt durch Solidarität und werden für ein soziales Sachsen streiten.‘“

04

Jüdische Bundesvereinigung innerhalb der AfD soll gegründet werden. Der Organisator ist AfD-Stadtverordneter in Wiesbaden. J. Gutmark, Landesvorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hessen, sagt, der Initiator sei nicht einmal Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden. Politisch wirft er den Gründern der Vereinigung vor, „unter falscher Flagge zu segeln“. Die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) als demokratisch gewählte Vertretung für 25 000 jüdische Studierende und junge jüdische Erwachsenen ruft dazu auf, ein starkes Zeichen gegen die AfD und ihre versuchte Instrumentalisierung von Juden zu setzen!

05

Keine Steuergelder für die Desiderius-Erasmus-Stiftung! Die Bildungsstätte Anne Frank fordert in einem offenen Brief an Bundesinnenminister Seehofer eine Überprüfung der AfD-nahen Stiftung von unabhängigen Expert*innen. „Wenn perspektivisch öffentliche Mittel für eine Stiftung ausgegeben werden, deren Vertreterinnen die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlosen und somit ein Geschichtsbild proklamieren, das weder den moralischen noch den wissenschaftlichen Standards genügt, konterkariert dies die langjährigen, erfolgreichen Bemühungen im Feld der Erinnerungspolitik und Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte.“

Link zur Online-Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/keine-steuergelder-fuer-geschichtsrevisionismus

06

Die Causa Maaßen ist ein Alarmzeichen. „Eine Lehre aus Weimar muss sein, dass alle Alarmglocken schrillen müssen, wenn Teile der Funktionseliten des Staates auf die Seite der Feinde der Demokratie gehen. Der von Martin Schulz (SPD) erhobene Vorwurf, die rhetorische Figur der Reduzierung aller Probleme auf eine einzige Ursache, einen einzigen Sündenbock, sei ein „tradiertes Mittel des Faschismus“ (Ebd., S. 5038) ist völlig richtig und nach den Ereignissen von Chemnitz auch eine angemessene Beschreibung der realen Gefahr.“

Dr. Gerd Wiegel, Die Linke; AfD im Bundestag, Sitzungswoche 11.-14. September 2018.