Aus Politische Berichte Nr. 10/2018, S.18 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Der Hamburger „Kriegs-Klotz“

Ein steinerner Bezugspunkt für lebendige Aktionen

Interview mit Uli Hentschel, Pastor im Ruhestand, Hamburg - Das

Das Gespräch führte Karl-Helmut Lechner.

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01 info Zur Person: Ulrich Hentschel

02 info: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können!“ — das war der Titel eines Songs der Gruppe „Slime“ im Jahre 1981.

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Politische Berichte: Inmitten von Hamburg, am Dammtorbahnhof, befindet sich ein abscheuliches Kriegerdenkmal, genannt „Kriegsklotz“. Kannst Du uns etwas zu seiner Geschichte sagen?

Uli Hentschel: Dieses Kriegerdenkmal ist das größte in der ganzen Stadt Hamburg und zentral gelegen. 1936 von Richard Emil Kuöhl (1880 bis 1961) gebaut, also von Nazis in Auftrag gegeben und mit einer eindeutigen Nazibotschaft versehen. Es sollte an die im Ersten Weltkrieg Gefallenen erinnern und es sollte vorbereiten und dienen einer neuen Propaganda für einen neuen Krieg. Darum die zentrale Parole auf diesem Kriegsklotz „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen“. Dieses Denkmal war Anlauf für Propagandaaktionen der Nazis.

Nach 1945 hatten die Briten kurzzeitig vorgesehen dieses Denkmal zu sprengen. Das hat aber nicht stattgefunden. Erst im Kontext der Friedensbewegung in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre wurde Kritik an der kriegsverherrlichenden Botschaft laut. Es kam dann 1985 zur Errichtung eines sogenannten Gegendenkmals von Alfred Hrdlicka: „Feuersturm“ und „Flucht Cap Arcona“.

Es befanden sich jetzt also zwei Denkmäler auf dem Stephansplatz. 2010 entstand dann das „Bündnis für ein Deserteursdenkmal“. Zahlreiche Aktivitäten führten 2015 zur Errichtung eines Deserteursdenkmals; mit dem Ergebnis, dass sich jetzt drei Denkmäler an diesem einen Platz befinden, in unterschiedlicher Weise auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg bezogen.

Politische Berichte: Warum ist es bisher nicht gelungen, dieses Denkmal einfach abzureißen und zu beseitigen?

Uli Hentschel: In der Tat wäre das vermutlich sinnvoll gewesen, wenn dieser Kriegsklotz durch die alliierten Truppen gesprengt worden wäre. Aber das haben Hamburger Bürgerinnen und Bürger verhindert. Nun ist er da. Und seitdem ist diese Idee, ihn einfach abzureißen, immer wieder aufgetaucht, aber politisch nicht realisierbar gewesen. Insofern ist dieses Nazi-Monument auch Ausdruck einer bestimmten Kriegsbewältigung oder auch Nicht-Bewältigung.

Der Kriegsklotz ist über drei Jahrzehnte hinweg Anlaufstelle gewesen für eine Verklärung und Verherrlichung des Ersten Weltkrieges und auch des Zweiten Weltkrieges. Es gab rechte Verbände, z.B. SS-Veteranen, junge Nazi-Gruppen, und Burschenschaften, die bis hinein in unser Jahrhundert ihre Kundgebungen an diesem Kriegsklotz machten. Er blieb Propagandaort für diejenigen, die dem deutschen Faschismus und der deutschen Kriegsherrlichkeit nachtrauerten. Dazu kam dann noch für viele Jahre die Beteiligung der Bundeswehr. Es wurde also auch hier ein ungebrochenes Verhältnis der Bundeswehr zur Wehrmacht und zu alten militärischen Naziverbänden demonstriert. Das hat immer wieder Anstoß gegeben.

Auf der anderen Seite gab es bereits 1956 in der Zeitschrift „Konkret“ einen kritischen Artikel zum Kriegsklotz. Die Kriegsgegner, die damals gegen die Wiederaufrüstung und mit der geplanten Atombewaffnung der BRD („Kampf dem Atomtod!“) nicht einverstanden waren, haben sich an dem Kriegsklotz gerieben. Darum ist der Kriegsklotz symbolischer und realer Austragungsort einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Krieg und Frieden und Militarisierung.

So war es auch, als 1981 auf dem Kirchentag in Hamburg die erste große Friedensdemonstration nach den 50er Jahren hier ihren Ausgangspunkt nahm. Das hat dann auch den Kriegsklotz wieder in ihr Bewusstsein gerückt. Unter den ca. 100 000 Männern und Frauen befanden sich auch einige, die mit Hammer und Meißel versuchten, dieses Monument der Kriegspropaganda zu beschädigen. Plötzlich war der Kriegsklotz wieder in der Debatte. Und die offizielle Politik sah sich dann doch genötigt, etwas zu unternehmen. Sie wollte sich nicht vorwerfen lassen, dass sie die Propaganda des Kriegsklotzes toleriere.

Politische Berichte: Wie haben die Öffentlichkeit und die offizielle Politik dann reagiert?

Uli Hentschel: Es wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dessen Ende nach vielem Hin und Her der Wiener antifaschistische Künstler Alfred Hrdlicka einen Gegenentwurf machte. Der wurde aber aus verschiedenen Gründen nicht vollendet. Das erschütternde ist, dass dieses sogenannte Gegendenkmal nur zwei Skulpturen zeigt: eine Figur erinnert an die „Aktion Gomorrha“, also den Feuersturm in Hamburg, und die andere an die Versenkung der „Cap Arcona“ mit Tausenden von KZ-Häftlingen an Bord. Für beide Bombardierungen war die britische Luftwaffe verantwortlich. Darum hat das Denkmal von Alfred Hrdlicka auch rechte Gruppen und die Nazis kaum gestört. Sie konnten es benutzen für ihre Propaganda gegen die Alliierten. Es war als Gegendenkmal gemeint, aber so wie es da stand, auch in einer Distanz zum Kriegsklotz, die diesen ästhetisch unangefochten ließ, war es kein Gegendenkmal, sondern eine Art Ergänzung. Hrdlicka hat zwar das Leid und Elend als Folge des deutschen Angriffskrieges gezeigt. Aber das Denkmal vermittelt eben dies nicht.

Politische Berichte: Hat sich die Friedensbewegung damit abgefunden?

Uli Hentschel: Nein. Ende der 80er Jahre, als die sogenannte Wiedervereinigung anstand, rückte auch die Frage von Krieg und Frieden wieder in den Diskurs — sowohl bei der rechten wie aber auch bei der alternativen und linken Bewegung. So wurde auf der einen Seite 1991 ein Verein zur Erhaltung des „76er-Denkmals“ gegründet. Die Zahl 76 erinnert an das „76. Infanterieregiment“. Deswegen „76er-Denkmal“. Es entstand also ein Verein, dem es um Glorifizierung ging. Er putzte das Denkmal heraus, ließ sogar Beleuchtung installieren. Auf der anderen Seite war der Kriegsklotz im April 1999 Startpunkt für eine Demonstration gegen den Eintritt der damaligen rot-grünen Bundesregierung in den Krieg gegen Jugoslawien. Bei dieser Gelegenheit wurden oben in dem Relief die umlaufenden Soldaten rot und grün angemalt: Rot-Grün marschiert in den Krieg. Später gab es noch eine andere Aktion: Ein Soldat marschiert rückwärts aus der Reihe und will sich nicht mehr in den Zug der marschierenden Soldaten einreihen.

Es gab also immer beides. Kriegsklotz als Anlaufpunkt für Glorifizierung und gleichzeitig auch Anlaufpunkt für antimilitaristische Aktivitäten. Es ist nicht möglich, ein Denkmal zu schaffen, das eine gültige Wahrheit verkündet. Der Kriegsklotz ist immer ein Ort, an dem sich die gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Frage von Krieg und Frieden, von Aufrüstung und Nicht-Aufrüstung dokumentiert.

Politische Berichte: Wie bewertest Du heute dieses dreifache Denkmal?

Uli Hentschel: Erst einmal möchte ich selbstkritisch sagen, dass wir, die wir uns am Entstehungsprozess des Deserteursdenkmals beteiligt haben, auch einen politischen Kompromiss eingegangen sind mit den Hamburger Parteien, um überhaupt dieses Denkmal zu errichten. Aber das ist eben problematisch. Weil nach der Einweihung dieses Deserteursdenkmals, an der auch der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz mit großen Worten beteiligt war, die Hamburger Politik sich auf die Schulter klopfen konnte: so, jetzt haben wir unsere Geschichte bewältigt. Wir haben jetzt auch noch die Deserteure anerkannt und ihnen ein Denkmal gesetzt. Wir sind jetzt frei von Schuld und Verantwortung, die sich aus der Geschichte ergibt — wir können neu beginnen. Auch in der Militärpolitik. Eine Bundeswehr, die ihre erinnerungspolitische Pflicht erfüllt hat, kann wieder machen was sie will. Darum bleibt es eine Aufgabe für friedensbewegte Menschen, diesen Ort weiterhin zu fokussieren, ihn als steinernen Bezugspunkt für lebendige Aktionen zu nutzen, die sich kritisch gegen die Militärpolitik dieses Landes artikulieren. So könnte das Denkmal-Ensemble am Stephansplatz bleiben, was es immer schon war: ein Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Das wird aber niemals von den Parteien kommen. Das muss nach wie vor immer neu eine Aufgabe von Friedens- und anti-militaristischen Initiativen sein. Darin sehe ich heute die Herausforderung.

Politische Berichte: Wir bedanken uns für das Gespräch!

Das Gespräch führte Karl-Helmut Lechner. Weitere Infos unter: www.Feindbeguenstigung.de

https://www.denk-mal-gegen-krieg.de/kriegerdenkmaeler/hamburg-a-d#denkmal-35

Abb. (PDF): Fotoprojektion am Kriegs-Klotz: Ein Soldat schert aus

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Zur Person: Mein Name ist Ulrich Hentschel, ich bin 68 Jahre alt und war fast 40 Jahre lang Pastor. Die letzten Jahre in einer Gemeinde in Hamburg Altona, danach bis zu meiner Pensionierung fünf Jahre Studienleiter für Erinnerungskultur an der evangelischen Akademie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche). In diesem Zusammenhang bin ich engagiert in der Auseinandersetzung um Kriegerdenkmäler, unter anderem eine Zeitlang mit dem „Kriegsklotz“ am Hamburger Dammtorbahnhof u.a. in Kooperation mit dem Bündnis für ein Deserteursdenkmal.

Abb. (PDF): / Foto: (Gert Krützfeldt): Ulrich Hentschel spricht auf der Kundgebung am 1. September 2018, dem Anti-Kriegstag, vor dem Kriegsklotz in Hamburg am Stephansplatz.

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info: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können!“ — das war der Titel eines Songs der Gruppe „Slime“ im Jahre 1981. Die Gruppe wurde daraufhin angeklagt, wurde dann aber wegen künstlerischer Freiheit freigesprochen. Diese Parole „Deutschland muss sterben …“ erschreckt am Anfang, denn geht sie nicht zu weit? Ich würde inzwischen sagen: Nein, sie geht nicht zu weit. Das Deutschland, das an diesem Kriegsklotz mit der Parole verherrlicht worden ist „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen!“ — dieses Deutschland sollte tatsächlich sterben und zu Ende gebracht werden. Dafür setze ich mich politisch ein nach all meinen Möglichkeiten.