Aus Politische Berichte Nr. 10/2018, S.21 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

CDU/CSU-Abgeordnete ziehen die Notbremse – wird die Fahrt der Kanzlerin weitergehen?

Harald Pätzolt, Berlin, 28.9

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Die Abwahl von Volker Kauder vom Fraktionsvorsitz der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag … ist eine Niederlage für die Parteivorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel. Sie hatte für ihn geworben und verliert mit ihm eine zuverlässige Stütze des „Systems Merkel“, schließlich hatte Kauder 13 Jahre lang ihr die bedingungslose Gefolgschaft der Fraktion gesichert.

Ob die Regierungschefin durch die Wahl von Ralph Brinkhaus geschwächt ist, ihr gar ein Putsch drohe (BILD), das Ende ihrer Kanzlerschaft näher gerückt sei – darüber wird, über letzteres bereits seit Jahren, in den Medien viel räsoniert. Tatsache ist jedenfalls, dass die (im Übrigen wenig im Sinne des GG liegende) Achse Kanzleramt–Fraktionsspitze, die die Rolle der Unionsfraktion auf die der bloßen Mehrheitsbeschafferin gestutzt hatte, zuletzt immer weniger Erfolg für Merkel & Co. sichern konnte. Die Causa Maaßen machte das nur offenbar. Erinnern wir uns:

1. Für die Parteientwicklung von CDU und CSU ist die letzte wie die aktuelle Regierung Merkel ein Desaster:

• Die Union hatte bei der Bundestagswahl 2017 etwa 8,5% ihrer Zweitstimmen von 2013 verloren und ist heute bei Umfragen unter 30% angekommen.

• Der Aufstieg der AfD hält unvermindert an, es drohen katastrophale Verluste bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Die CDU-Landesverbände im Osten sehen sich von der AfD unter enormen Druck gesetzt, Sachsen droht bei der nächste Wahl der Durchmarsch der ultrarechten Partei.

Verantwortlich wird parteiintern wie in der weiteren Anhängerschaft der Union die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung 2015 gemacht. Aber das ist nur ein Teil des Problems:

2. Die Wirtschaft, vertreten durch die großen Verbände und präsent als Vereinigungen von Abgeordneten innerhalb der Unionsfraktion, ist seit Beginn der Legislaturperiode unzufrieden mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Kein Zufall, dass zeitgleich mit der Abwahl Kauders, auf dem „Tag der deutschen Industrie“ der BDI-Chef diese Unzufriedenheit in Anwesenheit der Kanzlerin und ihres Wirtschaftsministers Peter Altmaier, schon als Kanzleramtschef neben Kauder die zweite Stütze des Systems Merkel, offen artikulierte.

• Der BDI, ebenso die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) fordern eine Unternehmenssteuerreform, natürlich geht es um Steuersenkungen, mehr Tempo bei der Digitalisierung, Klarheit, d.h. weniger Belastungen der Unternehmen durch Energiewende, Klima- und Umweltschutz, die Abschaffung des Soli (ganz, nicht teilweise), was mit dem Auto wird ist unklar, – im ganzen vermisst man eine wirtschaftsdienliche Industriepolitik. Konjunkturerwartungen werden abgeschwächt, Prognosen gesenkt.

3. Die Europapolitik kommt nicht voran, das verbreitet Skepsis an der Regierung in der Bevölkerung:

• Die Brexit-Verhandlungen gestalten sich schwierig, der Vorgang belastet bereits heute die Wirtschaft und nicht nur diese, sondern viele Bereiche europäischen Lebens.

• Die Politik gegenüber China und den USA findet nicht nur Beifall, was auch mit der geschwundenen Kraft Merkels, Führung in Europa zu übernehmen und die EU mit einer Stimme sprechen zu lassen, zusammenhängen dürfte. Das Verhältnis zu Russland ist belastet und es gilt die alte Regel, dass Unfrieden mit den (globalen) Nachbarn den Handel stört und das eigene Land auf Dauer schwächt.

So haben die einen Abgeordneten, die mit Sorge den Niedergang der Union sehen, einige davon wohl aus dem Osten Deutschlands, die anderen von der Wirtschaftsfraktion, nicht ohne Mandat ihrer Verbände, sich für das Ziehen der Notbremse entschieden.

Womit ist nun zu rechnen?

1. Die eigentliche Krise der CSU steht noch bevor, die Bayernwahl und deren Verarbeitung, parteiintern und in Koalitionsverhandlungen, wird nicht nur personell Folgen für Berlin haben. Käme die CSU, auf dem dann erreichten niedrigeren Niveau, zu Stabilität, würde die Union insgesamt, als Fraktion im Bundestag und im Kabinett, zu neuer Stabilität finden können. Damit wären die Beziehung von Fraktion und Regierung sowie das der Schwesterparteien neu gestaltet.

2. Eine große Unbekannte ist der Koalitionspartner SPD. In einem Dauer-Umfragetief befindlich, nach dem Traumata vor der Wahl (Martin Schulz) und nach der Wahl (Koalition – Nein danke und dann doch), ist sie eine Dauerbelastung der Regierung. Angela Nahles hat sich als unfähig erwiesen, die Führung der SPD zu übernehmen, in der Affäre Maaßen agierte sie als Regierungsmitglied, nicht als Parteivorsitzende, fernab von dem, was Partei und Fraktion dabei dachten und sagten. Nichts gibt aktuell Anlass zu behaupten, die SPD könne absehbar zu neuer Stärke finden.

3. Letzte Frage: Müsste Angela Merkel Neuwahlen fürchten? Wohl nicht wirklich. Nach aktuellem Stand könnte sie, wenigstens ihre Partei, weiter regieren, in welcher Konstellation auch immer. Die einzige Gefahr würde ihr von einer rotrotgrünen Option drohen, die bislang allerdings eine leere Drohung seitens der Meinungsforschung ist.