Aus Politische Berichte Nr. 11/2018, S.07 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Wahlen in Hessen und Bayern, Folgen im Bund, Vorbereitung EU-Wahlen

Wahlen verwandeln Meinungen der Wahlberechtigten in Macht der Repräsentanten. Zum einen folgt aus Wahlergebnissen etwas für die Regierungsprogramme, die für Bayern soeben vorgelegt werden und für Hessen in Arbeit sind. Zum anderen entstehen sehr starke Rückwirkungen auf die Diskurse, die öffentliche Meinung bilden, und auf die Strategiediskussion der Parteien. Dazu die folgenden Beiträge aus Hessen, Berlin, Bayern sowie ein Bericht von einer Regionalkonferenz der Linken zu den anstehenden Europawahlen.

Die Linke: erste von drei Regionalkonferenzen zum Europawahlprogramm 2019

Christoph Cornides, Mannheim

Am 4. November führte die Linke die erste von drei Regionalkonferenzen zum Europawahlprogramm 2019 (Mannheim; Berlin, 24.11.; Bielefeld, 2.12.) in Mannheim durch. Rund 70 TeilnehmerInnen aus verschiedenen Bundesländern, sowie einzelne MdBs, MdEPs und Mitglieder des Parteivorstands beteiligten sich. Nach einer Begrüßung durch Heidi Scharf, Landes-Co-Sprecherin der Linken Baden-Württemberg, hielt Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Linken, einen ersten einführenden Beitrag. Ein schriftlicher Entwurf zum Europawahlprogramm lag noch nicht vor, was aber wohl von den TeilnehmerInnen überwiegend nicht als Nachteil gesehen wurde. So wurde dann bis zur Mittagspause eine lebhafte und sachliche Diskussion, an der viele der Anwesenden teilnahmen, im Diskurs um die von Jörg Schindler vorgestellten Eingangsthesen zu einem zukünftigen Wahlprogramm geführt. Die hauptsächliche Fragestellung dabei war, welche Punkte sollen mit welcher Gewichtung und Zielsetzung im Wahlprogramm behandelt werden.

Zum Abschluss des ersten Teils der Konferenz hielt Faysal Sariyildiz, ehemaliger HDP-Abgeordneter, eine Grußadresse, in der er auf die Lage in der Türkei und die Repression durch das Erdogan-Regime einging. Damit schuf er auch einen Bezugspunkt für spätere Beiträge, die betonten, dass Europa größer ist als die EU und dass zur Europapolitik der Linken z.B. auch die Politik im Europarat (nicht nur im Europaparlament) gehört, der Kampf um Menschenrechte genauso wie die Unterstützung der HDP, der Schwesterpartei der Linken in der Türkei.

Nach der Mittagspause befasste sich eine erste Runde, (in der die TeilnehmerInnen „zufällig“, durch „Abzählen“, zusammenkamen) mit der Frage, wie soll der Wahlkampf vor Ort geführt werden. Eine zweite Runde bestand darauffolgend aus Arbeitsgruppen nach thematischen Fragestellungen, die im ersten Teil genannte Sachthemen der EU- und Europapolitik wieder aufnahmen, erweiterten und vertieften. Die Beiträge aus beiden Arbeitsrunden wurden jeweils an Moderationstafeln zusammengestellt und abschließend kurz kommentierend im Plenum vorgestellt. Sie sollen in den Entwurf zum Europawahlprogramm 2019 der Linken einfließen.

Seinen Einleitungsteil eröffnete Jörg Schindler mit der Feststellung, dass Europa rechter geworden ist und dass man – Bezug nehmend auf Gramscis Terminologie – in einzelnen europäischen Ländern bereits von einer „Hegemonie“ der Rechten sprechen müsse. Die Linke müsse davon ausgehen, dass die Rechte versuchen wird, die „Diskurskultur“ weiter und in allen Ländern nach rechts zu verschieben.

Um EU und Europa werde der rechte Block nationalistisch für „Deutschland zuerst“ bzw. in allen Ländern für die jeweils eigene Nation „zuerst“ und gegen „die Anderen“ mobilisieren. Dagegen würde der „zweite Pol“ – in Deutschland die Regierungsparteien, aber wohl auch die FDP und die Grünen – einen Wahlkampf einfach „für Europa“ führen wollen. So drohe der Wahlkampf zu einem zwischen „für oder gegen“ Europa zu werden. Wie soll sich da die Linke verhalten?

So in aller Kürze angemessen die Feststellung zum rechten „Block“ erstmal sein mag, so wenig haltbar ist die Skizzierung des „zweiten Pols“ – in Deutschland gewissermaßen aller (ohne AfD) anderen, außer der Linken. Dies mindestens in dreierlei Hinsicht, da Jörg Schindler die Gemeinsamkeiten dieses „Pols“ dann auch noch mit dem Charakteristikum „einfach weiter so mit Europa“ umschrieb. Solche holzschnittartig-simplen Charakterisierungen führen schon bei der Analyse der Ist-Situation kaum weiter und versagen vollends, wenn die Partei die Linke zur Definition praktischer Politik kommen will. Denn: (a) Wo – also bei welcher Partei – kann man von einem Weiter-so in der EU- und Europapolitik sprechen? Doch bei keiner. Alle Parteien versuchen, auf ihre Art und für die von ihnen vertretenen Interessen Antworten, Zielsetzungen und politische Handlungsschritte unter sich ändernden Gegebenheiten und für die Mobilisierung ihrer WählerInnen zu finden. (b) Wie will man zu einer differenzierten und differenzierenden Europapolitik gegenüber anderen Parteien kommen, wenn man sie zunächst mal (gewissermaßen „anfangsverdachtsmäßig“) alle in einen Topf wirft? (c) Eine Vorweginterpretation der Auseinandersetzung in den Europawahlen als lediglich für oder gegen Europa würde die eigene Europawahlkampagne wegführen von der konkreten Frage: Welche konkreten Reformen der und in den bestehenden Institutionen (und unter den gegebenen Bedingungen) wollen wir? hin zu einer rein abstrakt-propagandistischen Gegenüberstellung „Wirklichkeit/und was wir lieber hätten“. Das hat die Linke doch gar nicht nötig. (Immerhin ermutigend: die alte Hilfsidee „wir machen mal einen Neuanfang“ der EU kam in der ganzen Konferenz mit keiner Silbe auf.)

Während dann in der Diskussion – von wenigen kritischen Anmerkungen abgesehen – die weitere Analyse des „zweiten Pols“ kaum eine Rolle spielte, wurde in der Diskussion um so ausführlicher auf die Hinweise Jörg Schindlers für die Positionierung linker Politik Bezug genommen. Die Linke müsse in den Europawahlen „verbindende“, „praktische Lösungen“, Antworten und Forderungen auf Fragen geben, die sich nur übernational, nicht-national lösen lassen, führte Jörg Schindler aus. Ausdrücklich als Beispiele nannte er: Finanzen und Finanzwirtschaft, Klima, Sicherheit, Flucht und Migration. Die Linke müsse humanitäre, soziale, wirtschaftliche Mindeststandards mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Europa herausarbeiten, begründen und vertreten. Dieser, wenn man so will, eher „funktionale“ Ansatz zur Kritik des Nationalismus (also: Nationalismus untauglich zur realen Problemlösung in Europa) wurde in vielen Redebeiträgen und mit vielen praktischen Beispielen und Themen aufgegriffen: europaweit jeweilige Mindestlöhne in den verschiedenen Ländern, Notwendigkeit eines europäischen Sozialversicherungssystems, erster Schritt Arbeitslosenversicherung, harmonisierendes Steuersystem, europäische Wirtschaftspolitik und Ende der Austeritätspolitik, Kritik der Militärpolitik, Rüstungsabbau.

Ausdrücklich kritisch wurde an Jörg Schindlers Beitrag das Fehlen eines Konzepts „verbindender“ linker europäischer Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik von Seiten des Parteivorstandes vermerkt, (obwohl es dazu durchaus Vorschläge aus den Reihen des Parteivorstandes gibt.) Kritisch nachgefragt wurde auch, warum die Linke nicht ausdrücklich den Pakt für Flüchtlinge und für Migration der Vereinten Nationen unterstützt, gerade weil er jetzt von der Rechten auch in Europa angegriffen wird (u.a. will Österreich seine Unterstützung zurück ziehen.) Ebenso wurde das Fehlen von Vorschlägen zur Demokratisierung des Europaparlaments angemahnt.

Als Ergebnisse aus der Arbeitsrunde zur Wahlkampfführung wurde u.a. die Notwendigkeit betont, neue Methoden und Informationsmittel zur Aufklärung auch über die Vorteile der EU für die Menschen in Europa und über die Verbindung von lokalen und regionalen Problemen und möglichen Lösungen in durch und mit der EU zu finden (Kommunale Ausschreibungen, Strukturpolitik, Antidiskriminierung etc.).

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