Aus Politische Berichte Nr. 12/2018, S.08 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

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Thorsten Jannoff, Gelsenkichen – Thema: Diesel und Fahrverbote

01 Deutsche Umwelthilfe (DUH) erwirkt erstes Autobahn-Diesel-Fahrverbot auf der A40 im Ruhrgebiet sowie Diesel-Fahrverbote für Essen und Gelsenkirchen

02 Städtetag warnt vor „Flickenteppich von Fahrverboten“ in den Städten

03 Ingrid Remmers, MdB, Die Linke : Haushalt der betrogenen Dieselfahrer ist in einer katastrophalen Schieflage!

04 Fahrverbot für Dieselautos – gut und nicht gut

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Deutsche Umwelthilfe (DUH) erwirkt erstes Autobahn-Diesel-Fahrverbot auf der A40 im Ruhrgebiet sowie Diesel-Fahrverbote für Essen und Gelsenkirchen

Pressemitteilung DUH. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gibt Klagen für „Saubere Luft“ der Deutschen Umwelthilfe statt – Bisher stärkstes Urteil für den Gesundheitsschutz – DUH erwirkt elftes und zwölftes Urteil in Folge zu Diesel-Fahrverboten in Deutschland – Luftreinhaltepläne der beiden Ruhrgebietsstädte müssen bis zum 1. Juli 2019 um eine 18 Stadtteile umfassende Diesel-Fahrverbotszone für Essen und streckenbezogene Diesel-Fahrverbote für Gelsenkirchen erweitert werden – Zum ersten Mal soll in Essen mit der Sperrung der A40 für Dieselfahrzeuge bis einschließlich Euro 5/V auch eine Autobahn in die Fahrverbotszone einbezogen werden – Heutige Kabinettsentscheidung zur Heraufsetzung von NO2- und NOx-Grenzwerten: Diesel-Fahrverbote kommen trotz Änderung des BImSchG auch für Städte unter 50 µg NO2/cbm – Bundesland Nordrhein-Westfalen mit den meisten Klagen für Diesel-Fahrverbote

Essen/Gelsenkirchen, 15.11.2018: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat heute über die Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) für „Saubere Luft“ in den Städten Essen und Gelsenkirchen entschieden (Essen: 8K 5068/15, Gelsenkirchen: 8K 5254/15) und beiden Klagen in vollem Umfang stattgegeben: Der Luftgrenzwert für das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2), der seit dem Jahr 2010 verbindlich gilt, ist schnellstmöglich einzuhalten, spätestens im Jahr 2019. Dabei geht es um eine Grenzwerteinhaltung jeweils im gesamten Stadtgebiet. Die internationale Umweltrechtsorganisation ClientEarth unterstützt Klagen für „Saubere Luft“ der DUH.

Für die Stadt Essen hat das Gericht (höchster NO2-Belastungswert in Essen:49 µg/cbm) entschieden, dass die Landesregierung ein Diesel-Fahrverbot für 18 Stadtteile inkl. der Stadtmitte als „Blaue Umweltzone“ in den Luftreinhalteplan aufzunehmen hat. Dieses gilt ab dem 1. Juli 2019 für alle Diesel unterhalb der Abgasnorm Euro 5 und Benziner unterhalb der Norm Euro 3. Zum 1. September 2019 ist das Verbot auf Diesel-Pkw, Busse und Nutzfahrzeuge der Abgasnorm Euro 5 zu erweitern.

Zum ersten Mal in Deutschland wurde von einem Gericht auch ein Diesel-Fahrverbot für eine Bundesautobahn verfügt. Ab dem 1. Juli 2019 gilt dies auf der Autobahn A40 für Diesel-Pkw, Busse und Nutzfahrzeuge bis einschließlich der Abgasstufe Euro 4/IV, ab dem 1. September 2019 wird dieses für Euro 5/V Diesel ausgedehnt. Grund ist die hohe Belastung einer Wohnsiedlung in Essen-Frohnhausen, hier führt die Bundesautobahn unmittelbar vorbei. Das Gericht hat zusätzlich dem Land die Prüfung weiterer Fahrverbote für neun weitere Verdachtsfälle außerhalb der „Blauen Umweltzone“ mit Frist bis zum 1. April 2019 auferlegt. Damit stellt das Gericht mit seinem Urteil das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Gesundheit der Menschen in Essen und Gelsenkirchen über die Profitinteressen der Automobilindustrie.

Für die Stadt Gelsenkirchen, welche mit 46 µg NO2/cbm geringere Grenzwertüberschreitungen beim Dieselabgasgift NO2 als Essen aufweist, muss das beklagte Land Nordrhein-Westfalen ein streckenbezogenes Diesel-Fahrverbot auf der besonders belasteten Kurt-Schumacher-Straße festlegen. Dieses muss zum 1. Juli 2019 für alle Dieselfahrzeuge unterhalb der Abgasnorm Euro 6 und alle Benziner unterhalb der Abgasnorm Euro 3 in Kraft treten.

Das Gericht betonte, dass ein Großteil der vom Land NRW bisher in den Luftreinhalteplänen angeführten Maßnahmen „keine schnelle Wirkung“ verspricht. Die schnellstmögliche Grenzwerteinhaltung noch vor 2020, wie es das Bundesverwaltungsgericht gefordert hat, ist somit nicht möglich. Daher kann auf Diesel-Fahrverbote nicht mehr verzichtet werden. Der lange Zeitraum, in dem der Grenzwert überschritten wird, zwingt zu einer besonders effizienten Maßnahmenplanung …

Hintergrund: Die DUH hatte beide Klagen im November 2015 gegen das Land Nordrhein-Westfalen eingereicht. Ziel ist die Einhaltung des seit 2010 verbindlich geltenden EU-Grenzwerts von 40 µg NO2/m³ im Jahresmittel.

2017 ermittelten in Essen fünf offizielle Messstationen NO2-Werte oberhalb des erlaubten Jahresmittelgrenzwerts von 40 µg/m³. Der höchste Wert mit 49 µg/m³ wurde an der Messstation Frohnhausen an einem dreigeschossigen Wohnhaus nahe der Bundesautobahn A 40 gemessen. Auch in Gelsenkirchen weist eine offizielle Messstation einen Wert oberhalb des NO2-Grenzwerts auf: An der Messstation Kurt-Schumacher-Straße überschreitet der gemessene Wert mit 46 µg NO2/cbm die gesetzlichen Vorgaben deutlich. Dass diese Zahl für Gelsenkirchen kein Einzelfall ist, belegen Messungen der DUH aus diesem Jahr. In der Florastraße wurde mit 44 µg NO2/cbm ebenfalls ein nach europäischem Recht gesetzeswidriger Wert gemessen.

NO2 ist gesundheitsschädigend. Die Europäische Umweltagentur EEA hat im Oktober 2018 die gesundheitlichen Folgen der NO2-Verschmutzung mit jährlich 13.100 vorzeitigen Todesfällen allein in Deutschland beziffert. Diesel-Fahrverbote sind zur kurzfristigen Einhaltung des NO2-Grenzwertes die einzige Option und laut Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 27. Februar 2018 rechtmäßig und notwendig.

Schmutzige Diesel-Pkw tragen wesentlich zu mehr als 800 000 jährlichen Neuerkrankungen an Diabetes und Asthma bei, verursacht durch die anhaltende Belastung der Atemluft mit dem Dieselgift NO2. Das Umweltbundesamt hatte mit einer Studie über die Gesundheitsfolgen des Dieselabgasgiftes NO2 verdeutlicht, dass bereits bei Konzentrationen deutlich unterhalb des Grenzwertes mit 437 000 Neuerkrankungen an Diabetes Mellitus und 439 000 Asthmaerkrankungen zu rechnen ist.

Derzeit führt die DUH Klageverfahren für „Saubere Luft“ in 30 Städten. Klagen in Bielefeld, Hagen, Oberhausen und Wuppertal wird die DUH im November einreichen. Damit klagt die DUH dann in insgesamt 34 Städten.

Bis Ende 2018 sind noch für zwei Städte Verhandlungen für „Saubere Luft“ terminiert (VG Wiesbaden zu Darmstadt am 21.11. und VG Wiesbaden zu Wiesbaden am 19.12.2018).

https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/deutsche-umwelthilfe-erwirkt-erstes-autobahn-diesel-fahrverbot-auf-der-a40-im-ruhrgebiet-sowie-diese/

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Städtetag warnt vor „Flickenteppich von Fahrverboten“ in den Städten

Berlin. Der Deutsche Städtetag warnt vor einem „Flickenteppich von Fahrverboten“ in den Städten. Nach dem Urteil zur Luftreinhaltung in Essen und Gelsenkirchen sagte der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Spitzenverbandes, Helmut Dedy, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) jetzt könnten nur noch flächendeckende Maßnahmen durch die Autoindustrie helfen.

„Immer mehr Gerichtsurteile zur Luftreinhaltung zeigen: So kann es nicht weitergehen“, sagte Dedy. „Einen Flickenteppich von Fahrverboten gilt es zu vermeiden. Mit jeder Gerichtsentscheidung wächst die Verunsicherung. Die Menschen, die an belasteten Straßen wohnen oder durch die Städte fahren, brauchen Klarheit. Es muss beides gelingen: Wir müssen die Gesundheit der Bevölkerung schützen und dürfen unsere Städte nicht lahmlegen.“

Das gehe nur, wenn die Autoindustrie endlich rasch handle und den Stickoxid-Ausstoß von Euro 4- und Euro 5-Dieseln durch Hardware-Nachrüstung und Umtauschprämien deutlich reduziere – und zwar bundesweit.

Spätestens nach dem aktuellen Urteil müsse jedem klar sein: „Punktuelle Lösungen sind absurd, sie bleiben Stückwerk. Wenn jetzt ein großes Stadtgebiet von Essen und Teile einer Autobahn mit Fahrverboten belegt werden, helfen Maßnahmen durch die Autohersteller nur noch, indem sie flächendeckend angeboten werden.“

Schluss mit dem „Klein-Klein“ –Das „Klein-Klein“ der bisherigen Maßnahmen von Bund und Ländern reiche nicht, so Dedy weiter. Erforderlich sei ein Gesamtkonzept für nachhaltige Mobilität. „Wir brauchen einen breiteren Ansatz, für einen stärkeren Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und auch Fußgängerverkehr. Diesen Weg gehen die Städte bereits.“ Bund und Länder müssten ihn stärker unterstützen.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte eine Verbotszone für Essen angeordnet, in die es ausdrücklich auch die A40 im Stadtgebiet einbezogen hat. Dort dürfen ab 1. Juli 2019 nur noch Dieselfahrzeuge der Schadstoffklasse 5 oder höher, vom 1. September an dann nur noch Fahrzeuge der Klasse 6 fahren. Für Gelsenkirchen ordnete das Gericht ebenfalls ein Fahrverbot für ältere Diesel an. Betroffen ist dort eine Hauptverkehrsstraße, die ab Juli 2019 für Diesel-Autos unterhalb der Norm Euro-6 gesperrt wird.

http://www.staedtetag.de/presse/statements/086942/index.html

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Ingrid Remmers, MdB, Die Linke : Haushalt der betrogenen Dieselfahrer ist in einer katastrophalen Schieflage!

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich möchte heute verdeutlichen, welche Auswirkungen die katastrophalen Versäumnisse der Bundesregierung auf die Haushalte der betrogenen Dieselfahrer im Revier und in der ganzen Republik haben.

Wir alle haben von den Gerichtsurteilen in meinem Wahlkreis Gelsenkirchen gehört. Im Ruhrgebiet droht das bislang großflächigste aller Dieselfahrverbote. 18 Stadtteile in Essen sowie Abschnitte der A 40 sind hiervon betroffen. Was bedeutet es für die Haushalte der Dieselfahrer, dass ihre Fahrzeuge inzwischen auch noch den letzten Rest ihres Wertes verloren haben? Für weniger einkommensstarke Familien wird dies schnell existenzbedrohend. Und was bedeutet das für die Mobilität der Dieselfahrer, die demnächst lange Umwege in Kauf nehmen müssen oder erst gar nicht in die Stadt reinkommen? Oder was bedeutet das für die Handwerker, die sich gerade alle fragen müssen, ob sie wohl in ihrer Kommune künftig eine Ausnahmegenehmigung für ihre Fahrzeuge erhalten oder nicht? Laut Handwerkskammer NRW sind rund 25 000 Handwerkerfahrzeuge allein in diesen beiden Städten betroffen, die zu Baustellen oder für Anlieferungen in die Innenstädte fahren müssen. Für Hunderttausende Menschen im Ruhrgebiet wird das Leben künftig in jedem Fall teurer – an Geld und an Zeit. Und das ist das Ergebnis Ihrer Politik.

Statt konkreter Hilfe bekamen die Besitzer von Dieselautos – wir haben es eben schon gehört – kürzlich ein Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes. Darin wird so getan, als ob die Käuferinnen und Käufer die hohen Abgaswerte selbst zu verantworten hätten. Als Lösung wird der Kauf eines neuen Autos der Hersteller BMW, Daimler und VW empfohlen.

Alle anderen Hersteller bleiben außen vor. Herr Scheuer, Sie sollten sich dessen bewusst sein, dass Sie die Wut der Menschen schüren, wenn Sie auf so eine dreiste Art und Weise die Werbetrommel für die Hersteller rühren und damit auch noch Steuergelder verschwenden.

Bei der Gelegenheit fiel mir eine Frage ein. Bei Dieselfahrzeugen von Handwerkern und Lieferdiensten will der Bund die Hardwarenachrüstung weitgehend finanzieren. Von dieser Förderung könnten laut Bundesregierung 945 000 Fahrzeuge profitieren. Wie soll das, habe ich mich gefragt, bei einer im Haushalt vorgesehen Fördersumme von 167 Millionen Euro möglich sein? Bei Kosten von 3 000 Euro pro Fahrzeug reichte das für circa 55 000 Fahrzeuge …

Und wie war das noch mit der Überprüfung der Einhaltung von Fahrverboten? Von einer lückenlosen Videoüberwachung aller Fahrzeuge und aller Fahrzeughalter hat die CSU im Verkehrsministerium sicher schon immer geträumt.

Liebe Bundesregierung, lieber Minister Scheuer, nach acht Jahren geltender Grenzwerte und nach drei Jahren Dieselskandal chaotisieren Sie seit einem Jahr die deutsche Verkehrslandschaft. Und noch immer sind wir von einer Lösung für den Gesundheitsschutz so weit entfernt wie von einem Gesamtkonzept für eine soziale und ökologische Verkehrswende. Und das alles nur, um die Autoindustrie und ihre Milliardengewinne zu schützen.

… Kündigen Sie der Autoindustrie Ihre Freundschaft auf, und sorgen Sie endlich dafür, dass die wahren Verantwortlichen für ihren groß angelegten Betrug und für ihre Ignoranz gegenüber den geltenden Umweltgesetzen die Zeche aus ihren exorbitanten Gewinnen zahlen und die Hardware dieser Fahrzeuge endlich nachrüsten.

Dann stimmen nicht nur die Haushalte und die Nerven der Betroffenen wieder, sondern auch der Bundeshaushalt spart erheblich an Umweltkosten.

www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/fahrverbot-fuer-dieselautos-gut-und-nicht-gut/

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Fahrverbot für Dieselautos – gut und nicht gut

Berlin. „Das Urteil ist gut für die Gesundheit der Menschen Das Urteil ist gleichzeitig nicht gut, weil jetzt die Autofahrer und Autofahrerinnen die Suppe auslöffeln müssen“, erklärt Herbert Behrens, Verkehrsexperte der Fraktion Die Linke, mit Blick auf die aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart zum Fahrverbot für Dieselautos. Behrens weiter: „Diese Suppe wurde ihnen von der Automobilindustrie, aber auch von der falschen Verkehrspolitik in Baden-Württemberg und im Bund eingebrockt. Die grün-schwarze Landesregierung wäre gut beraten, jetzt nicht das Urteil und den Schutz der Gesundheit anzugreifen, sondern sofort Maßnahmen einzuleiten, damit die Stickoxide (NOx) aus dem Straßenverkehr verschwinden.“

https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/

Abb. (PDF): LINKE-Plakatwerbung