Aus Politische Berichte Nr. 03/2019, S.02 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Erfreuliche Neuigkeiten bei der Linken: Europaparteitag überraschend deutlich proeuropäisch

Wolfgang Freye, Essen

Die Parteitage der Partei Die Linke sind immer mal wieder für Überraschungen gut. Der Europaparteitag und die anschließende Vertreterversammlung vom 22. bis 24. Februar haben Festlegungen zur Europawahl getroffen, die nach den langen Debatten der letzten Jahre zwischen „Bekenntnissen“ der Partei zur europäischen Integration und nationalstaatlichen Orientierungen bis hin zum Austritt aus der EU so nicht zu erwarten war. Sowohl das verabschiedete Europawahlprogramm als auch die Liste für die Europawahl sind internationalistisch und reformorientiert, auch in Hinblick auf die EU.

Ende letzten Jahres hatte der Parteivorstand einen vorwiegend EU-kritischen Programmentwurf vorgelegt, in dem die EU gleich zu Beginn ähnlich wie im Grundsatzprogramm als „militaristisch, undemokratisch und neoliberal“ bezeichnet wurde. Auch führende Parteivorstandsmitglieder sahen noch kurz vor dem Parteitag kaum eine Chance, diese Passage zu verändern. Etliche Änderungsanträge und eine Initiative von Gregor Gysi, Dietmar Bartsch, Klaus Lederer und anderen kurz vor dem Parteitag haben dann doch etwas bewirkt, so dass schon der Parteivorstand bei der Beratung der Änderungsanträge die Zeile mit großer Mehrheit aus dem Programmentwurf herausgenommen hatte. Auf dem Parteitag gelang es nicht, das Rad wieder zurückzudrehen – Näheres im nächsten Artikel.

Abgrenzung von rechten Euroskeptikern

Auch in den Medien ist der Parteitag als europafreundlich eingestuft worden. Die europäische Rechte wird mit rechter Anti-EU-Polemik vermutlich deutlich gestärkt ins Europäische Parlament einziehen und wachsenden Einfluss erzielen. Der Wille, sich davon scharf abzugrenzen, ist bei vielen Mitgliedern und Wählerinnen und Wählern der Linken gewachsen. Dieser Wille dürfte ebenso zur Positionierung der Partei Die Linke beigetragen haben, wie die Tatsache, dass die Zusammenarbeit von linken und rechten Kräften weder in Griechenland noch in Italien Probleme gelöst hat. Gerade in Italien hat sie zu einer menschenverachtenden Politik gegenüber Flüchtlingen geführt, die den Tod Tausender Menschen im Mittelmeer kaltschnäuzig einplant.

Die Verwerfungen, die der „mal eben“ in Großbritannien beschlossene Brexit nach sich zieht, machen deutlich, wie eng die wirtschaftlichen Beziehungen in der EU sind. Die Gewerkschaften haben von etlichen Initiativen auf EU-Ebene profitiert und konnten dadurch wichtige soziale Regelungen erreichen – auch wenn die EU von einer Sozialunion weit entfernt ist. Diese Erfahrungen kann man nicht einfach leugnen.

Und noch etwas kommt hinzu: Die Partei Die Linke hat in den letzten Jahren viele Mitglieder gewonnen und ist jünger geworden. Das hat man auch auf dem Parteitag gemerkt. Für viele jüngere Menschen ist die europäische Integration eine Selbstverständlichkeit und nicht nur mit Urlauben im Ausland, sondern auch mit einem Teil der Ausbildung verbunden. Darauf fußt ein Stück weit auch die eindeutige Positionierung der Grünen für Europa, die zu ihrem derzeitigen Höhenflug beiträgt. Insofern ist die positive Wendung der Partei Die Linke weniger einer theoretischen Auseinandersetzung geschuldet als politischen Entwicklungen, die dann doch in der Partei angekommen sind und reflektiert werden.

„Liebeserklärung“ an Europa

Der Wunsch, sich nicht in die Ecke der EU-Gegner einordnen zu lassen, war entsprechend in allen Reden von führenden Parteifunktionären zu spüren. „Für eine starke Linke in ganz Europa!“, hatte Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der Linken, seine Rede überschrieben. Gabriele Zimmer, Fraktionsvorsitzende der linken GUE/GNL-Fraktion im Europaparlament, begann mit den Worten: „Europa ist eigentlich ein linkes Projekt.“ Katja Kipping warb dafür, die Kritik an der EU nicht den EU-Feinden zu überlassen und begründete dies so: „Auf eine andere EU hinzuarbeiten, ist die größere Liebeserklärung an Europa, als zuzulassen, dass die EU so bleibt wie sie ist.“ Und Gregor Gysi führte aus: „Gerade, weil die Rechte national und europäisch an dieser neoliberalen Zerstörung der Demokratie anknüpft und demokratische Strukturen und Grundrechte direkt angreift, müssen wir auch auf europäischer Ebene gegenhalten … Deshalb kämpfen wir für ein Europa und eine EU mit sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Freiheit. Und dann können wir die EU nicht als notwendiges Übel sehen, sondern müssen sie als Chance begreifen … Wir können und müssen die Menschen für unseren Weg in ein linkes Europa begeistern. Und wir müssen keine Angst haben vor einer angeblich europaskeptischen Stimmung …“

Eine fehlte allerdings: Sahra Wagenknecht, Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, war schon seit längerem krank. Ein Fernsehjournalist der ARD frotzelte, gerade deshalb könne es der Linken vielleicht gelingen, auf ihrem Parteitag „Geschlossenheit“ zu zeigen. Tatsächlich war die Stimmung auch während der sehr kontroversen Debatte über Hunderte von Änderungsanträgen im Vergleich zu anderen Parteitagen deutlich sachlicher und entspannter. Zu einem kleineren, hinterher von einigen gezielt hochgespielten Eklat kam es lediglich darum, dass ein Antrag zur Situation in Venezuela und einer zur Konfrontationspolitik des Westens gegenüber Russland an den Bundesausschuss verwiesen wurden. Dies hatte mit einer Ablehnung der Anträge, wie auch von einem Parteivorstandsmitglied bei Facebook behauptet, gar nichts zu tun. Vielmehr wurden aus Zeitgründen alle Anträge verwiesen. Der Bundesausschuss hat die Anträge inzwischen auch mit großer Mehrheit beschlossen.

Pluralistische Europaliste mit Erfahrungen

Auch bei der Wahl zur Europaliste gab es zwar viele Kandidaturen, trotzdem setzte sich bis zum vermutlich letzten aussichtsreichen Platz 8 komplett die Liste durch, die der Bundesausschuss vorher ausgehandelt und vorgeschlagen hatte. Immerhin drei der bisher sieben Mitglieder im Europäischen Parlament haben aus Altergründen nicht mehr kandidiert, Gabriele Zimmer, Sabine Lösing und Thomas Händel. Mit Martin Schirdewan aus Thüringen (1), Cornelia Ernst aus Sachsen (3), Helmut Scholz aus Brandenburg (4) und Martina Michels aus Berlin (5) sind jedoch vier Mitglieder der jetzigen Fraktion im Europaparlament auf den vorderen Listenplätzen.

Neu auf der Liste sind Özlem Demirel aus NRW (2), Ali Al-Dailami aus Hessen (6), Claudia Haydt aus Baden-Württemberg (7) und Malte Fiedler, der als Kandidat des Jugendverbandes antrat (8). Auf der Liste sind damit sowohl Kandidaten, die dem Forum Demokratischer Sozialismus (fds) nahestehen als auch der Antikapitalistischen Linken. Kandidaten, die bei Landesparteitagen auch schon mal mit dem Austritt aus der EU oder zumindest dem Euro geliebäugelt haben wie Michael Aggelidis aus NRW, waren allerdings chancenlos.

In jedem Fall stehen die Voraussetzungen nun nicht schlecht für einen erfolgreichen Europawahlkampf. Ob die Klarstellungen des Parteitages noch vor der Europawahl wirken, bleibt abzuwarten. In den Umfragen dieses Jahres („Sonntagsfrage“) lag Die Linke zu den Europawahlen zwischen 6 bis 9 %, etwas unter den aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl, bei denen sie zwischen 8 bis 10 % liegt. Die Partei ist durch die Auseinandersetzungen der letzten Jahre nach wie vor geschwächt. Der Parteitag 2018 in Leipzig, bei dem viele eine Spaltung nicht ausgeschlossen haben, ist gerade ein dreiviertel Jahr her.

Vierzehn Tage nach dem Parteitag hat Sahra Wagenknecht nun ihren Rückzug aus der Führung von „Aufstehen“ angekündigt. Die zynische Begründung, in der Anfangsphase seien Parteienvertreter wichtig gewesen, jetzt solle die Basis die Sache selbst in die Hand nehmen. So kann man das Scheitern des Versuches, eine Bewegung „von oben“ zu installieren, auch umschreiben. Erst sollte „Aufstehen“ den Einfluss von Sahra Wagenknecht in der Partei Die Linke ausweiten und ausbauen, jetzt verlässt sie die Spitze von „Aufstehen“, um ihren gesunkenen Einfluss in der Partei zu halten.

Bleibt zu hoffen, dass aus dieser Richtung keine Querschläge mehr kommen, die die Chancen der Linken bei der Europawahl mindern.

Abb. (PDF): Pia Klemp, Kapitänin der Seawatch 3, hielt einen mit viel Beifall bedachten Beitrag auf dem Parteitag. „Mit jedem Ertrinkenden im Mittelmeer ertrinkt das Menschenrecht“, so ihre eindeutige Aussage. Und: „Menschenrechte sind unteilbar – so einfach ist das.“