Aus Politische Berichte Nr. 03/2019, S.06a • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Sklaven am Bau – Situation im Vereinigten Königreich

Bill Lawrence, Newcastle upon Tyne

In den Politischen Berichten 6/2018 hatten wir über die Bauarbeitermigration und die sogenannten Gangmasters[1] auf dem Gebiet des Vereinigten Königreiches (UK) berichtet. Wir berichteten, dass der UK-Bausektor größere Probleme bei der Qualifikation und der Rekrutierung von Arbeitskräften hat. Eines von drei Unternehmen beschäftigt daher Arbeitskräfte aus anderen Ländern, um die Lücken zu schließen. Über zehn Prozent der Arbeitnehmer in diesem Wirtschaftszweig sind aus EU-Ländern, hauptsächlich aus Polen, Rumänien und Litauen. Im Großraum London ist die Hälfte der Bauarbeiter nicht in UK geboren.

Die meisten Arbeitsmigranten werden von Gangmasters angeworben. Diese müssen eine Zulassung von der zuständigen Regierungsbehörde GLAA[2] vorweisen können, um ihr Geschäft ausüben zu dürfen.

Das GLAA-Gremium besteht aus sieben Personen des öffentlichen Lebens, die vom Innenminister ernannt werden. Sie kommen aus der Wirtschaft. Es sind neben führenden Industriellen aus der Nahrungsmittel- und Fischereiindustrie auch Spezialisten für Personal sowie Stellenvermittlungen. Es gibt keine Vertreter der Bauindustrie, auch nicht von Beschäftigten oder Gewerkschaften.

Im Jahr 2017 wurden der internationalen Anti-Sklaverei-Hotline 1300 Fälle moderner Sklaverei gemeldet. 167 davon betrafen den Bausektor. So viele aus der Bauindustrie wollen das immer noch nicht wahrhaben. Und das, obwohl mehr als 70 der größten Namen in der Industrie eine wegweisende Vereinbarung unterzeichnet haben, moderne Sklaverei und Arbeitsausbeutung aus dem Sektor auszumerzen. Das sogenannte „construction protocol“ (Bausektor-Protokoll) verpflichtet die Unterzeichner zur Zusammenarbeit mit der GLAA.

„Arbeiter innerhalb des Bausektors sind in Gefahr, missbraucht und ausgebeutet zu werden. Das ist moderne Sklaverei, vor der wir nicht die Augen verschließen dürfen, und ich freue mich, dass Baufirmen begonnen haben, sich dieser Angelegenheit anzunehmen“, sagt Kevin Hyland, der britische Anti-Sklaverei-Kommissar bei der Herausgabe seines Berichts. „Es geht darum, ein faireres System aufzubauen, das die heutzutage gängige Sklaverei aus den Subunternehmerketten im Bausektor heraushält.“ Ab sofort müssen im UK angesiedelte Firmen mit einem Jahresmindestjahresumsatz von 36 Millionen Pfund jedes Jahr Rechenschaft darüber ablegen, was sie gegen die Sklaverei in ihren Untervergabeketten tun.

Die britische Nicht-Regierungs-Organisation FLEX (Focus on Labour Exploitation), mit dem Schwerpunkt Antisklaverei, stellte fest, dass in London mindestens ein Drittel aller europäischen Arbeitsmigranten in der Bauindustrie ohne Bezahlung arbeiten mussten, ohne saubere Verträge, und dass sie verbaler und physischer Gewalt ausgesetzt waren. FLEX fordert mehr Inspektionen auf den Baustellen und sagt, dass moderne Sklaverei die britische Bauindustrie trägt, die mit jährlich mindestens 100 Milliarden Pfund zur britischen Wirtschaftsbilanz beiträgt. In der britischen Bauindustrie gibt es weniger als einen Gewerbeaufsichtsbeamten auf 10000 Arbeiter, in Polen sind es 1 zu 5000, in Norwegen 1 zu 3000.

Die Berichte der GLAA über den Vollzug sind armselig. Der neueste Jahresbericht für 2017 weist für alle britischen Unternehmen lediglich 66 Überprüfungen auf Einhaltung der Regeln auf. Gemeinsame Operationen der GLAA mit Polizei und anderen Agenturen sind dünn gesät.

Im September 2018 wurden in Iver, Buckinghamshire, acht Männer von 100 Beamten befreit, die gezwungen worden waren auf Baustellen zu arbeiten. Zwei Männer und ihre Frauen, die diese Arbeiter beaufsichtigten, wurden festgenommen. Ebenfalls im September wurden zwei indische Angestellte verhaftet und ein 44 Jahre alter rumänischer Bauarbeiter aus der Sklaverei befreit. Das Opfer berichtete den Behörden, dass seine Ausweispapiere und sein Lohn einbehalten wurden, er mit Gewalt bedroht wurde. Bei einer Razzia im November wurde ein Schlepper festgenommen. Sechs Landsmänner von ihm, um die 20 Jahre alt, illegal auf die britische Insel für Arbeit auf dem Bau eingeschleust, wurden aus ihrer Sklaverei befreit.

Im Januar 2019 erlebten elf rumänische Bauarbeiter bei einer morgendlichen Razzia im Zentrum Londons in einem Haus mit Eigentumswohnungen die Verhaftung eines 49jährigen Landsmanns. Der Einsatzleiter der NCA (nationale Verbrechensagentur –National Crime Agency) sagte dazu: „Die heutige Operation ist das Ergebnis von Nachforschungen über eine rumänische Gruppe, die der Beteiligung an illegalem Schleusen und Arbeitsausbeutung in der Bauindustrie verdächtig war. Wir gehen davon aus, dass die Opfer gezwungen worden waren, unter schrecklichen Bedingungen zu leben und der Gruppe mit den Mitteln einer Art Schuldknechtschaft – sehr wenig Lohn für die Arbeit, die sie erbrachten – ausgeliefert waren.“

Bill Lawrence, Sekretär der britischen Kampagne Schutz am Bau (UK Construction Safety Campaign CSC); Mitglied von UNITE, macht regelmäßig Reisen nach Brüssel zu Treffen mit Delegierten aus ganz Europa und EFBH-Funktionären. Auf diesen Reisen beobachtete er einige dieser Schleuser in Aktion. „Früher wären sie auf dem internationalen Bahnhof in London gestanden, um neu ankommende Arbeiter anzuwerben. Heutzutage nehmen sie die Kanalfähre von Calais und laufen in den Schiffsräumen und -bars mit dem Ziel umher, Migranten zu verführen, für sie zu arbeiten“, sagt Bill und fügt hinzu: „Wenn man nur wenig Arbeitsinspektoren auf den Baustellen findet, auf See findest du noch weniger.“

[1] Der Begriff des „gangmaster“ stammt ursprünglich von der Fischerei, Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung: gangmaster vermittelten Saisonarbeitskräfte (früher oft Kinder und Frauen). Er wird auch im Sinne von illegalen Schleppern verwendet.

[2] GLAA: Gangmasters & Labour Abuse Authority – Regierungsbehörde für Vermittler und Arbeitskräfte-Missbrauch. Der GLAA wird verschiedentlich vorgeworfen, ineffektiv, und hauptsächlich auf Medien fokussiert zu sein und Gremiumsmitglieder mit Interessenkonflikten zu haben.

Übersetzung: Eva Detscher und Rolf Gehring