Aus Politische Berichte Nr. 03/2019, S.06b • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Ein humanitäres Landesaufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Geflüchtete!

01 Info: Einige Fakten

Christiane Schneider, Hamburg

Ende Februar hat die Linksfraktion mit einem Antrag an die Bürgerschaft den Vorschlag eines humanitären Landesaufnahmeprogramm zur Debatte gestellt: Hamburg soll jährlich mindestens hundert besonders schutzbedürftige Geflüchteten aufnehmen. Insgesamt, so schlagen wir vor, soll im Rahmen des Programms eine Kapazität von mindestens 500 Plätzen aufgebaut werden.

Grundlage für ein eigenes Landesaufnahmeprogramm ist § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz, der es ermöglicht, dass eine Landesbehörde im Einvernehmen mit den zuständigen Bundesbehörden besonders schutzbedürftigen Geflüchteten einen gesicherten Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt, ohne dass sie ein Asylverfahren durchlaufen müssen.

In den letzten Monaten haben drei Bundesländer ein solches humanitäres Landesaufnahmeprogramm in vergleichbarer Größenordnung auf den Weg gebracht: Berlin und Brandenburg kooperieren bei einem Aufnahmeprogramm, das sich vorrangig an Jezidinnen in Nordirak richtet. In Schleswig-Holstein hatte der Landtag im Juli 2018 einstimmig bei Enthaltung der AfD ein Landesprogramm für insgesamt 500 besonders vulnerable Personen beschlossen. In Zusammenarbeit mit dem UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, hat man sich mit Zustimmung der Bundesbehörden inzwischen entschieden, sich dabei auf die Aufnahme von Geflüchteten aus Lagern in Ägypten und Äthiopien zu konzentrieren.

Weltweit waren 2018 68,8 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Konflikten, Verfolgung, nicht mitgerechnet die Millionen, die aufgrund ökologischer Krisen oder der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen zur Migration gezwungen sind. Der UNHCR geht davon aus, dass es einen Resettlementbedarf für rund 1,2 Millionen Geflüchtete gibt. Das bedeutet, dass 1,2 Millionen besonders schutzbedürftige Geflüchtete aus dem Land, das sie zunächst aufgenommen hat, in einen zur Aufnahme bereiten Drittstaat umgesiedelt werden müssen, weil sie ansonsten den dringend benötigten Schutz nicht erhalten. Resettlement ist also kein Ersatz für reguläre Asylverfahren, sondern eine Ergänzung zum Schutz besonders vulnerabler Geflüchteter.

Die existierenden Resettlementprogramme werden dem Bedarf nicht annähernd gerecht. Das EU-Resettlement-Programm 2018/2019 etwa sieht die Aufnahme von 50 000 Menschen vor. 10200 von ihnen will die BR Deutschland aufnehmen. In den Landesaufnahmeprogrammen sehen wir eine zwar in ihrem Umfang beschränkte, gleichwohl wichtige Initiative „von unten“.

Unser Vorschlag für Hamburg orientiert sich an einem von drei Schwerpunkten für Resettlement-Programme, die der UNHCR entwickelt hat: Libyen. Vor einigen Wochen hat Kanada angekündigt, 750 Geflüchtete aufzunehmen, die in Libyen wie Sklaven gehalten wurden, sowie weitere 100 Menschen, die aus Gefängnissen und Lagern in Libyen gerettet werden konnten und in Flüchtlingslagern in Niger leben. Zum Vergleich: Aus dieser Gruppe will das Bundesinnenministerium lediglich 300 Menschen aufnehmen – beschämend wenig.

Es kann längst von niemandem mehr bestritten werden: Libyen ist die Hölle für Geflüchtete. Wer über Libyen nach Europa zu flüchten versucht, ist in Gefahr, verhaftet oder gekidnappt zu werden. Die Zustände in den offiziellen libyschen Gefängnissen sind katastrophal: Oft teilen sich mehr als 70, manchmal sogar 150 Menschen eine Zelle, ohne ausreichend Platz, Luft, Essen, Trinken, medizinische Versorgung und oft willkürlicher Gewalt ausgesetzt.

Was aus den von Menschenhändlern betriebenen Lagern berichtet wird, ist noch schlimmer: Die Gefangenen werden geschlagen, gefoltert, vergewaltigt, zur Zwangsprostitution gezwungen, als Sklaven oder für Organhandel verkauft, für Zwangsarbeit missbraucht, und immer wieder gibt es Hinrichtungen.

Das alles ist bekannt, auch der EU und der Bundesregierung, wie ein öffentlich gewordener Geheimbericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes zeigt und wie die Bundesregierung eingeräumt hat. Trotzdem kooperiert die EU mit der libyschen Küstenwache, unterstützt sie finanziell, bildet sie aus und rüstet sie militärisch auf. Nach Schätzung von „Ärzte ohne Grenzen“ wurden im ersten Halbjahr 2018 rund 12 000 Menschen mit Unterstützung der EU von dieser Küstenwache aufgebracht und nach Libyen zurückgebracht.

Hamburg muss das Mögliche tun, um Geflüchtete aus den Fängen ihrer Folterer zu befreien und sie aufzunehmen. Oder auch Geflüchtete, die den libyschen Gefängnissen und Lagern entkommen sind, meist physisch und psychisch zerstört, oft ohne Perspektive, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, ohne Zukunft in Lagern in Niger – ihnen bleibt, wenn sie noch etwas Kraft und Mittel haben, nur die Alternative, erneut den Weg nach Europa über Libyen und dann das Mittelmeer zu suchen, mit dem hohen Risiko zu ertrinken. Deshalb schlagen wir vor, dass sich ein eigenes humanitäres Landesaufnahmeprogramm auf diese Gruppe besonders schutzbedürftiger Menschen konzentriert.

Unser Antrag wurde mit den Gegenstimmen der AfD in den Innenausschuss überwiesen, wo er nun ausführlich diskutiert werden wird. In der Bürgerschaftsdebatte am 27.2. ergab folgendes Bild: Die SPD tat sich sehr, sehr schwer mit dem Antrag und verwies auf die bisherigen Leistungen Hamburgs bei der Aufnahme von Geflüchteten; man müsse sich nicht an anderen Bundesländern orientieren, sondern gehe ja oft voran. Die CDU unterstützte unseren Antrag nicht, verschloss sich aber nicht vollständig, sondern betonte die Notwendigkeit, mit dem Bundesinnenministerium zusammenzuarbeiten. Die Grünen zeigten Sympathie für ein Hamburger Landesaufnahmeprogramm. Überraschend war vor allem die FDP, die unserem Antrag recht viel abgewinnen konnte und die eine ergebnisoffene Diskussion im Innenausschuss einforderte. Angesichts dieser Konstellation besteht noch Hoffnung, dass die Überweisung in den Ausschuss nicht einfach nur die stille Beerdigung unserer Initiative für ein Hamburger Landesaufnahmeprogramm bedeutet.

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Info: Einige Fakten

Insgesamt leben in Hamburg etwa 56 000 Geflüchtete, davon etwa 34500 mit einer Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, etwa 8800 Menschen mit einer Niederlassungserlaubnis, etwa 7200 mit einer Aufenthaltsgestattung und 5600 Menschen mit Duldung. Die Zahl der Menschen ohne Papiere (illegalisierte Geflüchtete) ist unbekannt. 2018 wurden 1100 Menschen mit Zwangsmaßnahmen (also Abschiebungen etc., aber auch überwachte sogenannte „freiwillige Ausreisen“ rückgeführt.

Hamburg gehört zu den fünf Bundesländern (neben Hamburg Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Thüringen), die seit 2013 ein Landesaufnahmeprogramm für Menschen aus Syrien haben. Das Problem dieses Programms ist aber, dass es sehr restriktiv ist. Es gilt ausschließlich für den Familiennachzug zu Verwandten ersten oder zweiten Grades in Hamburg; diese müssen Verpflichtungserklärungen abgeben, d.h. für den Lebensunterhalt aufkommen. 2017 und 2018 wurden deshalb im Rahmen dieses Programms gerade einmal 67 Personen aufgenommen.

„Sicherer Hafen“: Die Bürgerschaft hat im September 2018 den Senat aufgefordert, aus Seenot gerettete Geflüchtete aufzunehmen und die Bereitschaft dem Bundesinnenminister mitzuteilen. Damit gehört Hamburg zu den insgesamt ca. 40 Städten und Gemeinden, die ihre Bereitschaft erklärt haben. Infolgedessen hat die BR Deutschland in den letzten Monaten nach langem Zögern in ihre Bereitschaft erklärt, insgesamt 185 Gerettete, vor allem von den Schiffen Aquarius I und II sowie Sea Eye, Prof. Albrecht Penck und Sea Watch III, aufzunehmen. Es sind bisher 89 eingereist.

Beim Relocation-Programms der EU (Umsiedlung von Geflüchteten, die in Italien und Griechenland unter schlimmen Bedingungen festgehalten werden) hatte sich die BR Deutschland verpflichtet, 27500 bis Ende 2017 aufzunehmen. Tatsächlich wurden bis Ende Oktober 2018 nur 5446 Personen aus Italien und 5931 Personen aus Griechenland aufgenommen. Hamburg hatte zugesagt, 700 Personen aufzunehmen – tatsächlich kamen lediglich 456.