Aus Politische Berichte Nr. 03/2019, S.14 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

EGB Europawahlprogramm

Ein nützliches Dokument

01 Einleitung.

01a info: EGB

02 Dokumentiert: EGB Europawahlprogramm (Auszüge)

dok: Blick in die Presse thema: Solidarisches Europa

03 EU–Arbeitsbehörde wird gegründet. …

04 IG BAU: Solidarisches Europa ohne Rechtspopulismus!

05 EU-Parlament stimmt für besseren Schutz vor ausländischen Direktinvestitionen.

Von Rolf Gehring, Brüssel

01

Einleitung. In 23 knapp gehaltenen Punkten hat der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) sein Programm für die Europawahlen präsentiert. Das Programm liegt in verschiedenen Sprachen vor und könnte durchaus mit den Worten zusammengefasst werden:

Wählen gehen – Errungenschaften verteidigen und das bestehende Europa ausbauen und sozialer gestalten.

Das Programm enthält sich damit der meist kenntnislosen Kritik am angeblichen demokratiefreien Europa und wiederholt auch nicht die eher reflexionsfreie Forderung nach einem neuen Europa. Prominent im Programm ist auch die Forderung nach mehr Demokratie am Arbeitsplatz. Hierzu gibt es eine parallele Kampagne des EGB, die auf Revisionen in den einschlägigen schon existierenden Richtlinien fokussiert. Der EGB weist auch auf Erfolge hin, darauf, dass es sich lohnt Einfluss zu nehmen – einiges sei schon erreicht.

Insgesamt ist das Programm stark in Fragen einer gerechten Verteilung und auch stark auf diesen Bereich der Teilhabe und der Umverteilung ausgerichtet. Es bleibt eher vage bei dem, was eine „neue Wirtschaftspolitik“ sein könnte, und trifft damit eine generelle Schwäche der europäischen Gewerkschaften und ihrer Politik. Proklamationen zu Wirtschaft, zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Wirtschaftspolitik verbleiben meist im Raum der makroökonomischen Bekenntnisse und werden selten operativ. Konkrete Produktentwicklung, Produktkritik, Vorstellungen zur Produktionsorganisation oder zur wirtschaftlichen Entwicklung in Regionen, im ländlichen Raum usw. sind eher eine Seltenheit.

Eine weitere konzeptionelle Schwäche der EGB-Politik findet sich an den Stellen, in denen es um die Bedeutung der strukturierten Beziehungen zwischen Lohnarbeit und Kapital geht und um die Bedeutung von Tarifverträgen und der Tarifautonomie. Der EGB unterstreicht die Bedeutung beider Aspekte. Er fordert aber im gleichen Atemzug die Politik auf, den sozialen Dialog politisch zu fördern und zu rahmen sowie die Wirkungsbereiche der Tarifverträge zu erhöhen. Gibt es in diesem Bereich nicht eher eigene Aufgaben? Heißt Koalitionsfreiheit nicht, dass Gewerkschaften mehr Mitglieder und Durchsetzungskraft gewinnen müssen?

Hier zuletzt angesprochen, aber eigentlich zuerst zu nennen: Der Aufruf bekennt sich zu der Tatsache der Migration, zur Integration und zur Notwendigkeit des Erhalts internationaler Kooperation und internationaler Strukturen. Er fordert auf, Europa zu entwickeln, nicht neu zu erfinden und er weist auf Möglichkeiten hin dies zu tun – ein nützliches Dokument.

01

a

info: Dem EGB gehören (Stand: August 2016) 89 nationale Gewerkschaftsbünde aus 39 europäischen Staaten und 10 europäische Branchenverbände mit insgesamt 45 Millionen Mitgliedern an, drei Gewerkschaftsbünde haben Beobachterstatus … Der EGB arbeitet mit gewerkschaftlichen Akteuren aus den mit der EU assoziierten Ländern und Regionen zusammen und kooperiert auch mit dem Internationalen Gewerkschaftsbund. –

Abb. (PDF): . (Logo des EGB) und Infos : https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer_Gewerkschaftsbund

02

Dokumentiert: EGB Europawahlprogramm (Auszüge)

1. Die Europa-Wahlen – vom 23. bis zum 26. Mai 2019 – werden für die arbeitende Bevölkerung von großer Bedeutung sein. Das neu gewählte Europäische Parlament kann entweder die Chance wahrnehmen, die EU zu einem besseren Ort zu machen, oder aber die über viele Jahre aufgebaute europäische Kooperation zu unterminieren.

2. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) – mit etwa 45 Millionen Mitgliedern in 90 Gewerkschaften aus 38 Ländern – ist davon überzeugt, dass ein gerechteres Europa möglich ist, gestützt auf Demokratie und soziale Gerechtigkeit, gute Arbeit und höhere Löhne, sozial nachhaltige und gerechte Übergänge hin zu einer kohlenstoffarmen und digitalen Wirtschaft. Dies sollte die Grundlage sein für einen neuen Gesellschaftsvertrag.

4. Der EGB ruft alle Gewerkschaftsmitglieder und alle WählerInnen dazu auf, an den Europäischen Wahlen teilzunehmen und Parteien und KandidatInnen ihre Stimme zu geben, die unsere gewerkschaftlichen Forderungen unterstützen und so eine bessere Zukunft für Frauen und Männer, Jung und Alt schaffen werden.

Die KRISE HINTERLÄSST TIEFE NARBEN

7. Veränderung ist möglich. Europa kann eine Kraft im Dienste des sozialen Fortschritts sein. Nationalismus bietet keine Lösungen für die Probleme unserer Zeit – nicht für die Monopolmacht und Steuervermeidung multinationaler Konzerne, nicht für Niedriglöhne und Armut, nicht für den Klimawandel, die Umweltverschmutzung oder den Terrorismus. Gemeinsam mit ihren Mitgliedsstaaten kann die EU sicherstellen, dass wir alle an dem Wohlstand teilhaben, den wir zusammen schaffen.

8. Der EGB hat sich bei den führenden Köpfen der EU unnachgiebig für einen Politikwechsel starkgemacht und so schon einige sichtbare Verbesserungen erreicht. Auf heftigen gewerkschaftlichen Druck hin hat die EU einen neuen Investitionsplan ausgearbeitet, die „Europäische Säule sozialer Rechte“ verabschiedet, neue Gesetzesvorschläge für bessere Arbeitsbedingungen vorangebracht und Fortschritte in Sachen nachhaltige Wirtschaftspolitik gemacht. Diese Maßnahmen sind wichtig, wenngleich nicht ausreichend, und die EU muss noch viel weiter gehen – hin zu einem neuen „Gesellschaftsvertrag“, der den BürgerInnen eine gerechtere und egalitärere Gesellschaft mit echten Chancen für alle bietet.

DEMOKRATIE

9. Unsere Demokratie wird von Extremisten bedroht – innerhalb der EU, an unseren Grenzen und darüber hinaus. Der EGB ruft die EU zum Handeln auf, um Demokratie und demokratische Prinzipien, Gewerkschafts- und Frauenrechte zu verteidigen, den Rechtsstaat zu schützen, keine Toleranz für Hassreden und Volksverhetzung zu zeigen, die demokratische Teilhabe zu stärken und das Recht des/der Einzelnen, von Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft zum Einsatz für die öffentliche Sache zu bewahren.

10. Demokratie muss mehr sein als der Gebrauch des Wahlrechts. Sie muss eine tatsächliche Einbindung in politische Entscheidungen sowie demokratische Teilhabe in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz bedeuten. Nationale Regierungen müssen damit aufhören, die EU für jene Fehlentscheidungen verantwortlich zu machen, die sie selbst außerhalb des ordentlichen demokratischen Entscheidungsprozesses der EU durchgesetzt haben.

11. Ein solider sozialer Dialog und effektive Tarifverhandlungen, vor allem auf sektoraler Ebene, sind wesentliche Instrumente wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Demokratie. Das Recht der ArbeitnehmerInnen, informiert und angehört zu werden sowie in Änderungsprozessen am Arbeitsplatz teilzunehmen, muss gestärkt werden, auch durch europäische Betriebsräte.

12. Die EU muss den EU-Vertrag um ein soziales Fortschrittsprotokoll ergänzen, um sozialen Rechten Vorrang gegenüber wirtschaftlichen Freiheiten zu geben.

GUTE ARBEIT UND HÖHERE LÖHNE

13. Europa braucht eine neue Wirtschaftspolitik, die Wachstum fördert, von dem alle profitieren und nicht nur privilegierte Kreise. Progressive und nachhaltige Wirtschaftsreformen müssen umgesetzt werden, damit das „Europäische Semester“ gerecht und sozialer wird, öffentliche und private Investitionen angekurbelt und neue Instrumente geschaffen werden, die ArbeitnehmerInnen vor Wirtschaftskrisen und Schocks schützen. Reformen des EU-Budgets, der Währungsunion und der wirtschaftlichen Governance müssen sicherstellen, dass soziale Gerechtigkeit mit Wettbewerbsfähigkeit einhergeht.

GERECHTE ÜBERGÄNGE

16. Die Lösung – für Lohnsteigerungen, einen höheren Lebensstandard und Arbeit für alle – sind Tarifverhandlungen: Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften für gerechte Löhne und Arbeitsbedingungen, vor allem auf sektoraler Ebene in allen Branchen und Ländern. Dazu müssen die EU und die nationalen Gesetzgeber die Kapazitäten und das Verhandlungsgewicht der Sozialpartner wieder stärken, sodass Tarifvereinbarungen abgeschlossen und umgesetzt werden können und einen größeren Teil der ArbeitnehmerInnenschaft abdecken.

17. Die parallel ablaufenden Übergänge zu einer einerseits kohlenstoffarmen und andererseits digitalen Wirtschaft müssen so gesteuert werden, dass es keine Verlierer gibt. Wir brauchen eine neue Industriepolitik für die EU, um neue Arbeitsplätze und Chancen zu schaffen und um sicherzustellen, dass das EU-Wettbewerbs- und Unternehmensrecht nicht ArbeitnehmerInnen-, Gewerkschafts- und soziale Rechte beschneidet. Mehr Demokratie in den Betrieben würde ebenfalls dabei helfen, sozial gerechten Wandel zu bewerkstelligen.

19. Das bedeutet, dass alle ArbeitnehmerInnen in atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen, in der Plattformwirtschaft und „Gig Economy“ wie auch in herkömmlicheren Sektoren, einschließlich Selbstständigen, gute Löhne, gleichen Zugang zu hinreichender sozialer Sicherung und dieselben Rechte wie alle andere ArbeitnehmerInnen haben müssen, darunter auch das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten und in Tarifverhandlungen zu gehen.

SOZIALE GERECHTIGKEIT

20. Die EU muss ihr Sozialmodell erneuern, indem sie die „Europäische Säule Sozialer Rechte“ auf europäischer und nationaler Ebene vollständig umsetzt.

Hierzu gehören das Recht auf hochwertige Bildung und lebenslanges Lernen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, gerechte Arbeitsbedingungen, faire Löhne, sichere Beschäftigungsverhältnisse, Geschlechtergerechtigkeit, die Work-Life-Balance und öffentliche Leistungen von hoher Qualität. Zugang zu funktionierenden Systemen sozialer Sicherung, gerechten Renten, Wohnung und Sozialleistungen muss für alle garantiert werden, auf Basis gleicher Beiträge und empfangener Leistungen. Die ArbeitnehmerInnen und ihre Gewerkschaften müssen dabei auf allen Ebenen eingebunden werden.

21. Migration muss so gesteuert werden, dass die Menschenrechte geschützt, alle Menschen bei der Arbeit und als Teil der Gesellschaft gleich behandelt werden und es nicht zu Ausbeutung kommt. Durch europäische Zusammenarbeit müssen wir die Integration und Eingliederung von MigrantInnen gewährleisten – dies ist im Interesse aller. Faire Mobilität muss allen ArbeitnehmerInnen, aus der EU wie aus Drittstaaten, garantiert werden und der Kampf gegen Sozialdumping muss eine Priorität sein.

23. Die EU sollte auf eine Stärkung des Bekenntnisses zu internationaler Kooperation hinarbeiten, auch indem sie die Demokratie innerhalb der UN und der IAO unterstützt, sowie andere internationale Organisationen demokratischer machen und soziale Gerechtigkeit fördern.

Quelle: https://www.etuc.org/en/publication/etuc-programme-eu-elections-2019

Abb. (PDF): logo EGB

Abb. (PDF): Cover Europawahlprogramm

dok: Blick in die Presse thema: Solidarisches Europa- Rosemarie Steffens, Langen

03

EU–Arbeitsbehörde wird gegründet. … Die Behörde kann die Rechte von grenzüberschreitend tätigen Beschäftigten stärken, indem sie den nationalen Aufsichtsbehörden hilft, die EU-Arbeitsrechtsregelungen umzusetzen und Verstöße im Bereich Arbeitsmobilität, sozialer Sicherheit und Entsendung von Beschäftigten zu verhindern. Künftig können Gewerkschaften und Beschäftigte Verstöße an die EU-Arbeitsbehörde melden … Sie hat weitreichende Kompetenzen bei der Koordinierung der Sozialversicherungssysteme und Sicherung der Tarifautonomie zur Erreichung kollektiver Vereinbarungen. Aus Sicht der Gewerkschaften muss die Arbeitsbehörde außerdem Scheinselbstständigkeit, Briefkastenfirmen und andere betrügerische Geschäftsmodellen bekämpfen. Dafür wird eine enge Kooperation mit den Gewerkschaften notwendig sein …

(27.2.19, IGM-Verbindungsbüro Brüssel)

04

IG BAU: Solidarisches Europa ohne Rechtspopulismus! Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) wirbt, am 26. Mai zur Europa-Wahl zu gehen und eine proeuropäische Partei zu wählen. „Europa hat uns viel gegeben – vor allem Frieden und Wohlstand. Wir können auf ein gemeinsames Europa nicht verzichten. … Dafür brauchen wir EU-Befürworter im Europäischen Parlament und keine rechtspopulistischen, nationalistischen Hetzer. … Frieden, Solidarität und Umweltschutz wie sie für uns in der EU selbstverständlich geworden sind, lassen sich in autokratischen Staaten nicht durchsetzen … Europas Zukunft steht auf dem Spiel. … Entweder ein gemeinsames Europa, das wir solidarisch gestalten können oder zurück auf den nationalistischen Weg, der uns schon einmal ins Elend gestürzt hat.“

(PM IG BAU, Vorstandsbereich Bundesvorsitzender)

05

EU-Parlament stimmt für besseren Schutz vor ausländischen Direktinvestitionen. Besonders aus China, Russland und Brasilien haben diese Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI) drastisch zugenommen. Die neuen Regelungen sind das erste EU-Instrument zur Überprüfung von FDI aus Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung, wenn diese durch undurchsichtige Unternehmen mit staatlicher Beteiligung oder mit Verbindungen zur Regierung getätigt werden, oder Auswirkungen auf EU-Programme und Projekte haben können.

(PM des EU-Parlaments, 27.2.19)