Aus Politische Berichte Nr. 6/2019, S.06 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Wahlen in Spanien: Sozialisten stärkste Kraft auf allen Ebenen – aber rechter Block behauptet Madrid

Claus Seitz, Schweinfurt /San Sebastián

Die Sozialisten (PSOE) gehen als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor, die konservative Volkspartei (PP) muss schwere Verluste hinnehmen, kann aber im Bündnis mit Ciudadanos und der rechtsextremen Vox die politische Macht in wichtigen Bastionen auf regionaler und lokaler Ebene erlangen.

Der Weg zu den vorgezogenen Parlamentswahlen am 26.4.19

Am 25.5.18 urteilte die „Audiencia nacional“ im großen Korruptionsprozess („Fall Gürtel“), dass die PP sich mittels eines „Systems der Bestechung versus Vergabe öffentlicher Aufträge“, bereichert und eine parallele Struktur illegaler Buchführung und Finanzierung entwickelt hatte. Dem Ministerpräsidenten Rajoy bescheinigte sie, als Zeuge im Prozess nicht „wahrheitsgetreu“ ausgesagt zu haben.

Die Sozialisten stellten daraufhin einen konstruktiven Misstrauensantrag gegen den Ministerpräsidenten Rajoy. Am 1. Juni wählte der Kongress mit Unterstützung von Unidos Podemos und der baskischen und katalanischen Nationalisten Pedro Sanchez zum neuen Ministerpräsidenten.

Am 21.7.18 erkor die PP nach dem Rücktritt Rajoys als Parteivorsitzendem Pablo Casados zum Nachfolger, der sofort einen scharfen politischen Schwenk nach rechts durchführte. – Im Dezember 2018 zog bei den Regionalwahlen in Andalusien mit Vox (10,97 % der Stimmen) erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur wieder eine rechtsextreme Partei in ein spanisches Parlament ein. Ein rechtes Bündnis, PP und Ciudadanos (mit Unterstützung von Vox), löste die seit 36 Jahre regierende und ebenfalls von einem Bestechungsskandal erschütterte PSOE-Regionalregierung ab.

Nachdem Sanchez mit seiner Minderheitsregierung im Parlament nicht die notwendige Mehrheit für den Staatshaushalt 2019 erreichte, setzte er nach neun Monaten im Amt Neuwahlen für den 26.4.19 an. Die katalanischen Nationalisten hatten Sanchez die Unterstützung verweigert, weil er in Verhandlungen um einen Ausweg aus der katalanischen Krise nicht bereit war, die rote Linie der regionalen Selbstverwaltung zu überschreiten.

Wahlkampf

Die rechten Parteien lehnten jeglichen Dialog und Verhandlungen mit den katalanischen Separatisten ab, setzten auf repressive Lösungen und griffen mit aggressiven Parolen die politischen Gegner an. Am feindseligsten gab sich Casados (PP), der Sanchez z.B. als „Schurke“, als „Beteiligter und Verantwortlicher des Putsches“ beschuldigte und ihm vorwarf Spanien zu verkaufen und zu verraten. Albert Rivera (Ciudadanos) erklärte Sanchez zur „Gefahr für den spanischen Staat“ und verhängte einen „Sperrgürtel gegen die Sozialisten“.

Rezentralisierung, Abschaffung der foralen Rechte des Baskenlands, Abbau sozialer und politischer Rechte und neoliberale Wirtschaftsmaßnahmen, Angriffe gegen die feministische Bewegung waren weitere wesentliche Programmpunkte der rechten Parteien.

Die PP kam Vox in vielen Positionen entgegen, noch am Tag vor der Wahl erklärte Casado die Bereitschaft, Vox-Vertreter als Minister in sein Kabinett aufzunehmen.

Die linken Parteien verteidigten den Dialog mit den katalanischen Nationalisten und die Regierungspolitik der Modernisierung und der sozialen Verbesserungen mit Anhebung des Mindestlohns um 22,3 %, Anhebung von Renten und Beamtengehältern.

Die politisch wirkungsvollste Bewegung im Spanien der letzten Monaten war die thematisch sehr breit aufgestellte Frauenbewegung, die u.a. für eine Änderung der Rechtsprechung bezüglich der Gewalt gegen Frauen und für Angleichung der Löhne kämpft; eng verbunden mit einem vielseitigen Kampf gegen prekäre Arbeitsverhältnisse auf lokaler Ebene, daneben die landesweite Bewegung der Rentner für eine dauerhafte Absicherung der Renten.

Insgesamt hatte man den Eindruck, dass es bei den Wahlen darum ginge, ob die Spanier die vielfältigen Fortschritte ihrer jungen Demokratie verteidigen und soziale, gesellschaftliche Modernisierungen in Angriff nehmen wollten oder den Marsch zurück antreten wollten, der thematisch von der extremen Rechten markiert würde.

Wahlergebnis

Bei einer hohen Mobilisierung mit Zunahme der Wahlbeteiligung um über 6 % auf 75,8 % gingen die Sozialisten mit 28,68 % (+ 6,02 %, + 2,05 Mio. Stimmen) als stärkste Partei hervor.

Unidos Podemos mit 14,31 % verlor 6,79 % und 1,3 Mio. von 5 Mio. Wählerstimmen.

Die PP musste erneut schwere Verluste (–16,33 %) hinnehmen. Nachdem sie 2011 mit 10,87 Mio. Stimmen (44,65 %) noch die absolute Mehrheit im spanischen Parlament erreicht hatte, verlor sie in den zwei folgenden Parlamentswahlen 2016 und 2019 60 % ihrer Stimmen (6,5 Mio.) – zweifellos die Quittung für Korruption, politische Arroganz, aber auch für den radikalisierten, maßlosen Diskurs ihrer neuen Parteiführung.

Weitere Gewinner der Wahl waren die nationalistischen baskischen Parteien PNV und EH Bildu, die drei Sitze hinzu gewannen und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), deren Vorsitzender Oriol Junqueras als Hauptangeklagter im Prozess gegen die katalanischen Separatisten inhaftiert ist, mit einem Plus von 6 Sitzen. JxCat, die Partei Puigdemonts, verlor dagegen einen Sitz.

Obwohl die ehemaligen PP-Wähler zum größten Teil auf die anderen Rechtsparteien Ciudadanos 16,7 % (+ 3,65 %) und Vox (mit 10,26 % erstmals im spanischen Parlament) übergingen, kam der rechte Block zusammen mit zwei rechten regionalen Parteien nur auf 153 der 350 Parlamentssitze. Weitere Unterstützung, die nur aus dem Baskenland oder Katalonien kommen könnte, ist ausgeschlossen.

Im Baskenland haben PP, Ciudadanos und Vox von den 18 Sitzen keinen einzigen im neuen spanischen Parlament erreicht, in Katalonien gerade noch 7 von 48 Sitzen. Konservative PP-Wähler sind zur baskischen bürgerlichen Regierungspartei PNV und zur PSOE übergelaufen.

Von den 2019 zusätzlich abgegebenen 2,2 Mio. Stimmen gingen rechnerisch insgesamt 2 Mio. an die Linke und an nationalistische bzw. regionale Parteien.

Das Wahlergebnis kann man als massive Reaktion der spanischen Wähler zur Verteidigung demokratischer Errungenschaften werten. Es scheint die Sehnsucht nach Zukunft die nach der Vergangenheit zu übersteigen.

Viel mehr ist damit noch nicht erreicht, insbesondere eine dringend notwendige Reform der Verfassung (föderale Territorialstruktur verbunden mit einer positiven Anerkennung der Plurinationalität, d.h. auch eine Lösung des Katalonienkonflikts) scheint weit entfernt.

Schwierige Regierungsbildung

Die linken Parteien PSOE und Podemos vereinigen zusammen mit linken Regionalparteien 167 Sitze im Parlament. Weitere 6 Stimmen sind von der baskischen PNV zu erwarten. Das heißt, dass die Sozialisten für eine erfolgreiche Regierungsbildung zumindest auf die Enthaltung eines Teils der katalanischen nationalistischen Abgeordneten angewiesen sind. Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) scheint dies positiv zu erwägen. Die Sozialisten erklären jedoch offiziell, dass sie ihre Regierungsbildung nicht vom Verhalten der katalanischen Parteien abhängig machen will und fordern PP und Ciudadanos aus Gründen der Staatsräson zur Enthaltung auf (ähnlich Ex-PP-Regierungschef Rajoy).

Parallel verhandeln PSOE und Podemos über die künftige Regierungsbildung. Während Podemos eine Koalitionsregierung mit Ministerposten in sozialen Bereichen anstrebt, bietet Sanchez Podemos eine „Kooperationsregierung“ an: programmatische Übereinkunft, um soziale Fortschritte zu erreichen; institutionelle Zusammenarbeit; Posten für Podemos auf mittlerer Regierungsebene, d.h. Staatssekretäre oder Generaldirektoren, aber keine Ministerposten.

Eine Linksregierung, abhängig von der Billigung der katalanischen Nationalisten, wäre von Geburt an mit dem Stempel der Instabilität versehen. Über allem würde das ausstehende Urteil des Obersten Gerichts im Prozess gegen die katalanischen Separatisten schweben, das im Laufe der nächsten Monate erfolgen soll.

Europa-, Regional- und Kommunalwahlen am 28.4.19

Die Wahlen bestätigten im Wesentlichen das Ergebnis der Parlamentswahlen, allerdings mit schwächeren Ergebnissen vor allem für Vox, aber auch für Ciudadanos und Podemos.

Die PP konnte aber trotz ihrer Stimmenverluste im Bündnis mit Ciudadanos, unterstützt durch Vox die politische Macht in einigen wichtigen autonomen Regionen und Städten erreichen.

Regierungen der zehn größten spanischen Städte:

PP mit Ciudadanos (unterstützt durch Vox) – Madrid, Saragossa, Malaga, Murcia. | PSOE – Sevilla, Palma de Mallorca, Las Palmas | Linke Bündnisse (mit PSOE) – Barcelona, Valencia. | PNV – Bilbao

Städte mit über 50 000 Einwohnern (143) regieren künftig:

PSOE 76 (+8), PP 34 (-7), UP mit reg. Parteien 6 (-5), Ciudadanos 6, PNV 5, ERC 4, JxCat 3, Andere 9

Auf Ebene der autonomen Regionen ergibt sich (vorbehaltlich abschließender Koalitionsverhandlungen) ein ähnliches Bild:

PP mit Ciudadanos (unterstützt durch Vox) – Madrid, Kastillien-León, Murcia | PSOE mit Podemos, Compromis, PCR, u.a. – Valencia, Asturien, Kantabrien, Navarra, La Rioja, Aragonien, Extremadura, Balearen, Kanaren. PSOE gewinnt Navarra, La Rioja, Kanaren hinzu.

Nicht gewählt wurde in Andalusien, Galicien, Baskenland und Katalonien.

Abb. (nur im PDF): Rentnerdemonstration am 11. Mai in San Sebastián: Für 1080 Euro Mindestrente