Aus Politische Berichte Nr. 6/2019, S.23 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

 5.Oktober 1943 • M A L T A

01 Die Geburt der General Workers’ Union

02 Freedom Day 31. März

03 Reggie Miller 1898–197

01

Die Geburt der General Workers’ Union

Jesmond Marshall, Sliema/Malta

Nach dem Ende der Belagerung Maltas während des Zweiten Weltkriegs sahen sich die Malteser 1942 mit hohen Lebenshaltungskosten und Nahrungsmangel konfrontiert. Viele Lebensmittel blieben knapp oder waren von minderwertiger Qualität. Der Frieden führte zu Arbeitslosigkeit in den Werften. Maltesische Arbeitnehmer erhielten nicht einmal den gleichen Lohn wie ihre britischen Kollegen für die gleiche Arbeit auf der Werft oder bei den britischen Behörden. All dies führte zu großer Unzufriedenheit bei den Maltesern. Während die Briten ein menschenwürdiges Leben führen konnten, lebten die Malteser in Armut in ihrem eigenen Land, nachdem sie während des Krieges die gleichen Härten erlitten hatten wie die Briten. Malta wurde seit 1800 von den Briten regiert und wurde ab 1814 zu einer Kolonie des British Empire.

Gegen Ende 1942 überzeugte Reggie Miller, ein ziviler Angestellter auf der britischen Marinewerft, eine kleine Gruppe von Arbeitern, eine durchsetzungsfähige Gewerkschaft zu gründen. Die erste Sitzung dieser Gewerkschaft fand im März 1943 statt. Bei diesem sehr gut besuchten Treffen wurde Reggie Miller zum Generalsekretär ernannt. Es wurde auch ein Interimsausschuss gewählt, um die Satzung der neuen Gewerkschaft auszuarbeiten, die einige Tage später verabschiedet wurde. Weitere Treffen fanden in ganz Malta statt, um mehr Arbeitnehmer für den Beitritt zur Gewerkschaft zu gewinnen. Die ersten Mitglieder registrierten sich am 1. Juli 1943. Im ersten Jahr des Bestehens der Gewerkschaft traten 22 000 Mitglieder bei. Die Allgemeine Arbeitergewerkschaft (GWU – General Workers’ Union) wurde am 5. Oktober 1943 offiziell gegründet. Eine derartige Vereinheitlichung und Vereinigung von Arbeitern war ein Moment in der maltesischen Geschichte, wie es ihn zuvor noch nie gegeben hatte. Diese Einheit innerhalb der GWU war der Anfang einer Periode, in der die Arbeitnehmer Rechte erwarben, von denen sie nur träumen und auf die sie bislang nur hoffen konnten.

Die GWU forderte die Einführung gesetzlich verankerter Rechte für die Gewerkschaften. Diese Forderung wurde im März 1945 mit der Verabschiedung der Verordnung über Gewerkschaften und Arbeitskonflikte im Jahr 1945 erfüllt. Diese sah die obligatorische Registrierung von Gewerkschaften und die Ernennung eines Gewerkschaftssekretärs vor. Dies war eine bedeutende Errungenschaft für die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen in Malta, da die Gewerkschaften in Malta Immunität für mögliche Rechtsverstöße in Zusammenhang mit Arbeitskämpfen erhielten.

Auch bei der Verabschiedung des Gesetzes von 1952 über die Arbeitsbedingungen (CERA) spielte die Gewerkschaft eine wichtige Rolle. Dieses Gesetz etablierte Lohnausschüsse, welche Arbeitnehmern gleiche Rechte bei gleicher Arbeit sicherten. Es wurden Maßnahmen zum Schutz älterer Menschen und Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz eingeführt. Der maltesische Arbeitnehmer sah, dass seine Arbeitsbedingungen denen der am weitesten entwickelten Länder und den von der Internationalen Arbeitsorganisation geforderten Standards angenähert wurden. Dieses Gesetz war für die Arbeitnehmer des Privatsektors sehr vorteilhaft. Die Arbeitnehmer in diesem Sektor litten unter ungünstigen Arbeitsbedingungen aufgrund fehlender zeitgemäßer Rechtsvorschriften. Die Verordnung VII von 1868 galt noch immer für Arbeitnehmer des privaten Sektors.

Leider entsprach das CERA-Gesetz von 1952 nicht den Bedürfnissen der weiblichen Beschäftigten. Frauen erhielten nicht den gleichen Lohn wie Männer; das Recht zu heiraten und weiterzuarbeiten wurde nicht gewährt, und es gab keinen Schutz während der Schwangerschaft. Diese Ungerechtigkeit wurde schließlich 1976 behoben, als den weiblichen Arbeitnehmern gleicher Lohn und gleiche Rechte wie ihren männlichen Kollegen gewährt wurden. Die Gewerkschaft konnte tatsächlich umsetzten, was sie forderte: Die ersten Arbeitnehmerinnen, die 1945 der Gewerkschaft beitraten, erhielten die gleichen Rechte und Entgelte wie ihre männlichen Kollegen. Diese Frauen waren nicht mehr gezwungen zu kündigen, wenn sie heirateten.

Die GWU übernahm durch Reggie Miller, den Generalsekretär, zwischen Januar 1945 und 3. März 1947 eine wichtige Rolle in der Nationalversammlung. Reggie Miller wurde später zum Sekretär dieser Versammlung gewählt. Während der Diskussionen über eine neue Verfassung schlug die GWU zusammen mit der Maltesischen Arbeiterpartei vor, das Mehrfachstimmrecht abzuschaffen. Es sollte der Grundsatz „ein Mann oder eine Frau – eine Stimme“ eingeführt werden. Eine Mehrheit in der Versammlung stimmte zu, dass allen Männern ab 21 Jahren das Stimmrecht gewährt wird. Kirche und andere konservative Kreise waren gegen das Frauenwahlrecht. Schließlich beschloss die Nationalversammlung 1945, dass Frauen das aktive und passive Wahlrecht haben sollten. Die Frauen wählten zum ersten Mal im Jahr 1947.

Von Anfang an legte die Gewerkschaft großen Wert auf das Problem der Lebenshaltungskosten und des Lebensstandards. Bei den ersten Treffen mit den Behörden forderte die Gewerkschaft Lohnerhöhungen, damit die Arbeitnehmer ein menschenwürdiges Leben führen konnten. Die GWU wollte sicherstellen, dass die Arbeitnehmer bei fehlenden adäquaten Sozialdiensten für Notfallsituationen, wie z.B. bei Krankheit, Ruhestand oder Arbeitslosigkeit, ausreichend Geld verdienen.

Am 5. Januar 1946, nachdem die Diskussionen über Lohnerhöhungen und andere noch offene Fragen wie das Recht auf ein Schiedsverfahren gescheitert waren, rief die Gewerkschaft zu einem nationalen Protest auf, der zu einem Generalstreik führte. Dieser Streik lähmte das ganze Land. Die Geschäfte blieben geschlossen, die öffentlichen Verkehrsmittel standen still und alle, Facharbeiter und Arbeiter, blieben nach dem GWU-Aufruf, nicht zur Arbeit zu gehen, zu Hause. Es gab keine Berichte über Auseinandersetzungen während des Tages. Dieser von der GWU organisierte Protesttag gilt als der erste Generalstreik in der Geschichte Maltas, der von einer Gewerkschaft ausgerufen wurde. Im Laufe ihrer Geschichte rief die Gewerkschaft zwei weitere Generalstreiks aus, einen am 28. April 1958 und einen weiteren am 25. Oktober 1994.

Nach mehreren Sitzungen und dem Generalstreik vom Januar 1946 gaben die britischen Behörden nach und akzeptierten die von der General Workers’ Union vorgeschlagene Lohnerhöhung. Der Mindestlohn für die Beschäftigten der britischen Behörden und Werften sollte drei maltesische Lira (7,00 EUR) pro Woche betragen. Damals orientierte sich der Privatsektor bei Lohnerhöhungen an den Löhnen, die an die Beschäftigten der britischen Behörden und Werften gezahlt wurden. Arbeitnehmerinnen erhielten nur 75 % dieses Lohns, was für die Gewerkschaft nicht akzeptabel war.

Auf einem GWU-Treffen 1943 sagte Reggie Miller, dass die einzige Lösung für maltesische Arbeitnehmer, die gleichen Bedingungen und den gleichen Lebensstandards wie britische Arbeitnehmer zu erhalten, die Integration in das Staatswesen Großbritannien sei. Malta war seit 1800 unter britischer Herrschaft. In ihrem Wahlprogramm von 1955 schlug die Arbeiterpartei zwei Alternativen zu den Beziehungen Maltas zu Großbritannien vor: Integration oder Selbstbestimmung (Unabhängigkeit). Die GWU ermutigte ihre Mitglieder, die Labour Party bei dieser Wahl zu unterstützen. Nach dem Wahlsieg hielt die Labour-Regierung ein Referendum ab, bei dem die maltesische Regierung das maltesische Volk entscheiden liess, ob es die Integration wünschte. Die GWU unterstützte den Aufruf zur Integration. 75 % stimmten für die Aufnahme in das Vereinigte Königreich, aber der Plan der maltesischen Regierung scheiterte, weil die britische Regierung nie beabsichtigt hatte, den Maltesern die gleichen Rechte wie den Briten zu geben. Nachdem der Integrationsplan gescheitert war, gründete die GWU zusammen mit der Maltesischen Arbeiterpartei die Freiheitsbewegung. Malta wurde am 21. September 1964 unabhängig, am 14. Dezember 1974 wurde es zur Republik und am 31. März 1979 wurde es völlig frei und souverän. Während der offiziellen Feier am 31. März 1979 entzündeten Premierminister Dom Mintoff und George Agius, der Generalsekretär der GWU, gemeinsam die Fackel der Freiheit.

Was in den frühen 1940er Jahren als Traum für einige wenige Werftarbeiter begann, wurde zur wichtigsten Gewerkschaftsbewegung Maltas. Mit mehr als 40 000 Mitgliedern sind 10 % der maltesischen Bevölkerung Mitglied der GWU. Mit dieser Gewerkschaftsbewegung haben die Malteser große Fortschritte erreicht, nicht nur in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, sondern auch in Bezug auf die bürgerlichen Freiheiten. Die GWU stand bei den Minderheitenrechten immer an vorderster Front. Unter dem Motto „Die Zukunft ist jetzt“ feierte die GWU 2018 ihr 75. Gründungsjahr.

Übersetzung aus dem Englischen durch: Luc Ockers, Büllingen/Belgien

Abb. (nur im PDF): Logo GWU

Abb. (nur im PDF): General Workers’ Union Building Monument

Abb. (nur im PDF): Auseinandersetzungen am 28. April 1958

02

Freedom Day 31. März 1979

Bis 1979 war Malta stark genug geworden, um seine Angelegenheiten zu regeln, ohne das Land an ausländische Mächte für Militärbasen abzutreten. Der britische Militärstützpunkt wurde geschlossen, nachdem die britische Regierung sich weigerte, die 1979 an Malta geschuldete Miete zu zahlen. Am 31.3.1979, um Mitternacht, fand eine Gedenkfeier an dem Denkmal statt, das eigens für diesen Anlass am Seedeich von Vittoriosa errichtet worden war. Die britische Flagge wurde gesenkt und die maltesische Flagge gehisst. Premierminister Duminku Mintoff und George Agius, Generalsekretär der GWU, entzündeten die Fackel der Freiheit. Überall in Malta und Gozo wurden große Feste gefeiert. Am 1.4. salutierte der Präsident der Republik, Dr. Anton Buttiġieġ, der HMS London, (HMS: Her Majesty’s Ship) das letzte britische Kriegsschiff, das den Grand Harbour im Hafen von Valletta verließ. Der seit langem unerfüllte Traum der maltesischen Patrioten war Wirklichkeit geworden. Nach Jahrhunderten des Dienstes an einer fremden Macht nach der anderen hatten die Malteser nun die volle Souveränität in ihrem eigenen Land. Der Freedom Day, Tag der Freiheit, ist einer der fünf gesetzlichen Feiertage in Malta. Die anderen Tage sind der Unabhängigkeit, der 7. Juni, und dem Gedenken an die Unruhen von 1919, sowie dem Sieg und Tag der Republik gewidmet.

Abb. (nur im PDF): Ministerpräsident Mintof und GWU Sekretär Agius entzünden die Fackel der Freiheit

Abb. (nur im PDF): 1.4.1979: Das letzte englische Kriegsschiff verlässt die Insel.

03

Reggie Miller 18981970

Reggie Miller wurde am 1.11.1898 im Badeort Sliema geboren. Im Alter von 16 Jahren ging Miller zur Universität, aber wegen finanzieller Probleme in seiner Familie beendete er sein Studium nicht. Im Februar 1917 begann er als Angestellter auf der Marinewerft der Admiralität zu arbeiten. Miller war bei den Unruhen vom 7. Juni 1919 dabei. An diesem Tag schossen britische Truppen in die Menge und töteten vier Malteser. 1930 nahm Miller an seinem ersten Gewerkschaftstreffen teil. Organisiert wurde dieses von der Civil Service Clerical Association. Im Jahr 1931 wurde er zum Sekretär dieser Gewerkschaft gewählt. Miller war der Ansicht, dass zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen alle Kategorien von Arbeitnehmern vereint werden sollten. Die hohen Lebenshaltungskosten durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zwangen die maltesischen Gewerkschaften, einen Kriegsbonus zu verlangen. Miller wurde zum Sekretär des Komitees gewählt, um diese Kriegsentschädigung zu beraten. Zu dieser Zeit entwickelte Miller die Idee einer Allgemeinen Arbeitergewerkschaft. Sein Traum wurde am 5.10.1943 mit der Gründung der General Workers’ Union Wirklichkeit. Nach seinem Rückzug aus der GWU zog Miller nach England, wo er am 21. 7.1970 starb.