PB
PDF

PB
ARCHIV

Nr.7/2019, S.02a

Ursula von der Leyens Kommissionspräsidentschaft: Eine Herausforderung für die Friedenspolitik

Martin Fochler, München

In dem unter großer Anteilnahme der europäischen Öffentlichkeit neu gewählten Europaparlament konnten die Parteifamilien nicht zu einem Mehrheitsvotum für die Besetzung des Kommissionspräsidiums finden. Damit hat das Europaparlament, das um Vorschlagsrechte für Personalentscheidungen und Gesetze kämpft, die politische Initiative verloren. Wäre im Parlament eine Mehrheit sichtbar geworden, so hätte das übergreifenden sozial- und menschenrechtlich und ökologisch relevanten Projekten Schwung verliehen und die Diskussion der europäischen Öffentlichkeit Europas belebt. Die politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger Europas ist somit nicht gefördert worden – wie es hätte kommen können. Sie wurde geschwächt, wie es (so würden es manche sagen) hat kommen müssen. Im Verhältnis der geteilten Gewalten wurde die Exekutive gestärkt.

Formal und unübersehbar, weil die Besetzung des Kommissionspräsidiums wesentlich Sache der Exekutivrepräsentanten der EU-Staaten geblieben ist. Das Europaparlament, und im Europaparlament insbesondere die bundesdeutschen Sozialdemokraten, gerieten in die Rolle eines politischen Unsicherheitsfaktors. Sie konnten nicht andeutungsweise sagen, was nach einer Niederlage der Kandidatin von der Leyen konkret geschehen soll.

Auf eine Verlagerung der politischen Bindekräfte der Union lässt schließen, dass sich die Staats- und Regierungschefs mit Frau von der Leyen auf eine Person verständigten, die ihnen als Verteidigungsministerin bekannt war. Die Militärangelegenheiten der EU sind über die Nato verklammert. Die Einigung auf diese Personalie markiert somit eine Akzentverschiebung von der zivilen auf die militärische Zusammenarbeit.

Nun hat Frau von der Leyen im Zuge ihrer Bewerbung die militärpolitischen Aspekte nicht in den Vordergrund gestellt. Da sie vom Parlament gewählt werden musste, hat sie dessen Part übernommen und soziale, ökologische und partizipative Versprechen formuliert. Warum ist es ein großer Unterschied, ob soziale, ökologische, demokratische Reformen von gewählten parlamentarischen Vertreterinnen und Vertretern formuliert werden oder von der Exekutive?

Die Initiative einer parlamentarischen Mehrheit zeigt an, dass ein zivilgesellschaftlicher Aushandlungsprozess vorausgegangen ist, der den Geist von Gesetzen und Verordnungen bestimmt. Fehlt es daran, hat man eine Behörde, die ewig zerstrittene und zur Selbstverwaltung unfähige Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Glück zwingen kann und darf, weil sie die bessere Einsicht hat.

Der Nimbus der höheren Warte hilft den Rüstungsprojekten weiter, die in der Bevölkerung der EU-Staaten nicht populär, aber technisch auf dem Weg sind. Jagdflugzeug, Panzerwaffe, Marinerüstung, Weltraumpräsenz, Cyberkrieg – gigantische Ausgaben. Die EU tritt in eine Phase ein, in der sie sich weniger über wirtschaftliche, soziale und menschenrechtliche Ziele legitimiert und mehr über politisch-militärische. Die Militarisierung der Außengrenzen findet statt – sei es durch Abschottung wie im Mittelmeer, sei es durch Anschluss neuer Gebiete, wie im östlichen Europa.

Die sozial, demokratisch und ökologisch eingestellten Vertreterinnen und Vertreter im Europaparlament sind auf diese Ziele ausgerichtet. Auf diesen Gebieten waren in der Vergangenheit Erfolge mit – und bis zu einem gewissen Grade auch gegen – die EU-Behörden erreichbar, insbesondere im Zusammenwirken mit den gewerkschaftlichen und ökologischen und menschenrechtlichen Bewegungen.

Gegen die Militarisierung der europäischen Politik gibt es europaweit Bewegungen, ein Konzept zur Abrüstung Europas, das nur greifen wird, wenn es mindestens mit den nahen Nachbarstaaten vereinbart ist, liegt aber nicht vor. Damit bleibt das Kerngebiet der Außenpolitik in der Hand der exekutiven Organe. Die Besetzung des Amts des EU-Außenbeauftragten, das nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs von Josep Borrell aus Spanien wahrgenommen werden soll, steht im Europaparlament zur Bestätigung an. Damit besteht jedoch auch eine Chance, die EU-Außen- und Sicherheitspolitik zum Thema der zivilgesellschaftlichen Kritik und der Suche nach Alternativen zu machen.