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Nr.7/2019, S.16

„Europa der Nationen“

Wird der Europabegriff der Rechten neu besetzt

01 Dok: „transform! Europe“ Studie

Eva Detscher, Karlsruhe. Zur Erfassung der Stimmungslage nach den Wahlen zum Europäischen Parlament luden die Stiftung bei der Europäischen Linken transform!Europe und die Rosa Luxemburg Gesellschaft im Juni zum „Wiener Seminar“.

Mehr Fragen als Antworten – so könnte die Stimmungslage beschrieben werden. Berichte aus Griechenland, Spanien, Belgien, Großbritannien, Tschechien, Dänemark, Italien, Polen, Finnland, Frankreich und Deutschland sowie Beiträge u.a. über die Schwierigkeit der Entwicklung einer gemeinsamen linken Politik, aber auch über Möglichkeiten linker Projekte in Zusammenarbeit mehrerer Parteien wurden offen diskutiert – unter dem Einfluss einer gestärkten rechten Gruppe im Europäischen Parlament. Dass die Lage für die gewählten Mitglieder im EP sehr ernst ist, wurde von Gabi Zimmer eindrucksvoll dargelegt. Ihr Beitrag wie auch alle Länderberichte auf der website von transform (https://www.transform-network.net).

Bei den Diskussionen über die Rechten standen immer zwei Ansätze im Raum: betrachten die Linken die Rechten als Konkurrenz oder sind sie die konsequentesten Bekämpfer der Rechten? Diese Methodik der Übernahmestrategie beleuchtet die Studie „Die extreme Rechte in Parlamenten in Italien und Österreich“.

Vorgestellt wurden auch Studien, die sich mit der Entwicklung der extrem Rechten in Europa auseinandersetzen, wie die nebenstehend dokumentierte.

Abb. (PDF): Tabelle: Neue Rechtsfraktion im Europaparlament

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„transform! Europe“ wirft in dieser Studie einen Blick auf nationale Programme rechtspopulistischer und -extremer Parteien und untersucht sie auf ihre Haltung zu Europa. Die Befürchtung besteht, dass die Wahlerfolge der Rechten zu einer engeren Zusammenarbeit führen und ihr Einfluss innerhalb des EU-Parlaments wachsen könnte. Nach der Wahl bildet nun die Gruppe „Identität und Demokratie“, im April 2019 von Salvini ins Leben gerufen, die Nachfolge der Gruppe ENF mit Mitgliedern von neun rechten Parteien. Siehe auch unseren Bericht „Rechtsruck bei den Rechten im EU-Parlament“ in PB 6/2019. Übersetzung und Zusammenfassung der Studie: Rosemarie Steffens

„Man könnte vermuten, dass aufgrund der nationalistischen Haltung, die alle Parteien vertreten, die Zusammenarbeit – wegen der jeweils eigenen Interessen – nur ziemlich begrenzt sein kann,“ so die Studie. „jedoch gibt es auf Parlamentsebene durch Bildung von parlamentarischen Gruppen in der Zusammenarbeit der einzelnen Parteien, aber auch persönlich, in den letzten Jahren beachtliche Anstrengungen. Die Parlamentarier organisieren sich nicht national, sondern entlang ideologischer Linien. Die Gruppen müssen mindestens 25 Mitglieder aus mindestens sieben Ländern haben, um offiziell anerkannt zu werden, garantierte Sitze in Komitees und finanzielle Unterstützung zu bekommen. Die parlamentarischen Gruppen spielen eine lebendige Rolle im Parlamentsleben, sie können Vorschläge und Verbesserungsanträge für die Tagesordnungen der Parlamentssitzungen einbringen.“

Beobachtet wird bei nationalistischen bis rechtsextremen Parteien eine Veränderung ihrer Haltung gegenüber Europa.

„Die europäische Idee kann mit verschiedenen Bedeutungen gefüllt werden. Meistens werden Europa und EU in der Bedeutung gleichgesetzt, was Zustimmung zum (neo)liberalen westlichen System bedeutet, das ändert sich aber gerade bei der Rechten. Verfolgt man die Bestrebungen Salvinis mit der Gründung der neuen Gruppe „Identität und Demokratie“, so verlagert sich seine Rhetorik von einer Gegnerschaft Europas hin zum Ziel der Änderung Europas von innen heraus. Die EU soll seiner Ansicht nach gerettet werden vor Bürokraten, um den Europäischen Traum zu leben. Waren die Statements vorher anti-europäisch, verstehen sich die rechten Parteien jetzt immer mehr als Verteidigerinnen des wahren Europa. Dieser Europabegriff, der in den 60er Jahren in Frankreich von der Nouvelle Droite wieder aufgegriffen wurde, baut auf dem Europaverständnis der Nationalsozialisten auf, die Europa als Bollwerk gegen jüdisch-bolschewistischen Einfluss begriffen und Antisemitismus, Kolonialismus und Nationalismus in dieses europäische Verständnis integrierten.“

Vier Gesichtspunkte europafeindlicher Haltung

1. Nationale Souveränität steht an oberster Stelle. (Nationalstaaten sind eine individuell gewachsene Einheit im Unterschied zur künstlich geschaffenen EU). 2. Ablehnung jeglicher Übertragung staatlicher Souveränität an die EU. 3. Restriktive Regelung der Migration. 4. Ausschließliche Anerkennung nationaler Staatsbürgerschaft, Ablehnung einer europäischen. – Daran wurden fünf Parteien, nämlich die Dänischen Volkspartei (DPP), die Holländische Freiheitspartei (PVV), AfD, Lega (Italien) und Rassemblement National (RN, Frankreich) gemessen.

DPP: Völlige Opposition zur EU. Migration: Dänemark ist kein Einwanderungsland, Dänemark den Dänen, abgesicherte Grenzen. Das ideologische Herz des Programms ist der Nationalismus. „Liebe zum dänischen Vaterland“, … wir erlauben nicht, dass Dänemark seine Souveränität aufgibt. Kulturelle Identität: Christentum als Wurzel und die Dänische Ev. Reformierte Kirche als „Kirche der Dänen“, die vom Staat unterstützt werden sollte, sowie die Vater-Mutter-Kind-Familie als Kern der Kultur und die konstitutionelle Monarchie.

PVV (Wilders) Herausragendster Programmpunkt: Anti-Islamismus, unverhüllter Rassismus. Schließung der Moscheen, Verbot des Korans. Liberale, grundlegende Menschenrechtsprinzipien gelten nicht für den Islam. Austritt der Niederlande aus der EU, Auflösung der EU, Wiedereinführung des Guldens. Beendung der Freizügigkeit für Polen, Rumänen und Ungarn. Keine Einwanderung aus muslimischen Ländern! Die Wurzeln der niederländischen Identität sind in Jerusalem, Rom und Athen. Staatsangehörigkeit kann nur niederländisch, nicht europäisch sein.

AfD. Ziele: Europa der Vaterländer als Gemeinschaft souveräner Staaten. Verstärkung des Mehrheitssystems in der Entscheidungsfindung des Europäischen Rats, Abschaffung der Vorherrschaft des Europäischen Gerichtshofs, Volksentscheide zu wichtigen Themen, mehr Geld für nationale Armeen, keine EU-Steuern, Rückkehr zu nationalen Währungen, Ablehnung allgemeiner Asyl- und Migrations-, Ausländer- und Sicherheitspolitik, der Freizügigkeit und der Schengen-Richtlinien, Kooperation zwischen Nationalstaaten, kein europäischer Superstaat. Wenn die EU-Reform nicht stattfinde, solle die EU aufgelöst und neu gegründet werden als ökonomische Vereinigung: „Dexit“ nach einem Referendum. Verkleinerung des Civil Service, Degradierung des Europ. Gerichtshofs zu einem Schiedsgericht. Förderung der Remigration und ausnahmslosen unbürokratischen Abschiebungen. Angstschüren vor einer existenziellen Bedrohung der europäischen Zivilisation.

Lega. Seit 2013 (von Salvini geformt): euroskeptische Position mit aggressivem rassistischem Ausdruck gegen Roma und Sinti, Fremde, speziell Einwanderer und Flüchtlinge aus Afrika oder muslimischen Ländern. Forderung eines Wegs, wie Italien die EU verlassen kann. Die neue EU soll dann nichts mehr gemein haben mit der jetzigen, nur noch eine Wirtschaftsunion sein. Migration hat einen prominenten Platz im Programm. Eine Liste restriktiver Regeln zu Einwanderung, besonders für Asylsuchende. Aggressive Rhetorik, die auch mit dem Gesetz kollidiert, z.B.:Arrest für Asylsuchende bis ihr rechtlicher Status entschieden ist oder die Forderung, zu unterbinden, dass Schiffe mit geretteten Flüchtlingen die Häfen Italiens ansteuern, um Flüchtlinge in Sicherheit bringen.

RN (ehemals FN). Etablierung als „Mainstreampartei“ unter Marine Le Pen: Befürwortung der Eingetragenen Partnerschaft für Homosexuelle, Verbot von offenen antisemitischen Äußerungen. Hauptunterschied zu anderen rechten Parteien: Frankreich betrachtet sich als internationalen Spieler in seinem Selbstverständnis, der Diplomatie und Verteidigung: Ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat, diplomatisch in mehreren afrikanischen Ländern, vor allem früheren Kolonien engagiert, hat bedeutendes Militär, offen oder verdeckt aktiv in mehreren Ländern – bes. in Afrika. Besitzt Nuklearwaffen mit über 300 Sprengköpfen. Daher viel mehr Leidenschaft für Verteidigung und Militär, Anspruch auf EU-Führerschaft. (Intellektuelle Tradition der Nouvelle Droite schloss faschistische Ordnung für Europa und die Welt ein). Die EU sollte radikal zum Europa der Vaterländer werden: Zusammenarbeit freier Nationalstaaten, die nationalem Kapital die Souveränität zurückbringe. Herunterfahren der EU auf reines Koordinations-Büro für Ratsangelegenheiten. Migration: Wiedererrichtung der nationalen Grenzen, Außer-Krafttreten des Schengen-Abkommens. Erschwerung der Einbürgerung, Verbot von Familienzusammenführung, Verbot des Geburtsort-Prinzips.

Fazit: Die untersuchten Parteien erfüllen die Kriterien der Europafeindlichkeit mit nationalen und kulturellen Besonderheiten. Eine gegenseitige Annäherung hin zum „Europa der Vaterländer“ wäre weiter zu verfolgen.

transform! Europe. Dr. Nicolas Bechter, Europe of Nations. A Study on Extreme Right Parties and the EU Integration, Juni 2019- www.transform-network.net.