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Nr.7/2019, S.20

Ein merkwürdig unruhiger Sommer, eine unübersichtliche Zeit

Harald Pätzolt, Berlin

Was ist eigentlich los in der Hauptstadt? Die Kanzlerin schwächelt sichtbar, besetzt aber den wichtigsten Posten in der EU. Die SPD hängt im never ever erwarteten Umfragetief und irrlichtert politisch herum. Die Grünen finden keine Anlagemöglichkeiten für den ihnen von der Bevölkerung gewährten Kredit. In der AfD gärt es wie nie, was im Osten niemanden ihrer Anhänger zu stören scheint. Und die Linke scheint Opfer ihrer eigenen Prophezeihung (im Europawahlkampf hatte sie bekanntlich die Theorie vom „Dritten Pol“ kreiert), sie schaut dem Spiel der „neoliberalen“ Parteien mit der AfD auf der politischen Bühne zu und wartet auf ihr Stichwort für ihren Auftritt. Solange der nicht kommt, gehen Gerüchte um, es läge an der mangelhaften Besetzung der Hauptrollen.

Aber was wird da eigentlich gespielt? Improvisiert die sogenannte GroKo gerade? Werden sie die Besetzung im nächsten Akt wechseln? Bricht die Aufführung im Herbst ab oder im Frühjahr? Wer weiß.

Verlassen wir die Ebene der Metapher und reden über Szenarien. Strategiefähigkeit ist ja nicht das Vermögen, die wahrscheinlichste Entwicklung zu antizipieren, sondern für beinahe jedes Szenario eigene Optionen zu entwickeln. Schlicht: Wie es auch kommen mag, man ist vorbereitet.

Eine der Fragen, die von manchen in der Linken mal wieder laut gestellt wird ist: Sollten eine schwächelnde SPD und eine stagnierende Linke mit den Grünen die nächste Bundesregierung bilden? Vielleicht müssen sie. Aus Verantwortung.

Mein Gefühl sagt mir: Vorher werden die Grünen alle anderen Optionen, also Koalitionen mit SPD und FDP oder mit Union und FDP, prüfen. Aber gut möglich, dass sie damit scheitern wie zuletzt, nach der Bundestagswahl 2017.

Doch die Voraussetzungen, also das, was alle drei Parteien mitbrächten, Stand heute, wären alles andere als günstig. Die Skepsis, ja der Zweifel Vieler daran, dass diese Parteien einen guten Plan haben, um die Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten, scheinen mir groß zu sein.

Programmatisch sind wir hinter der Zeit zurück, sagen nicht Wenige in meiner Partei. Wenn damit gemeint sein soll, dass wir in der Linken über die Herausforderungen der Zeit zu wenig wissen – so sage ich: Nein, das ist nicht richtig! Dazu haben wir zu viele kluge Menschen in unseren Reihen. Wenn jedoch gemeint sein sollte, dass wir es nicht vermocht haben, das Wissen zusammen zu führen, einen politischen Willen zu formen, ein Programm daraus zu machen – dann stimme ich dem von Herzen zu!

Andere sagen, das „Erfurter Programm“ der Linken von 2011 sei doch hinreichend. Um sich darüber eine Meinung zu bilden empfehle ich, einmal nicht den üblichen Weg zu gehen und zu fragen: Steht da was drin über die kommende Zeit? Man lese das Parteiprogramm einmal darauf hin, was denn über die seit 2011 stattgefundenen Entwicklungen in der Welt, in Europa, der EU und in Deutschland da drin antizipiert wurde. Ich komme zu dem Ergebnis, dass das Programm schon damals nicht auf der Höhe der Zeit war. Sorry.

Ich war einmal Mitglied in einer Partei, die brauchte für gewöhnlich zwei Jahre, um ein Bundestagswahlprogramm zu schreiben. Das war die PDS. Nehmen wir einmal an, die nächste Wahl fände regulär im Herbst 2021 statt. Dann können wir uns doch nach der Sommerpause ganz entspannt daran machen, in einem Prozess „nachholender Programmarbeit“ ein grundsolides Wahlprogramm zu erarbeiten, gemeinsam.

Ich hätte da Lust drauf; aus dem Geist der Revolte, einer linken Revolte, das gesellschaftlich Notwendige und das politisch Machbare mit vielen Genossinnen und Genossen zu diskutieren. Jenseits von Personaldebatten und selbstgerechter Schlaumeierei. So, wie wir es auch können.


Dr. Harald Pätzolt Bund-Länder-Koordination, Leiter. Fraktion Die Linke. im Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Telefon +4930/227-51082, Mobil +49171/3143840. harald.paetzolt@linksfraktion.de – www.linksfraktion.de. Links wirkt: Sozial. Gerecht. Friedlich.

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Abb. (PDF): C.D.Friedrich-Felsentor im Uttewalder Grund, beschnitten, (wiki)