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Nr.8-9/2019, S.13

„Die IG Metall in einer ungewissen Zeit“ … positioniert sich

Bruno Rocker, Berlin. Am 6. Oktober dieses Jahres kommen die Delegierten des 24. Gewerkschaftstages der IG Metall in Nürnberg zusammen, um ihre Richtungsentscheidungen zu treffen. Das Debattenpapier zur Vorbereitung dieses Gewerkschaftstages trägt den Titel: „Die IG Metall in einer ungewissen Zeit“.

Wie bei den Kirchen, den Sportvereinen, den Schulen und allen anderen Institutionen der Zivilgesellschaft gewinnt auch für die größte und einflussreichste Industriegewerkschaft zunehmend die Auseinandersetzung und der Widerstand gegenüber den Rassisten, den Neonazis und rechtsradikalen und rechtsextremistischen Kräften und Parteien an Bedeutung.

Wir dokumentieren deshalb aus der Entschließung zur „Gesellschaftspolitik“ den Teil „Demokratie stärken“, weil er deutlich macht, wie sich die IG Metall in diesem Politikfeld erfreulich klar und unmissverständlich positioniert.

01 Blick in die Presse, TECHNOLOGIEWANDEL, Thorsten Jannoff-d

2.1. Demokratie
stärken

2.1.1. Wir wollen eine solidarische Gesellschaft

Die ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die einen gemeinschaftlichen Kraftakt erfordert. Unsere Gesellschaft ist heute so gespalten und polarisiert wie lange nicht. Die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte hat eine verfestigte, soziale Ungleichheit geschaffen.

2.1.1.1. Gegen Populismus, Rechtsextremismus, Rassismus und Sexismus

Es sind nun Rechtsradikale und Populisten, die versuchen, den angestauten Frust der Menschen zu instrumentalisieren. Sie wollen die Gesellschaft spalten, indem sie Ressentiments schüren, Konflikte entfachen, Ängste befeuern und letztlich den demokratischen Kern unseres Zusammenlebens angreifen. Kolleg*innen, die seit Jahrzehnten mit uns arbeiten und seit Generationen in diesem Land leben, schlägt inzwischen offener Rassismus entgegen. Das dürfen Metaller*innen nicht hinnehmen.

Viele unserer Betriebe sind Bastionen gegen diese Spaltungsversuche. Die IG Metall steht mit ihren Werten für eine offene, tolerante und vielfältige Gesellschaft, für die wir auch in Zukunft eintreten.

Nationalisten und Rechtsextremisten dürfen unsere Belegschaften nicht spalten. Mit rechtspopulistischen Parteien wie der AfD kann und darf es daher keine Zusammenarbeit geben. Die IG Metall stellt völkisch-nationalistischer, rassistischer oder sexistischer Programmatik keine (Diskussions-)Räume zur Verfügung. Der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung ist und bleibt eine zentrale Aufgabe für alle Metaller*innen – eine Aufgabe, die wir auf allen Ebenen unseres Handelns mit lauter und vereinter Stimme angehen.

2.1.1.2. Für Teilhabe, Integration und Gleichstellung

Unser Ziel ist eine solidarische Gesellschaft, die gerechte Teilhabe für alle ermöglicht, die Vielfalt als Bereicherung sieht und jede und jeden als wertvollen Menschen achtet. Eine solche Gesellschaft ist unvereinbar mit den Ungleichheiten, die unser Land durchziehen. Noch immer besteht eine wirtschaftliche und soziale Lücke zwischen den sogenannten neuen und alten Bundesländern. Wir fordern, endlich gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land herzustellen. Wir müssen die sich auftuenden Kluften zwischen einzelnen Regionen, aber auch zwischen ländlich geprägten und städtischen Räumen schließen. Zu diesem Kampf gegen die Ungleichheit gehört, zugewanderten Menschen Selbstbestimmung und Perspektiven zu ermöglichen. Dafür müssen wir Mehrstaatigkeit anerkennen und ein modernes Einwanderungsrecht schaffen. Zugewanderte Kolleg*innen müssen schnell und möglichst unbürokratisch in den Arbeitsmarkt integriert werden und Zugang zum Bildungs- und Ausbildungssystem erhalten. Die Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse muss vereinfacht werden. Wir müssen uns außerdem dafür einsetzen, den Bedürfnissen und Forderungen der zehn Millionen Menschen in Deutschland mit Behinderung besser gerecht zu werden. Um Chancengleichheit und gesellschaftliche Inklusion zu stärken, ist eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe und eine erzwingbare Mitbestimmung bei Inklusionsvereinbarungen notwendig.

Eine solidarische Gesellschaft kann ebenfalls nicht dulden, dass die eklatanten sozialen und ökonomischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern fortbestehen. Frauen verdienen auch im gleichen Job weiterhin weniger, erhalten seltener die Chance auf beruflichen Aufstieg und fallen im Alter oft unter die Armutsschwelle. Die Arbeitswelt hat eine zentrale Bedeutung für die Gleichstellung: Das Entgelttransparenzgesetz muss deshalb ebenso auf weitere Anspruchsberechtigte erweitert und weiterentwickelt werden wie die bestehenden Quotenregelungen für Vorstände und Aufsichtsräte. Zeiten für Kindererziehung und Pflege dürfen sich nicht nachteilig auf den beruflichen Werdegang auswirken.

Zudem hat sich längst eine Vielfalt in der Lebensrealität von Familien etabliert, die sich weder in der Familien- noch in der Arbeitsmarktpolitik widerspiegelt. Damit verheiratete Eltern ebenso wieder steigende Anteil Alleinerziehender Erziehungs- und Erwerbsarbeit verbinden können, muss die öffentliche Kinderbetreuung für Kinder bis 12 Jahren ausgebaut und die Brückenteilzeit auch auf kleinere Betriebe ausgeweitet sowie von Sperrfristen befreit werden. Auch das Ehegattensplitting geht an den Bedürfnissen vieler Eltern vorbei. Statt nur einen Familientypus zu fördern, sollte im Rahmen einer umfassenden Reform des Steuersystems eine bedarfsgerechte Familienförderung eingerichtet werden, die der Vielfalt, in der Familien heute leben, gerecht wird und Frauen wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglicht.

2.1.1.3. Für eine aktive Verteilungspolitik

Trotz einer Dekade durchgängigen Wachstums, trotz hoher Steuereinnahmen und guter Lohnabschlüsse – die Einkommen und Vermögen sind in Deutschland so ungleich verteilt wie nie zuvor. Die Treiber der Transformation haben das Potential, diese Verteilungskrise noch zu verschärfen: Die digitale Wirtschaft, wie wir sie heute kennen, geht mit geringen Lohnquoten einher, mit internationaler Steuervermeidung und mit Monopolbildung. Wenn aber nur die Wenigen am technischen Fortschritt teilhaben, wenn für viele der Absturz in die Prekarität droht, dann wird die ökonomische Spaltung unserer Gesellschaft in eine politische Spaltung münden. Wir brauchen deshalb eine umfassende Verteilungspolitik, die steuer-, ordnungs- und bildungspolitische Maßnahmen verbindet.

Wir setzen uns für eine Neuausrichtung des Steuersystems ein, die Steuer- und Sozialpolitik sinnvoll zusammenführt. Wir wollen, dass Spitzenverdiener durch einen erhöhten Spitzen- und Reichensteuersatz größere Lasten tragen und Geringverdiener durch einen erhöhten Grundfreibetrag entlasten. Gleichzeitig muss die Praxis beendet werden, sozialpolitische Leistungen steuerrechtlich über Freibeträge zu verankern, wenn hiervon Topverdiener unverhältnismäßig stark profitieren.

Weiterhin gilt: Wir wollen hohe Vermögen und Erbschaften gerecht besteuern. Statt Unternehmen weiter zu entlasten, wollen wir, dass sie ihren fairen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens tragen.

Wir wollen die Körperschaftssteuer anheben und digitale Wertschöpfung angemessen besteuern. Deutschland muss sich zudem auf europäischer Ebene stärker dafür einsetzen, den Steuerwettlauf nach unten zu unterbinden, Steuerschlupflöcher zu schließen und eine wirksame, europäische Finanzmarkttransaktionssteuer einzuführen.

Wir brauchen auch ordnungspolitische Maßnahmen, die öffentliche Güter stärken und dem Einfluss von Marktkräften entziehen: Güter und Dienstleistungen für Grundbedürfnisse wie Wohnraum, Strom, Wasser, Straßen, Wärme, Kommunikation und digitale Infrastruktur muss die öffentliche Hand besonders schützen. Die falsche Privatisierungspolitik der letzten Jahrzehnte muss gestoppt, die Privatisierungen zurückgenommen und diese Güter wieder der öffentlichen Hand übertragen werden. Öffentliche Güter wie Bildung, Sicherheit und Gesundheit dürfen indes überhaupt nicht privatisiert werden. Wir brauchen außerdem eine digitale Infrastruktur, die freien Zugang, Datensicherheit und Datenschutz gewährleistet. Die heutige Machtstellung der digitalen Großkonzerne muss gebrochen werden.

Bildung ist die gesellschaftliche Schlüsselressource: Sie schafft Teilhabe, öffnet Wege in gute Arbeit und stärkt die Demokratie. Der Zugang zu Bildung bleibt in Deutschland aber oft versperrt: Die fehlenden Angebote zu frühkindlicher Bildung und die frühe Selektion im Schulsystem führen zu einer systematischen Benachteiligung aufgrund sozialer und ethnischer Herkunft. Kindergärten, Schulen, Berufsschulen und Hochschulen sind unterfinanziert, oft baufällig und leiden vielerorts unter einem Mangel an qualifizierten Fachkräften. Die prekäre Situation des öffentlichen Bildungssystems wirkt auch verteilungspolitisch: Nur wer reiche Eltern hat, kann auf den privaten Bildungsmarkt ausweichen. Im Ergebnis haben viele junge Menschen keinen Berufsabschluss, finden keine Ausbildungsstelle oder werden beim Hochschulzugang diskriminiert. Die IG Metall tritt für ein sozial gerechtes und inklusives Bildungssystem ein, das früh und systematisch fördert, das durchlässig ist und Chancen eröffnet. Wir müssen kräftig in eine moderne Bildungslandschaft investieren, weil hier die Grundlagen für Aufstieg und Teilhabe gelegt werden. Wir wollen Bildung, die die kritische und reflexive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen fördert. Gerade heutzutage muss die politische Bildung als Voraussetzung für demokratisches Handeln stärker in den Lehrplänen verankert werden. Dafür müssen Bildungsfreistellungsgesetze auch in Bayern und Sachsen eingeführt werden.

Abb. (PDF): Respekt-Banner auf der Fairwandel-Kundgebung in Berlin

01

dok: Blick in die Presse -Technologischer Wandel

Thorsten Jannoff, Gelsenkrichen

Passend zum Debattenpapier zur Vorbereitung des IGM-Gewerkschaftstages mit dem Titel: „Die IG Metall in einer ungewissen Zeit“, hat der Berliner Tagesspiegel am 7. August ein Interview geführt mit Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Darin geht es auch um die drohenden Umbrüche in der Produktion und den Wertschöpfungsketten sowie den gesellschaftlichen Folgen. Wir zitieren im Folgenden aus diesem Interview.

Herr Zitzelsberger, bei Bosch in Feuerbach arbeiten 13 000 Personen, davon 8000 rund um den Diesel. Was passiert mit diesen Leuten?

Zunächst geht es darum, den Übergang so zu gestalten, dass wir die aktuelle konjunkturelle Delle überstehen. Dafür gibt es bewährte Instrumente wie Arbeitszeitreduzierung. Die strukturelle Frage ist natürlich viel schwerer zu beantworten.

Versuchen Sie es.

Die Menschen müssen für die neuen Jobs qualifiziert werden. IT- und Softwareentwickler beispielsweise sind stark gefragt und es gilt herauszufinden, wie man betroffene Beschäftigte so schnell wie möglich für andere Aufgaben qualifizieren kann. In den nächsten fünf bis zehn Jahren ist es darüber hinaus wichtig, zu erkennen, wo sich neue Technologien und Aufgabengebiete entwickeln – zum Beispiel die Brennstoffzelle als Antriebsoption für Nutzfahrzeuge, oder synthetische Kraftstoffe, für die man auch Einspritztechnologien braucht.

Wie erkennt man die künftigen Beschäftigungsfelder und entsprechend die Qualifizierungsbedarfe?

Die Betriebsräte sind eng an den Themen dran, und wir unterstützen sie. Unter anderem auch mit unserem Transformationsatlas: In fast 2000 Betrieben haben wir genau hingeschaut, wie sich die Unternehmen auf die digitale Transformation vorbereiten und welche Anforderungen sich daraus für die Betriebe und für uns ergeben. Viele Firmen haben darauf noch keine oder nur unzureichende Antworten, das macht uns große Sorgen.

Besonders prekär ist die Situation bei Lieferanten der Autoindustrie. Wird es massiven Stellenabbau geben?

Die Auseinandersetzungen werden im Herbst richtig sichtbar. Es drohen unter anderem Verteilungskonflikte zwischen Herstellern und Lieferanten. Zurecht werden etwa die Kollegen im Mercedes-Motorenwerk Untertürkheim darum streiten, dass künftig alle Teile des elektrischen Antriebsstrangs dort gebaut werden. Das sichert dann Arbeitsplätze bei Daimler, die aber gleichzeitig beim Lieferanten nicht entstehen. Die Wertschöpfungsketten verschieben sich und das trifft vor allem die Zulieferer in der zweiten oder dritten Reihe.

Was bleibt für die übrig?

Ein großer Teil hat immer noch nicht verstanden, dass es eine Veränderung beim Antriebsstrang gibt, und dass diese Veränderung viel schneller kommt als häufig gedacht. Jetzt werden die Autos entwickelt, die 2025 auf den Markt kommen. Wer da nicht dabei ist, wird es schwer haben.

Was müssten die Betriebe tun?

Es gibt zwei Varianten: Entweder man agiert entlang der bisherigen Produkterfahrung oder man setzt auf die technologische Kompetenz. Einem Betrieb, der ein Alleinstellungsmerkmal besitzt, fällt das leichter, als einem, der Bleche stanzt. Die Luft wird extrem dünn für Betriebe, die weder technologisch noch vom Produkt her eine besondere Kompetenz haben.

Selbst große Zulieferer wie Mahle und Continental haben in den vergangenen Wochen Werksschließungen in Baden- Württemberg angekündigt.

Auf die bin ich stocksauer. Wir haben ausreichend Instrumente, die sich in den Krisenjahren 2008/2009 bewährt haben. Stattdessen zetteln einige Betriebe wieder alte Verlagerungsdebatten an und drohen mit Schließung. Wenn das stilbildend sein sollte für die Transformation, dann wird die IG Metall ziemlich schnell den Schalter umlegen und auf Konfliktkurs gehen …

Die IG Metall wird nicht alle Arbeitsplätze retten können.

Ohne Blessuren wird der technologische Wandel nicht über die Bühne gehen, das weiß ich auch. Sozialpartnerschaft und vertraute Zusammenarbeit müssen sich aber in schwerer Zeit bewähren können. Für Conti und Mahle habe ich überhaupt kein Verständnis, weil an beiden Standorten auch Produkte gefertigt werden, die für die Elektromobilität erforderlich sind. Ausgerechnet solche Konzerne, die auch eine Durststrecke überstehen können, machen einfach dicht. Das macht mich auch deshalb zornig, weil es politisch verheerend wirkt.

Inwiefern?

Als die Schließung des Mahle-Standorts Öhringen verkündet wurde, standen ruckzuck die Rechten vor der Tür und haben Flugblätter verteilt mit der sinngemäßen Aussage:

„Jetzt bekommt ihr mit, wo es in diesem links-ökologisch versifften Land hingeht mit der so genannten Mobilitätswende.“

Gegen solche Propaganda müssen sich Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Politik gemeinsam wehren. Dazu brauchen wir ein Konzept und einen Konsens, wie wir die Transformation gestalten wollen und dabei die Menschen mitnehmen. Mit Werksschließungen funktioniert das nicht.

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/ig-metall-chef-roman-zitzelsberger-es-bleibt-kein-stein-auf-dem-anderen/24868386.html