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ARCHIV

Nr.8-9/2019, S.16b

dok: Rechte Provokationen --- Demokratische Antworten

Heinrich Detering: Was heißt hier „wir“ ?

Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten

Bruno Rocker, Berlin

Der unter obigem Titel jüngst bei Reclams Universal-Bibliothek nunmehr in der dritten Auflage veröffentlichte Band des Literaturwissenschaftlers Heinrich Detering verdient alle Aufmerksamkeit. Das schmale Büchlein basiert auf einen Vortrag, den Detering auf Einladung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken auf der Vollversammlung des Komitees im November 2018 als Grundlage für die Diskussion in den Arbeitsgruppen vortrug.

Detering erläuterte damals eingangs, sich in seiner Analyse auf möglichst wenige und kurze, aber repräsentative und aufschlussreiche Sätze des Führungspersonals der AfD beschränken zu wollen, sich jedoch gerade diejenigen semantischen und stilistischen Merkmale vorzunehmen, die nicht unmittelbar evident sind. Seiner Auffassung nach wird sich in der öffentlichen Diskussion der Äußerungen der AfD-Führung allzu oft an immer denselben Schlagwörtern festgebissen und dabei die Perfidie von Wortfeldbeziehungen und Syntax übersehen.

Es geht Detering darum, in den Texten der AfD Antworten zu finden u. a. auf folgende von ihm aufgeworfene Fragen:

• Wer oder was ist das „wir“, das in den Äußerungen der AfD wiederkehrend als „unser Volk“, „unser Vaterland“, „unsere Kultur“ erscheint.

• Was also meint das Wort „System“ beispielsweise in Gaulands geäußertem Satz in einem FAZ-Interview: „Wir sind der Pfahl im Fleische eines politischen Systems, das sich überholt hat“?

• Wer ist gemeint mit dem „unser“, oder wer holt sich das „liebe Volk“ und das „liebe Vaterland“ „zurück“? Was meint in diesem Satz das Wort „zurück“? (Gegenstand ist hierbei die berüchtigte Rede Björn Höckes vom Januar 2017 und die entsprechenden Einlassungen Gaulands vom Wahlabend nach der letzten Bundestagswahl)

Oftmals, so betont Detering, ist es nötig, einen Text oder eine Rede von „hinten nach vorne“ zu lesen, um die gesuchten Antworten zu finden. Analysiert werden dabei die Reden von Björn Höcke ebenso wie Äußerungen von Alexander Gauland, Beatrix von Storch und Alice Weidel. Es geht ihm nicht nur um Begriffe wie „Vogelschiss“, „Entsorgung“, „Umvolkung“, „Messermänner“, sondern es geht um die Verwendung der Begriffe und um den jeweiligen Kontext, der Gegenstand der Untersuchung ist.

Bei den nachfolgend zitierten Passagen aus Deterings Analyse geht es um Äußerungen von Alice Weidel und Beatrix von Storch:

„Fast immer sind die Definitionen des vermeintlich abendländischen und des deutschen „wir“ in den Hassfloskeln von Pegida und AfD negativ bestimmt. Sie sollen vor allem markieren, wer nicht dazugehören soll. Wir sind die, die nicht so sind wie die da. In einer privaten Mail – die sie im Nachhinein und mit wenig glaubwürdigen Gründen zur Fälschung erklären ließ –, hat Alice Weidel 2013 beklagt, dass „wir von kulturfremden Völkern wie Arabern, Sinti und Roma etc. überschwemmt werden“; das entspricht ihrer im Bundestag geäußerten Denunziation der nach Deutschland geflüchteten Muslime als „Kopftuchmädchen und Messermänner“. Überschwemmt sieht Frau Weidel „uns“ also, und das nicht etwa von Völkern, denen unsere Kultur fremd ist – was als Behauptung über die seit Jahrhunderten in Europa lebenden Sinti und Roma immerhin auch nicht sehr weit entfernt ist von dem Satz, ein Jude könne „kein Volksgenosse sein“. Sondern sie sagt, dass wir überschwemmt werden von „kulturfremden Völkern“, also von Menschen, denen Kultur schlechthin fremd ist. Sie meint das, was im klassischen Griechenland „die Barbaren“ hieß, und sie beschreibt es wie eine Naturkatastrophe, als Überschwemmung.

Wie man die Anderen suggestiv als solche Barbaren markiert, zeigt Beatrix von Storch in einer Mitteilung, in der sie vor den Migranten mit den Worten warnt, es handle sich um „barbarische, muslimische, gruppenvergewaltigende Männerhorden“. Das ist nicht nur in der Wortwahl offensichtlich beleidigend und verletzend, sondern es ist auch in der Syntax bemerkenswert. Das ist in der allgemeinen Empörung oft übersehen worden. Ich meine die unauffällige Parallelisierung der drei Attribute. Frau Storch warnt ja nicht lediglich vor „barbarischen“ und „gruppenvergewaltigenden Männerhorden“, deren Mitglieder im erörterten Fall Muslime sind. Sondern sie hat das „muslimisch“ zwischen „barbarisch“ und „gruppenvergewaltigend“ so selbstverständlich eingeschoben, als gehöre es natürlicherweise zum selben Begriffsfeld. (Folglich liegt hier wie auch sonst die Vorstellung barbarischer Gruppenvergewaltigungen ohne Muslime unterhalb ihrer Wahrnehmungsschwelle.)“1

Nachfolgend ein Zitat aus Deterings Text, indem es um die manipulative Rhetorik des Parteivorsitzenden der AfD in der Diskussion über die Chemnitzer Ereignisse im Deutschen Bundestag geht:

„In ein und derselben Wortmeldung im Bundestag hat Gauland noch einen zweiten Satz gesagt, der mir für seine manipulative Rhetorik des Behauptens und Ausweichens charakteristisch er scheint: „Hass ist keine Straftat“. Dieser Satz folgt der Regel: Widersprich Behauptungen, die niemand aufgestellt hat. Niemand im Deutschen Bundestag hatte ja behauptet, Hass sei ein Straftatbestand. Viele aber hatten darauf hingewiesen, dass aus Hass Taten hervorgehen können, die einen Straftatbestand erfüllen. Gaulands Satz spricht mit dem Pathos der Lakonie eine Banalität aus, suggeriert aber, dass auch die aus Hass hervorgegangenen Taten straffrei sein sollten – und zwar dann, wenn der Hass berechtigt sei. Vollständig zitiert lautet sein Satz nämlich: „Hass ist erstens keine Straftat und hat zweitens in der Regel Gründe.“ Auch dies ist natürlich eine Banalität. Es baut auf die vermeintliche Evidenz des Banalen, meint aber etwas Anderes. „Hass ist erstens keine Straftat und hat zweitens in der Regel Gründe“ meint: Begründeter Hass erzeugt begründete Straftaten. Und am Ende sind es dann nicht einmal Straftaten gewesen, sondern nur Ausdruck der berechtigten „Empörung über die Folgen der Einwanderungspolitik der Kanzlerin und Ausübung des Rechts auf Versammlungsfreiheit.“1

In der Affäre um die Reaktionen aus der AfD auf Äußerungen der Integrationsbeauftragten der deutschen Bundesregierung Özoguz im Mai 2017 über deutsche Kultur und deutsche Sprache zitiert Detering zunächst Alexander Gaulands Bemerkungen vor AfD-Anhängern:

„Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“

Detering wirft in seiner Rede unter Bezug auf Gaulands Bemerkungen dann die folgenden Fragen auf, die sich ihm aufdrängen:

„Warum wird Frau Özoguz, wenn ihr von den Bewohnern des Eichsfeldes gezeigt worden ist, ‚was spezifisch deutsche Kultur ist‘, anschließend ‚nie wieder her‘ kommen? Welches Spezifikum der spezifisch deutschen Kultur sollte hier der Frau Özoguz vermittelt werden? Welcher Art ist diese Vermittlung, wenn die Adressatin anschließend ‚entsorgt‘ werden muss?“

Zusammenfassend:

Die Analyse Deterings zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten ist hilfreich. Die Lektüre der Provokationen des Führungspersonals der AfD erlaubt einen Blick auf das Geschichtsverständnis dieser Leute.

Deterings Text enthüllt gleichwohl auch die totalitären Ermächtigungsvorstellungen und Vernichtungsphantasien in der Führung des sogenannten “Flügels“ wie auch im Parteivorstand.

Abb. (PDF): Cover, Foto des Autors. Heinrich Detering: Was heißt hier ‚wir‘? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten. Reclam Verlag, Stuttgart 2019. 60 Seiten.

Zur Person:Heinrich Detering lehrt in Göttingen Neuere deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft.

Veröffentlichungen: u.a. über Goethe, Nietzsche, Thomas Mann, Bob Dylan, Wilhelm Raabe, Theodor Storm.