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ARCHIV

Nr.10/2019, S.02

23. Juni 201651,89 % für Brexit (17,4 Millionen Briten): Folgen für Irland

Eva Detscher, Karlsruhe

Es lohnt der Blick auf den EU-Mitgliedsstaat, der von allem am direktesten betroffen sein wird: die Republik Irland.

Einige Fakten vorweg:

1973 – Nordirland (Teil Großbritanniens, des UK) und die Republik Irland gehören zur EU. Die Grenzkontrollen waren „ähnlich rigoros wie früher an der Grenze zur DDR“ [1]. 1998 – Karfreitagsabkommen: Sperren und Wachtürme verschwinden, die verbindende Infrastruktur wurde ausgebaut. 2016 – 44% der Nordiren stimmen für den Brexit. 2017 Vorschlag Backstop: gemeinsamer Zollraum UK mit Resteuropa, bis die Handelsbeziehungen neu geregelt seien (Verhandlungslösung zwischen EU und Theresa May; Barnier dazu: „Wir haben uns jede Grenze auf dieser Erdkugel angesehen, jede Grenze zwischen der EU und einem Drittland – es ist einfach nicht möglich, Kontrollen dort völlig zu beseitigen“) – abgelehnt vom britischen Parlament, keine Option für Johnson. September 2019 – Johnson-Vorschlag: Zollstellen acht bis 16 km von der Grenzlinie entfernt auf beiden Seiten, elektronische Warendeklaration und -kontrolle, Stichproben. Dies wird von der irischen Regierung strikt abgelehnt, weil jeder Kontrollposten Ziel von Anschlägen sein könnte, daher die Polizei bewachen müsste, und im Falle eines Angriffs auf diese sofort die britische Armee anrücken würde. Damit wäre das Karfreitagsabkommen hinüber. Außerdem ist der – dem Carnet-TIR-Verfahren [3] angelehnte – Vorschlag tatsächlich nur für große Firmen und teure Produkte praktikabel. Dem Verband der Fracht- und Transportunternehmer zufolge wäre der Backstop die deutlich bessere Lösung.

Wirtschaftliche Daten

Der innerirische Handel ist sehr ausgeprägt, bei vielen Produkte überqueren Rohstoffe und Teilprodukte bis zu ihrer Endfertigung mehrmals die Staatengrenze – unauffällig und regelmäßig, bis zu 14 000 Lastwagen queren sie täglich. Der große britische Markt und die Handelsrouten, die sich aus der geographischen Lage der Republik Irlands ergeben, stellen wirtschaftlich die größte Herausforderung dar: „Uber 80 % der irischen Exporte mit Kontinentaleuropa werden nach Großbritannien verschifft und dort zunächst per LKW über Land an die südöstlichste Spitze der britischen Insel gebracht. Anschließend erfolgt der Weitertransport hauptsächlich mit der Bahn durch den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal hindurch ins französische Calais. Das nachfolgende Schaubild zeigt diesen Transportweg auf: (Quelle: [2])

Umschiffen der britischen Insel kostet viel Zeit, die Transportwege würden sich deutlich verlängern. Bei Nutzung der Route über die britische Insel würden die Zollformalitäten und -kontrollen alles langsamer und teurer machen. „Die WTO schätzt, dass die Bearbeitung von Zollangelegenheiten durchschnittlich 8% der Importkosten ausmacht.“ [2]

Bedingungen der EU

Am 17./18. Oktober wird erneut ein EU-Gipfel zum Brexit stattfinden, die Verhandlungen wurden bereits am 7.10. wieder aufgenommen. Der EU-Ratsvorsitzende Antti Rinne, finnischer Ministerpräsident, will schriftliche Alternativvorschläge von Johnson, die erstens das Karfreitagsabkommen, zweitens den funktionierenden Binnenmarkt und drittens die Einheit der EU bewahren müssen. Rinne geht davon aus, dass beim Gipfel eher über einen neuen Verschiebungsantrag für den Austrittstermin gesprochen werden wird, da keine Lösung für die irische Insel greifbar ist. Johnsons hat dazu noch ein As aus dem Ärmel gezogen: eine Variante (nicht neu, aber plakativ in Szene gesetzt), die behauptet, sowohl den inneririschen Handel bei Beibehaltung der Produktstandards wie dem nordirischen Regionalparlament das letzte Wort zu geben: Es soll am Anfang zustimmen und dann alle vier Jahre wieder. Was Johnson ausblendet: die im Karfreitagsabkommen vereinbarte Machtteilung zwischen Katholiken und Protestanten ist im Moment faktisch nicht möglich, da die Regionalregierung seit zweieinhalb Jahren suspendiert ist. Sinn Fein („Für ein Vereinigtes Irland“) und DUP (die nordirische Unionistenpartei: „Keine Sonderregelung für Nordirland, um den Bund mit London nicht zu schwächen“) reden nicht mehr miteinander. Unter diesen Umständen könnten beide ein Veto in der Hand haben, was die gesamte europäische Handelspolitik betreffen würde.

Die innerirische Grenze als Außengrenze der EU

Die irische Regierung stellt umfängliche Dienstleistungsangebote für Firmen aller Art und für Produkte aller Art zur Verfügung, um die Unternehmen auf einen harten Brexit Ende Oktober vorzubereiten. [4] Besondere Aufmerksamkeit erhält der Handel (Luft-, Land- und Seewege) mit dem Vereinigten Königreich wie auch über das UK in die EU und andere Staaten. Da Irland (wie auch UK, Kroatien, Bulgarien und Rumänien) nicht zum Schengen-Raum gehören, muss auch die Frage der Sicherung der inneririschen Grenze als Außengrenze der EU ganz neu verhandelt werden. [5]

Andere Optionen?

Der ehemalige Vorsitzende des WTO-Berufungsgremiums in Genf, Giorgio Sacerdoti, schlägt ein Zollregime nur für in Irland hergestellte Produkte als ein Element einer Lösung vor, alle anderen Produkte würden den üblichen Zollvorschriften zwischen EU und Drittstaaten unterworfen. Er hat dabei die entsprechenden Regelungen für Zypern vor Augen. – Unklar und völlig offen ist darüber hinaus, wie sich die komplexe rechtliche Situation innerhalb UK (Supreme Court, Verfassung, Rechtsbrüche) und auf europäischer Ebene gestalten wird im Falle eines Johnson-Brexits am 31.10. Auf jeden Fall haben die restlichen 26 EU-Mitgliedsstaaten und die Institutionen der EU eine besondere Verantwortung gegenüber dem irischen Staat, und das muss bei den Verhandlungen – selbst mit einem so eigenartigen Premier wie Johnson – immer berücksichtigt werden.

[1] FAS 6.10.19, Thomas Gutschker

[2] Hanns Seidel Stiftung: Die irische Wirtschaft im Kontext des Brexits. Chance für eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit mit den EU-Staaten. In Argumentation Kompakt 4/2018

[3] Auf der Webseite des deutschen Zolls nachzulesen: https://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Zoelle/Zollverfahren/Versandverfahren/Carnet-TIR/carnet-tir_node.html

[4] https://www.gov.ie/en/publication/a7ba02-brexit-info/

[5] http://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/153/grenzschutz-an-den-außengrenzen

[6] Zu Handel und Wirtschaft von Irland, siehe: https://europa.eu/european-union/about-eu/countries/member-countries/ireland_de#handel-und-wirtschaft

Abb. (PDF): Verlehrsverbindung Irland - Kontinent