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ARCHIV

Nr.2/2020, S.02a

Blick auf die Medien

Großbritanniens Gesundheitsdienst

Eva Detscher, Karlsruhe

Jahrzehntelang haben sich die Briten gegen eine Tunnelverbindung mit dem europäischen Festland gewehrt – und eines der Argumente war, eine Eintrittspforte für Krankheitserreger zu verschließen. Den Tunnel gibt es jetzt seit 1994, die befürchtete Heimsuchung ist ausgeblieben. Die britischen Inseln hatten über ihre vielfältigen Aktivitäten auf dem Globus eh schon immer alles im Land, was es woanders gab. Die Kenntnis über viele Krankheiten, die irgendwo auf der Welt auftraten, und deren Behandlung, der Austausch von Wissen und medizinischem Personal – diese Prägung ist ebenfalls Tradition und bis heute im Alltag des britischen Gesundheitswesens zu finden.

Und jetzt Corona

Stand 20.4.20: 121173 bestätigte Infektionen, 16060 mit SARS-CoV 2 verstorben. Die Hilferufe aus den nicht privat geführten Krankenhäusern, Pflege- und Alterseinrichtungen sind laut, Not und der Mangel groß. Schnell wird dem „System“ der Gesundheitsversorgung in England, Wales, Schottland und Nordirland die Schuld gegeben: NHS – National Health Service, aber über diesen lassen die Engländer, Waliser, Schotten und die Bewohner von Nordirland nichts kommen. Was ist das Besondere daran? Und wie erklärt sich folgendes Paradoxon: die Briten mit einer starken Tradition der auf Versicherungen gegründeten Gesundheitswohlfahrt und Versorgung, die bei den lokalen Regierungen verortet war, entscheiden sich für ein zentrales und steuerfinanziertes Gesundheitssystem? [1]

Geschichtliche Anhaltspunkte

Wie schon im „Kalenderblatt“ Kitty Wilkinson und die Notwendigkeit von Wasch- und Badegelegenheiten für die arme Bevölkerung dargelegt (PB 11/2018), begann ab Mitte des 19. Jahrhunderts das Thema der Hygiene (sauberes Wasser, Beseitigung von Abfall und Abwasser) sowie des Zugangs zu medizinischer Versorgung prominent zu werden. 1911 wurde die Gesundheitsversicherung (Health insurance) eingeführt – nicht fürs Krankenhaus, einkommensabhängig und finanziell getragen von Beschäftigten und Staat. Ausgeschlossen waren Arbeitslose, Hausfrauen, Kinder unter 16 und Ältere. Es gab ungleiche Behandlung für „private“ und „Kassen“patienten und viele dramatische Mängel, die nicht mehr vertretbar waren. 1942 legte William H. Beveridge, ein britischer Ökonom und Politiker, den nach ihm benannten Bericht (Beveridge Report) vor, der die Grundlage für die Änderung der bisherigen Sozial- und Versicherungspolitik im Königreich bildete. Mit dem Wahlsieg von Labour 1945 begannen Verhandlungen über ein staatliches Gesundheitssystem, die mit der Gründung des NHS 1948 abgeschlossen wurden. Für die Nichtprivilegierten war dies ein Ereignis von unfassbarer Tragweite: ob dein Kind gerettet oder „in den Brunnen geworfen“ wurde, war jetzt nicht mehr eine Entscheidung des Geldes. Diese Errungenschaft werden sie verteidigen, auch wenn es viel zu verbessern gibt.

1) „The origins oft he NHS“ Vortrag von Prof. Virgina Berridge (14.4.2008) im Gresham College, https://www.gresham.ac.uk/lectures-and-events/the-origins-of-the-nhs