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ARCHIV

Nr.2/2020, S.07

aktuell aus politik und wirtschaft

Bougainville: Ein neuer Staat im Pazifik

Edda und Helmut Lechner, Norderstedt

01 Matrilinearität auf Bougainville

Im vergangenen November entschieden sich bei einer Wahlbeteiligung von 87,4 Prozent überwältigende 97,7 Prozent der WählerInnen auf Bougainville in einem Referendum für die Unabhängigkeit. Die kleine Insel im Pazifischen Ozeans ist bisher Teil des Staates Papua-Neuguinea und bereits seit einigen Jahren mit einem autonomen Status versehen. Die Bewohner von Bougainville wollten aber mehr: ein eigener Staat sein.

Mit 8800 Quadratkilometern ist Bougainville im westlichen Teil des Pazifiks, östlich von Australien und Papua-Neuguinea gelegen, die größte Insel des Salomonen-Archipels. Staatsrechtlich ist sie Teil des 1975 unabhängig gewordenen Papua-Neuguinea (PNG). Ein Jahrzehnt lang — von 1988 bis 1998 — hatten die knapp 200 000 Bewohner Bougainvilles unter einem Dschungelkrieg zu leiden, der für die Unabhängigkeit der Insel geführt wurde. Er gilt als der bisher blutigste und längste Gewaltkonflikt im Pazifik nach dem Zweiten Weltkrieg und ihm sollen rund 20 000 Menschen zum Opfer gefallen sein. Es bekämpften sich die sezessionistische Bougainville Revolutionary Army (BRA) auf der einen Seite und die Streitkräfte der Zentralregierung PNGs, die Papua New Guinea Defence Forces (PNGDF), unterstützt von über Australien finanzierten Söldnern aus aller Welt.

Der Krieg fand in einem gesellschaftlichen Umfeld statt, das von dem Ineinander traditioneller und moderner kapitalistischer Gesellschaftsformen gekennzeichnet ist. Dabei spielt die auf der Insel gelegene Panguna-Kupfermine für den problematischen Entwicklungsweg eine zentrale Rolle. Die Besitzerin der Mine, die Bougainville Copper Ltd., eine australische Kupfer-, Gold- und Silber-Bergwerksgesellschaft, betreibt hier den weltgrößten Tagebau. Dieses gigantische Bergbauprojekt, welches in massiver Form durch ihre kapitalistischen Eingriffe die Lebenswelt der BewohnerInnen bestimmte, wurde zum Kristallisationspunkt aller mit dem komplizierten Übergang von traditionalen zu modernen Verhältnissen verbundenen Problemen. So verwundert es nicht, dass die kriegerisch eskalierenden Auseinandersetzungen Ende der 80er Jahre sich am Streit um diese seinerzeit größte Tagebaumine der Welt entzündeten.

Die Panguna-Kupfermine wurde noch zu Zeiten der australischen Kolonialverwaltung gegen den Willen der lokalen Bevölkerung errichtet und seit ihrer Eröffnung 1972 vom australischen Bergbaukonzern C.R.A. (Conzinc Riotinto of Australia) betrieben. In den 70er und 80er Jahren bildete sie das Rückgrat der Volkswirtschaft Papua-Neuguineas, ohne dass die Inselbevölkerung an den Gewinnen der Mine nennenswert beteiligt war. Der Minenbetrieb verursachte im Laufe der Jahre erhebliche ökologische Zerstörungen und gefährdete zugleich die materielle Existenzgrundlage für die gesamte Bevölkerung, im Minengebiet, deren traditionale Lebensweise auf der Nutzung und engen Verbindung zum Land beruht. Nachdem Forderungen der lokalen landbesitzenden Clans nach Kompensationen für die Umweltzerstörungen und nach Umweltschutzauflagen für die Mine von Seiten des Bergbaukonzerns und der Zentralregierung von PNG auf taube Ohren stieß, legten Mitglieder der Bougainville Revolutionary Army (BRA) seit November 1988 bis heute den Minenbetrieb durch Sabotageaktionen still.

Heute sind die örtlichen Führungskräfte für die Wiedereröffnung der Mine, allerdings unter ihrer eigenen Kontrolle. Eine Frauenführerin von Arawa auf Bougainville sagt, die Einkünfte der umstrittenen Panguna-Mine seien zukünftig entscheidend für den Erfolg ihrer Unabhängigkeitsbemühungen gegenüber Papua-Neuguinea und den sie unterstützenden australischem Konzernen. Auch John Momis, der derzeitige Präsident der Autonomen Region Bougainville, befürwortet die Wiedereröffnung der Mine, um daraus die für den neuen Staat notwendigen finanziellen Einnahmen zu erzielen. Die „landowners“ — siehe Kasten nebenan — haben dem zugestimmt.

Laut einem Interview mit der „Japan Times“, strebt der jetzige Vizepräsident Raymond Masono von Bougainville nach dem Referendum eine Überarbeitung der Bergbaugesetze an. Er will die geltenden Gesetze so ändern, dass im Falle zukünftiger Bergbauaktivitäten der neue Staat eine Mehrheit von 60 Prozent an allen Projekten übernehmen und alle Bergbaulizenzen behalten soll. Für den Rest dürften andere Investoren ein Angebot abgeben.

In dem Interview erklärt er selbstbewusst, dass die Panguna-Mine das Projekt sein könnte, das die zukünftige Unabhängigkeit ermöglichen werde: „Sie (die Konzerne) besitzen weder die Lizenz noch die Mine. Wir besitzen beides — sie arbeiten zu unseren Bedingungen.“

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Matrilinearität auf Bougainville

In den meisten auf Bougainville lebenden Gemeinschaften herrschen matrilineare Abstammungsprinzipien. Das Land, die wichtigste Ressource, geht von den Müttern auf die Töchter über. Männer heiraten in den Clan der Frau hinein und nehmen ihren Wohnsitz auf diesem Land, das im Zentrum der traditionalen Gesellschaft auf Bougainville steht. Die meisten Mitglieder der Bougainville Revolutionary Army (BRA) rekrutierten sich aus diesen jungen männlichen Verwandten der landbesitzenden Frauen.

Land meint im traditionellen Sinn für die Bewohner- und seine NutzerInnen etwas ganz anderes, als wir es in modernen kapitalistischen Zusammenhängen kennen. Auf der Insel gibt es kein Privateigentum an Land, sondern es „gehört“ stets der gesamten Abstammungsgruppe, einschließlich der noch ungeborenen Generationen und den Geistern der Ahnen. Es bildet die Quelle des (Über-)Lebens und garantiert die Sicherheit für die Gruppe. Individuelle Rechte sind somit keine Eigentums-, sondern nur Nutzungsrechte. Die Vorstellung von Land als einer käuflichen und verkäuflichen Ware gibt es in dieser traditionalen Weltsicht schlichtweg nicht. Deshalb ist auch der stets in den Medien verwendete Terminus von den Bougainviller „landowners“ zur Bezeichnung der das Land bewohnenden und nutzenden Clans, unzulänglich. Es ist ein moderner von außen aufgepfropfter Begriff, der den traditionellen gesellschaftlichen Verhältnissen dieses Archipels nicht gerecht wird.

Abb. (PDF): 2019 nach der Abstimmung für die Unabhängigkeit: gespannte Blicke auf die Ergebnisse