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ARCHIV

Nr.2/2020, S.17

Gewerkschaften / Soziale Bewegungen

IG Metall: Ein guter Tarifvertrag zur Überbrückung der Corona-Zeit

Von Rüdiger Lötzer, Berlin

Etwas überraschend für viele ist es der IG Metall gelungen, auch nach dem Beginn der staatlichen Corona-Eindämmungspolitik noch einen Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie zu erzielen. In NRW, schon vor Beginn von Corona als „Pilotbezirk“ geplant, gelang den dortigen Tarifparteien ein Abschluss, der in allen anderen Tarifgebieten übernommen wurde. Seine Bestandteile sind:

1. Die ursprünglich zum 31.3.2020 gekündigten tariflichen Grundentgelte bleiben unverändert bis 31.12.2020 in Kraft. Ein Tarifkonflikt wäre angesichts von vielen tausend Betrieben, die ihre Produktion in Vollbremsung herunterfuhren, ohnehin nicht möglich gewesen. Selbst wenn die staatlichen Versammlungsverbote nicht gewesen wären, hätten sich die Firmen vermutlich klammheimlich gefreut, wenn die IGM zu Warnstreiks aufruft, weil sie dann ihre Fertigung kostenlos noch schneller hätten herunterfahren können. Fazit: Der Konflikt um die Tarifentgelte ist aufgeschoben, nicht aufgehoben, bis Jahresende. Zum 30.11.2020 können die Entgeltverträge nun gekündigt werden.

2. Für alle Beschäftigten, also auch solche, die keine Kinder haben, keine pflegebedürftigen Angehörigen im Haushalt und nicht in Schicht arbeiten, kann die im letzten Tarifvertrag erstmals vereinbarte neue jährliche Einmalzahlung von 27,5% eines Monatsentgelts, die zum 1. Juli fällig geworden wäre, mit Zustimmung des Betriebsrats umgewandelt werden in 6 zusätzliche freie Tage, die zur Vermeidung und/oder Verschiebung von Kurzarbeit dienen. Das schafft Beschäftigten und Betrieben zusätzliche Flexibilität, mit den massiven Veränderungen der Auftrags- und Absatzlage durch die Corona-Pandemie umzugehen.

3. Zusätzlich wird der ebenfalls schon im letzten Tarifvertrag vereinbarte Anspruch auf acht zusätzliche freie Tage für Beschäftigte mit Kindern bis acht Jahren, mit pflegebedürftigen Angehörigen im Haushalt und/oder in Schichtarbeit ausgeweitet auf alle Beschäftigten mit Kindern bis 12 Jahre. Damit erhalten also auch Beschäftigte mit Kindern im Alter von 9, 10, 11 oder 12 Jahren die Möglichkeit, sich kurzfristig noch freie Tage zu verschaffen, um sich um ihre Kinder zu kümmern, weil z.B. die Schulen geschlossen sind.

4. Zusätzlich gibt es in solchen Fällen noch den tariflichen Anspruch auf fünf weitere bezahlte freie Tage zur Betreuung dieser Kinder, wenn Schulen und Behörden geschlossen sind. Vorrangig ist dafür aber eine evtl. Resturlaub aus 2019, Plussalden auf Stundenkonten und andere Möglichkeiten zu verbrauchen.

5. Sodann hat die IG Metall für ihre Beschäftigten zwei zusätzliche tarifliche Aufstockungen von Kurzarbeitergeld vereinbart. Erstens – das war schon mal in der Finanzkrise 2008/2009 möglich – können Weihnachts- und Urlaubsgeld „gezwölftelt“ werden, d.h. auf das tarifliche Monatsentgelt umgeschlagen werden. Damit steigt das tarifliche Monatsentgelt – und damit auch die Bemessungsgrundlage für Kurzarbeitergeld – um etwa 10% an. Eventuelle Reste von Urlaubs- und Weihnachtsgeld – wenn z.B. diese „Zwölftelung“ nicht über ein volles Jahr läuft – müssen Ende November 2020 an die Beschäftigten ausgezahlt werden, so wie bisher das Weihnachtsgeld. Zweitens erklärten sich die Arbeitgeber bereit, je Vollzeitbeschäftigten am 1.4.2020 je 350 Euro in einen betrieblichen „Solidartopf“ einzuzahlen, aus dem dann per Betriebsvereinbarung zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat soziale Härten durch Kurzarbeit ausgeglichen werden. Bei einer Belegschaft von beispielsweise 100 Beschäftigten sind also 35 000 Euro „im Topf“ und werden an Beschäftigte, die z.B. wegen niedriger Grundentgelte, Teilzeitarbeit oder aus anderen Gründen durch Kurzarbeit in größere finanzielle Schwierigkeiten geraten, ausgezahlt. Falls der Topf bis Ende November 2020 nicht komplett ausgezahlt wurde, wird der Rest zu gleichen Teilen dann an die gesamte Belegschaft ausgeschüttet. Betriebe, die wegen der Corona-Krise in schwere Liquiditätsprobleme kommen – und das dürften nach allem, was man so hört, nicht wenige Betriebe bald sein! – können bei der IG Metall beantragen, von dieser Sonderzahlung befreit zu werden.

6. Letzter Punkt sind Erleichterungen für die Übernahme von Auszubildenden, die in diesem Corona-Sommer ihre Abschlussprüfung machen, die beiden Seiten möglich machen sollen, die Übernahme der fertigen Azubis trotz Corona beizubehalten.

Alles in allem eine gute Lösung, die von allen Tarifkommissionen mit großer Zustimmung angenommen wurde.

Abb. (PDF): IGM Aushangplakat