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Nr.2/2020, S.20b

rechte provokationen – demokratische antworten

Landtag Sachsen-Anhalt: Erfreuliches und Bedenkliches

„Sachsen-Anhalt hat jetzt eine antifaschistische Verfassung“ berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland am 28. Februar. Was war passiert?

Michael Juretzek / Bremen

Zweidrittel-Mehrheit für Antifaschismus

„Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.“ Seit dem 28.2. ist dieser Text Bestandteil der Landesverfassung (Art. 37a) von Sachsen-Anhalt. Folgerichtig hat das Parlament am gleichen Tag den Begriff „Rasse“ aus der Verfassung gestrichen und durch das „Verbot der Diskriminierung aus rassistischen Gründen“ ersetzt (Art. 7). Alle Abgeordneten der Regierungskoalition CDU/SPD/Grüne plus die Abgeordneten der oppositionellen Linken und einem Fraktionslosen sorgten für die nötige Zweidrittel-Mehrheit. In seiner Rede zur Ablehnung der Gesetzesvorlagen bemüht der AfD-Abgeordnete Farle den Unterwerfungsvorwurf an die CDU, mit den Änderungen seien „Elemente einer links-grünen Ideologie in die Verfassung eingearbeitet worden“. Der neue Artikel 37a sei „ideologisch einseitig formuliert“. In der Haltung zu nationalsozialistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologie und daraus folgender Aktivität hat er Recht: Der Artikel fordert einseitig klare Abwehr und rechtsstaatliche Konsequenzen. Sinn macht eine Ablehnung dieser Verfassungsänderung wegen Einseitigkeit nur für Jemanden, der sich auch in Zukunft ungestraft solcher menschenrechtsfeindlichen Ideologien bedienen will.

In ihrer sehr mutigen Gedenkrede zu Hanau am Beginn der Landtagssitzung schlug die Landtagspräsidentin Brakebusch (CDU) einen Bogen zwischen den „seit 1990 knapp 200 Todesopfer(n) rechtsextremistischer Gewalt“ und der bundesweiten Parlamentswirklichkeit: „Rechte Täter setzen die in unserer Gesellschaft und nicht zuletzt auch in den Parlamenten weitverbreitete verbale Gewalt in reale Gewalt um. Sie nehmen all jene tatsächlich ins Visier, die andere lautstark als die Ursache tatsächlichen oder vermeintlichen Übels ausmachen. Das ausgrenzende Wort und der extremistische Mord stehen in einer unheilvollen Beziehung zueinander.“ In ihrer Einschätzung der Motive stellte sie unmissverständlich klar: „Die Tat von Hanau war rassistisch motivierter Terror, wie die Tat von Halle am 9. Oktober 2019 antisemitisch und rassistisch motivierter Terror war.“ (Alle Zitate: Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenogr. Bericht 7/94 – 26.2.20). An diesem Tag scheiterte der Versuch eines Hallensers in die Synagoge einzudringen, um die dort versammelten Gläubigen zu töten. Auf seiner Flucht erschoss er 2 Menschen. U.a. in Antwort auf diese Tat mitten in Sachsen-Anhalt, fanden sich Regierungs- und Oppositionskräfte seit November in einer Kommission zusammen, um ein Gesetzespaket zur Verfassungsänderung und Stärkung der Demokratie auf den Weg zu bringen.

Denkschrift – Öffnung zur AfD

Dieser Vorgang ist umso erstaunlicher, als noch vor einem halben Jahr die Koalition auf eine schwere Probe gestellt wurde. Im Juni 2019, einen Monat nach den EU- und Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt, präsentierten die beiden stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Zimmer und Thomas eine „Denkschrift“ zur Neuausrichtung der CDU. Mit 24,6% hatte sie bei den Kommunalwahlen Verluste von 9,7% gegenüber der letzten Kommunalwahl erlitten, die AfD legte um 14,1% auf 16,4% zu.

Zu Beginn der Denkschrift befürchten die Autoren ein Fiasko für die CDU bei den 2021 stattfindenden Landtagswahlen. Es bedürfe einer neuen Streitkultur um den besten politischen Weg. „Sowohl die große Koalition auf Bundesebene als auch die jetzige Kenia-Koalition schaden der CDU nachhaltig …“. Da Deutschland „immer noch mehrheitlich konservativ“ wähle, müssten „sich künftige strategische Überlegungen ausschließlich daran orientieren, mit welchen Parteien die eigene Politik und der mehrheitliche Wille der Wähler in Sachsen-Anhalt tatsächlich umgesetzt werden kann.“ Welche Parteien haben die Autoren im Focus? Die Grünen nicht, die SPD nicht, denn mit ihnen sei die CDU aktuell in einer sie „schädigenden“ Kenia-Koalition. Schon gar nicht die Linke, denn gegen multikulturelle Strömungen linker Parteien müsse man sich klar abgrenzen: „Die CDU ist gut beraten, dem linken Mainstream aus gesteuertem Gutmenschentum und Klimaverständnis durch eine deutliche Politik mit klaren Aussagen zu begegnen.“

Klare Aussagen: „Nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit … sind die Grundlage für das Zusammenleben, die Geschichte und das gegenseitige Verständnis in unserer Gesellschaft.“ Die CDU habe den historischen Fehler begangen, der Untergrabung der oben benannten Grundlagen durch linke Parteien nur defensiv begegnet zu sein. Die Korrektur: „Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen.“ (Alle Zitate: www.lee-lsa.de/fileadmin/Dokumente/LJZ_Denkschrift_CDU_SA.pdf) Die Nutzung dieses Kernsatzes völkisch nationalistischer Ideologie ist der deutlichste Hinweis, die strategisch inhaltliche Ausrichtung der CDU in Richtung AfD zu lenken. Kurz nach Bekanntwerden der Denkschrift schreibt Zeitonline „CDU-Politiker in Sachsen-Anhalt denken über eine Zusammenarbeit mit der AfD nach“ (20.6.19) CDU-Generalsekretär Zimiak twittert: „Die CDU lehnt jede Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD strikt ab.“ Auch das CDU-Grundsatzprogramm nennt als Fundament des gemeinsamen Handelns die Anerkennung „der Würde, Freiheit und Gleichheit aller Menschen“ und nicht nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit. Abgeleitet aus ihren Grundwerten Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit erklärt sie in Punkt 5 die Gleichheit der Würde aller Menschen unabhängig von der Nationalität.

Die Stimmung?

Auf welche Stimmung im Land trifft dieser Versuch der „Neuausrichtung“? Für die Transformation der Wirtschaft hin zu profitorientierter Betriebsführung hat Sachsen-Anhalt einen hohen Preis gezahlt. Von den 46 000 Beschäftigten in der Chemieregion Halle/Saale (Leuna-, Bunawerke) sind 11300 übriggeblieben. Von den 30 000 Beschäftigten im Schwermaschinen-Kombinat Erich Thälmann findet man heute gerade mal 400 beim Windkraftanlagenhersteller SKET. Im Mitteldeutschen Braunkohle-Tagebau waren 60 000 beschäftigt, heute 2400. Die Arbeitslosenquote war mit 21,7% die höchste aller Bundesländer Ende der 1990er. Die Bevölkerung hat durch Abwanderung und sinkende Geburtenrate um 25% abgenommen.

Nicht Wenige werden sich wie der 1. FC Magdeburg fühlen: 1974 selbstbewusster Fußball-Europapokalsieger – durchgereicht in die 3. Liga.

Die Regierung hatte sich 2016 im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, Sachsen-Anhalt zukunftsfähig zu machen. Der Bevölkerungsrückgang ist seit 2019 gestoppt. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ist um 16 000 gestiegen, die Arbeitslosenzahlen um 30 000 gesunken.

Angesichts zweier Großinvestitionen zur Herstellung von Batterien und Karosserieteilen für Elektrofahrzeuge (600 Beschäftigte) forderte Die Linke 2019 einen „Strategiedialog“ zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik zum Strukturwandel in der Automobil- und Zulieferindustrie. Im „Interesse von wirtschaftlichem Wachstum, sicheren Arbeitsplätzen und Klimaschutz“ beschloss der Landtag, mit Änderungen, dem Vorschlag zu folgen.

Landeshaushalt – Ansätze und Baustellen

Auch die Aufnahme des neuen Staatszieles „Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ im Land Sachsen-Anhalt durch die anfangs dokumentierte Verfassungsreform könnte jetzt dazu genutzt werden, neue Beschäftigung zu schaffen und durch die Stärkung der Kommunen der Verödung ländlicher Regionen entgegenzuwirken. Ende März beschloss der Landtag den Doppelhaushalt 2020/21. Ein Drittel der Ausgaben soll bei den Kommunen landen. Jährlich 1,6 Milliarden Euro gehen direkt als Zuschüsse an die Kommunalhaushalte. Neben zusätzlich 80 Millionen Euro für dringende Investitionen will die Landesregierung Dorfgemeinschaftsläden, Dorfgaststätten und Sportvereine fördern. Die von der Fraktion Die Linke geforderten dringend benötigten Mittel zur Krankenhaussanierung, zum Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und zur Finanzierung eines kostenlosen Azubitickets haben die Regierungsfraktionen verweigert. Wenigstens die Einführung eines 50-Euro-Monatstickets für Auszubildende stellt sie ab 2021 den Studenten gleich. Auch wenn die Betreuungsquote mit 58% für Kinder unter drei Jahre die höchste aller Bundesländer ist, müsste das Betreuungspersonal verdoppelt werden, um auf vergleichbare Arbeitsbedingungen wie in den westlichen Bundesländern zu kommen.

Es gibt durchaus Bemühungen der Landesregierung, den historisch industriellen und damit verbundenen sozialen Kahlschlag zu verarbeiten in Richtung ihres erklärten Ziels, die „Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in den Mittelpunkt“.

Abb. (PDF): Zigtausende Arbeitsplätze sind im Braunkohletagebau in Sachsen-Anhalt verloren gegangen. Wofür wird die Landesregierung die 5 Milliarden Euro Bundeszuschüsse für den Kohleausstieg nutzen ?