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ARCHIV

Nr.3/2020, S.08

Aktionen – Initiativen

Thema : Corona und die Bürgerrechte – Dok: Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

01 Verbote- Hamburg – Abwertung von Grundrechten nrw

02 Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte: Rationalität in Zeiten der Unsicherheit

03 Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. – Demokratie- und Grundrechteabbau in der Corona-Krise beenden!

04 Interventionistische Linke: Abstand halten zu Hygiene-Demos

05 Humanistische Union: Grundrechte gehören nicht in Quarantäne, auch nicht Datenschutz in der Pandemie!

01

16. April Hamburg. Eine angemeldete und vor dem Verwaltungsgericht erstrittene Kundgebung einer auf 30 beschränkten Zahl von Juristinnen und Juristen auf dem Rathausmarkt wurde fünf Minuten vor Beginn durch das OVG unter Berufung auf die Bannmeile doch noch verboten. Auch in NRW wurde zwischen dem 22. März und dem 13. April 2020 die Hälfte der angemeldeten Demonstrationen nicht genehmigt, nur 7 Demonstrationen fanden statt. 44 Anmeldungen wurden zurückgezogen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Reul hat sogar das Grundrecht des Versammlungsrechts generell in Frage gestellt: „Es gibt auch keinen Grund zu einer entsprechenden verfassungsrechtlichen oder rechtspolitischen Privilegierung der Grundrechtsausübung nach Artikel 8 des Grundgesetzes, zumal ich mich mit vielen anderen in der Meinung einig weiß, dass deren teils doch recht einseitig anmutende staatspraktische Bevorzugung in der Folge des sog. Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vielleicht auch in anderen Zusammenhängen einmal auf den Prüfstand gestellt werden sollte.“ – In dem angesprochenen Beschluss heißt es u.a., dass die Versammlungsfreiheit „zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens“ gehört.

Abb. (PDF): Kundgebung

02

Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte: Rationalität in Zeiten der Unsicherheit

Mit der Covid19-Pandemie hat sich das Verhältnis von Gesundheit und Politik in der öffentlichen Debatte drastisch verändert … Leider bekommen im Moment Kolleg*innen verstärkt Aufmerksamkeit, die die krisenhafte Situation ausnutzen; sie treten öffentlich z.B. als „die wahren Aufklärer“ auf, die den verunsicherten Laien scheinbar erklären, wie die wirklichen Zusammenhänge angeblich sind. Dabei drängen sich auch Ärzt*innen in die öffentliche Debatte, die schon vor der Pandemie in der verschwörungsideologischen, parawissenschaftlichen oder auch rechten Szene aktiv waren … Das wollen wir nicht unwidersprochen lassen. Wir demokratischen Ärztinnen und Ärzte wollen uns der Verantwortung stellen, die sich daraus ergibt und bei all der Unsicherheit und Komplexität an Informationen und Daten unsere Stimme für die Rationalität erheben:

Ja, wir alle leben in Zeiten der Unsicherheit und wir haben nicht alle Informationen, die wir bräuchten, um ganz sicher zu urteilen. Im Übrigen gilt dies auch für „normale“ Zeiten. Es scheint trivial, aber Unsicherheiten sind Teil des Lebens und auch der medizinischen Wissenschaft und Patient*innenversorgung. Um diese unvermeidliche Unsicherheit nicht ertragen zu müssen, bietet sich die Flucht in Glaubensgebäude wie Verschwörungsmythen an … Dazu sagen wir: Nein, gerade in der Krise muss die Grundlage unseres ärztlichen Handelns weiterhin eine kritische Rationalität sein. Zum Wohl der Bevölkerung und jedes Einzelnen nutzen wir wissenschaftliche, medizinische Forschung, nicht ohne ihre Einbettung in die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu betrachten. Das heißt, immer einen besonderen Blick auf ökonomische und politische Machtstrukturen zu haben, die sowohl die Gesundheitslage der Bevölkerung als auch die Medizin prägen. Kritisch zu sein, heißt eben nicht, sich die Welt so zusammen zu spinnen, wie es uns am besten passt.

Ja, die Maßnahmen, die von der Politik getroffen wurden, schränken zum Teil unsere Grundrechte ein und sie sind nicht immer und überall logisch konsistent. Aber wir sagen: Nein, das hat nichts mit Diktatur und Machtergreifung, nichts mit einem geheimen Plan von „Machteliten“ oder ähnlichem zu tun, sondern mit durch Wissenschaft begründeten Empfehlungen und Verhaltensmaßregeln zum Schutz der Bevölkerung, also uns allen – unter Bedingung von Unsicherheit. Dabei gehen uns manche Regelungen z.B. zum Schutz von Menschen in Pflegeheimen, von Menschen in Massenunterkünften für Geflüchtete (die schon vor der Pandemie eine Gesundheitsgefahr waren und aufgelöst gehören) und von Menschen ohne Obdach nicht weit genug; andere Maßnahmen erscheinen uns auf dem Stand der jetzigen Kenntnisse übertrieben. Gerade die sozioökonomischen Folgen der Maßnahmen und ihre möglichen Auswirkungen auf gesundheitliche Ungleichheiten verdienen kritische Aufmerksamkeit. An einer solchen rationalen gesellschaftlichen Debatte beteiligen wir uns mit unserem Fachwissen gern.

Ja, auch wir kritisieren Gesundheitsminister Jens Spahn, wenn er die Situation der Krise auszunutzen scheint, um seinen digitalen und anderen Fantasien ohne Rücksicht auf Datenschutz und demokratische Verfahrensregeln zum Durchbruch zu verhelfen. Aber wir sagen Nein zur Kritik an der behaupteten „Impfpflicht“, auch deshalb, weil es aktuell kein Gesetz und keinen Entwurf eines Gesetzes gibt, das bezogen auf Covid19 eine solche fordert … Und ja, auch wir kritisieren die Bill und Melinda Gates Foundation (BMGF) in der WHO … Wir sagen dennoch: Nein, wir halten Gates nicht für den allmächtigen Strippenzieher, und wir halten die aktuelle Situation nicht für eine Verschwörung zum Zwecke der totalen Unterdrückung, sondern für normale und zu kritisierende Entwicklungen im Verhältnis von kapitalistischer Ökonomie und Politik.

Und ja, auch wir kritisieren Demokratiedefizite und politische Alleingänge von Regierungen. Aber unsere Lösung heißt mehr Demokratie und nicht weniger. Mehr Aufklärung und Rationalität und nicht Verschwörungsglaube und einfachste Antworten auf komplexe Probleme. Wir stellen uns lieber der schwierigen Aufgabe kritischer Rationalität, als unkritisch das Bestehende hinzunehmen oder die Flucht ins Irrationale anzutreten.

www.vdaeae.de/index.php/presseerklaerungen/152-2020/1090-vdaeae-zu-den-verschwoerungsideologien-rund-um-corona

03

Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. – Demokratie- und Grundrechteabbau in der Corona-Krise beenden!

Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung durch Bund, Länder und Kommunen haben zu den schärfsten Grundrechtsbeeinträchtigungen seit Bestehen der Bundesrepublik geführt. Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Einschränkungen von weiten Teilen der Bevölkerung umfassend begrüßt werden. Nach einer konkreten und nachvollziehbaren Gefahrenprognose und der Erforderlichkeit der hieraus abgeleiteten Maßnahme wird bisher noch selten gefragt. Innerhalb kürzester Zeit wurden immer härtere Maßnahmen implementiert, ohne dass die nötige Zeit blieb, die zuvor erfolgten milderen Maßnahmen zu evaluieren. Gerade in Anbetracht der einschneidenden gesetzgeberischen Maßnahmen braucht es funktionierende demokratische Parlamente, eine wirksame parlamentarische und außerparlamentarische Opposition und gerichtliche Kontrolle.

Hohes Gut des Gesundheits- und Lebensschutzes … Stehen sich konkurrierende Rechtsgüter gegenüber, müssen die widerstreitenden Grundrechtspositionen nach bekannter Verfassungsjudikatur in ein Verhältnis „praktischer Konkordanz“ gebracht werden, was heißt, dass die konkurrierenden Schutzgüter und Interessen jeweils zur „optimalen Geltung“ gebracht werden müssen. Der Gesichtspunkt einer größtmöglichen Verwirklichung konkurrierender Interessen, z.B. des Versammlungsrechts und der Religionsfreiheit droht unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes zu verschwinden. In einem Prozess umfassender Grundrechtsoptimierung dürfen die Zunahme von häuslicher Gewalt, die Einschränkung der sozialen Infrastruktur, die Zunahme von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen sowie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch Isolation und psychischen Stress nicht unberücksichtigt bleiben. Dasselbe gilt für die wirtschaftlichen Schäden für Selbstständige, abhängig Beschäftigte und Kleinunternehmen. Die betroffenen Rechtsgüter dürfen im Rahmen des Grundgesetzes nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern müssen permanent daraufhin geprüft werden, wie optimale Grundrechtsentfaltung in allen Lebensbereichen möglich ist und wie Eingriffe auf das absolut notwendige Minimum beschränkt werden können. Diese Grenze ist – wie mittlerweile gerichtlich festgestellt wurde – etwa überschritten, wenn Versammlungen ohne Rücksicht auf die Umstände ihrer Durchführung pauschal verboten werden …

www.vdj.de/mitteilungen/nachrichten/nachricht/demokratie-und-grundrechteabbau-in-der-corona-krise-beenden/

04

Interventionistische Linke: Abstand halten zu Hygiene-Demos

Keine Frage. Es gibt gute Gründe, gegen aktuelle und vergangene staatliche Maßnahmen im Zuge der Corona-Krise zu protestieren. Etwa, wenn die Polizei Demonstrationen für die Evakuierung der Lager auf den griechischen Inseln gewaltsam auflöst, obwohl diese mit ausreichendem Abstand und mit Mundschutz durchgeführt wurden… Eine kritische Betrachtung der Maßnahmen zu Corona ist wichtig, vor allem wenn tief in Grundrechte eingegriffen wird. Die Maßnahmen, mit denen einer Pandemie begegnet wird, sind schließlich nicht nur medizinisch begründet, sondern auch das Ergebnis politischen Handelns. Allerdings ziehen wir eine rote Linie, wenn Menschen den Corona-Virus und seine Konsequenzen leugnen und sich mit Rechten, Antisemit*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien auf eine Seite stellen. Längst sind Kräfte aus NPD und AfD, Reichsbürger*innen oder sogenannte QANON-Anhänger*innen Teil dieser Proteste geworden. Das Milieu erstreckt sich also von rechtsoffen bis hin in die extreme Rechte. In ganz Deutschland tragen Teilnehmer*innen NS- und Shoah-relativierende Abbildungen, antisemitische Symbole oder Schilder mit verschwörungsideologischen Parolen mit sich herum. Wer sich als Teilnehmer*in davon nicht distanziert, muss sich nicht wundern mit Rechten, Antisemit*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien in einen Topf geworfen zu werden. Das, was sich hier unter dem Deckmantel vermeintlicher Corona-Proteste formiert, erinnert an die rechte Pegida-Bewegung mit leicht verschobenem Themenschwerpunkt … Was sich auf diesen selbsternannten Hygiene-Demos abspielt, hat nichts mit einem rationalen Diskurs über die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen zu tun. Denn Corona ist keine Frage des Glaubens, sondern eine bittere Realität. Wer die hunderttausenden Toten ignoriert oder gar als Lüge abtut, leistet der Pandemie Vorschub. Wer sich über grundlegende Maßnahmen hinwegsetzt, die dem Schutz der Mitmenschen dienen, handelt unverantwortlich und unsolidarisch … Markiert die sogenannten Hygienedemos als das, was sie sind: Reaktionär, unsolidarisch und brandgefährlich. Für solidarische Perspektiven statt Verschwörungstheorien! Draw the red line!

https://interventionistische-linke.org/beitrag/where-we-draw-line

05

Humanistische Union: Grundrechte gehören nicht in Quarantäne, auch nicht Datenschutz in der Pandemie!

Nach Protesten von Datenschutzexperten und langen Debatten in Politik und Wissenschaft hat sich die Bundesregierung gestern klar für eine „Corona-App“ entschieden, bei der die Daten dezentral gespeichert werden … „Die Humanistische Union begrüßt die Entscheidung für eine dezentrale Lösung“, so die Beauftragte für Netzpolitik und Grundrechte der Humanistischen Union, Christiane Bodammer. „Damit sind aber noch lange nicht alle grundrechtlichen Bedenken gegenüber einer ‚Corona-App‘ vom Tisch – auch wenn man das beim Enthusiasmus der Opposition vermuten könnte.“ Die Tatsache, dass die App von Großkonzernen entwickelt werden soll, die nicht für ihr Interesse an Datenschutz bekannt sind, ist problematisch. Viele grundsätzliche Aspekte sind in einer ausführlichen Studie des FIfF (Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung) erläutert, und kurz zusammengefasst hat die Problematik der Chaos Computer Club in einer Liste von Prüfsteinen für eine grundrechtekompatible „Corona-App“. Die Humanistische Union stellt in Übereinstimmung mit diesen und anderen Organisationen in der Republik folgende Anforderungen an eine „Corona-App“:

Freiwilligkeit – Die Verwendung einer solchen App muss freiwillig sein und darf nicht verknüpft werden mit Vergünstigungen oder positiver Sanktionierung – wie Rückkehr an Schule oder Arbeitsplatz…

Begrenztheit – Die Daten dürfen nur für den sehr eingeschränkten Zweck der Covid-19-Infektionsverfolgung erhoben werden und keinesfalls für sonstige, etwa aus Verstößen gegen die Verhaltensanordnungen folgende polizeiliche oder strafverfolgerische Maßnahmen.

Sparsamkeit – Es dürfen nur die allernotwendigsten Daten erhoben werden, und diese dürfen nur für den vorher definierten Zweck verwendet werden.

Zeitliche Begrenzung – Die Technik und die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen sicherstellen, dass entsprechende Daten gelöscht werden, sobald sie nicht mehr benötigt werden.

Transparenz – Um Transparenz zu sichern, muss die App quelloffen sein. Wenn Dritte (staatliche Gesundheitsbehörden, Forschungsinstitute o.ä.) Daten verwenden, muss öffentlich gemacht werden, wie diese Daten erhoben wurden und wie sie verwendet werden.

Inklusion – Eine „Corona-App“ muss auch für beeinträchtigte Menschen und Menschen, die eine andere Sprache sprechen, benutzbar sein.

Anonymität – Es ist sicherzustellen, dass die Anonymität der gespeicherten Daten gewahrt bleibt und nicht bei Bedarf, auch nicht zeitlich beschränkt und für begrenzte Örtlichkeiten wie neue Hotspots, wieder aufgehoben werden kann.

Soziale Akzeptanz von Tracing – Es muss darauf geachtet werden, dass „Tracing“ nicht über die Corona-Bekämpfung hinaus soziale Akzeptanz erhält und auch in andere Anwendungsbereiche Einzug hält. Auf keinen Fall darf es einen Gewöhnungseffekt in Bezug auf Tracing geben…

http://www.humanistische-union.de/nc/aktuelles/aktuelles_detail/back/aktuelles/article/grundrechte-gehoeren-nicht-in-quarantaene-auch-nicht-datenschutz-in-der-pandemie/