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ARCHIV

Nr.3/2020, S.11

Aus Kommunen und Ländern

Konjunkturpaket mit Licht und Schatten – Altschuldenproblematik weiter ungelöst Mannheim: Der Schirm ist löchrig Jetzt ein Kölner Investitionsprogramm von Stadt und Stadtwerken entwickeln! DOK: Kommunale Politik: In finanzieller Notlage

Konjunkturpaket mit Licht und Schatten – Altschuldenproblematik weiter ungelöst

01 DOK Resolution Essen

Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

Die Corona-Pandemie hat die Kommunen kalt erwischt. Die Stadt Essen, die 2016 den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 25 Jahren vorweisen konnte, hat für das Jahr 2020 mit einem Überschuss von 27,1 Millionen Euro und im Jahr 2021 von 27,6 Millionen Euro gerechnet. Tatsächlich werden sich jetzt allein im ersten Halbjahr 2020 die zusätzlichen Ausgaben und die Einnahmeverluste auf ca. 170 Mio. Euro addieren. Die Haushaltsziele werden völlig verfehlt und die jetzt schon hohen Dispositionskredite weiter steigen. Vor diesem Hintergrund enthält das Konjunkturpaket des Bundes gute Ansätze. Für Kommunen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit ist die Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft von 50 auf 75 Prozent eine deutliche, strukturelle Entlastung. Insgesamt werden die Kommunen in NRW dauerhaft um jährlich rund 1 Mrd. Euro entlastet, die im Ruhrgebiet um rund 392 Mio. Euro, Essen profitiert mit ca. 60 Mio. Euro. Die jeweils hälftige Kompensation der krisenbedingten Gewerbesteuerausfälle durch Bund und Land machen dort einmalig rund 113 Mio. Euro aus. Beide Maßnahmen zusammen kompensieren in Essen so gerade das Minus des ersten Halbjahres 2020. Hinzu kommen weitere Hilfen für den ÖPNV, für die Unterstützung bei Förderprogrammen, für Sportstätten etc. (s. Kasten). – Zur großen Enttäuschung quer durch die meisten Parteien ist das Altschuldenproblem aber wieder nicht gelöst worden.

Gegen den Druck der Vertreter der süddeutschen Bundesländer aus CDU und CSU und zum Teil auch der Grünen, hat der Vorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, einen Altschuldenfonds einzurichten, keine Chance gehabt. Bundesweit sind über 2.300 Kommunen mit rund 45 Mrd. Euro an Liquiditätskrediten verschuldet, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Die Kommunen in NRW sind mit 24 Milliarden Euro, davon die Städte im Ruhrgebiet mit fast 15 Mrd. Euro verschuldet, Essen mit knapp 2 Mrd. Euro. Nicht wenige Kommunen hatten bereits mit der Tilgung begonnen, jetzt geht es wieder in die andere Richtung. Denn allein den Gemeinden in NRW drohen 2020 Mehrbelastungen bis zu 7 Milliarden Euro.

Diese Verschuldung hat nur wenig mit einem Missmanagement der Kommunen zu tun, wie es insbesondere aus der Union tönt. Sie ist Folge der chronischen Unterfinanzierung der hohen Kosten der Arbeitslosigkeit in Regionen mit großen Umbrüchen der kapitalistischen Produktionsweise, wie im Ruhrgebiet oder im Saarland. Sie ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, so wie umgekehrt die damalige Ausbeutung der Kohle und der Bergarbeiter als gesamtgesellschaftlicher Nutzen aufgefasst worden ist und das Ruhrgebiet als Wirtschaftsmotor galt. Das wurde mit den Milliardenhilfe für den Strukturwandel zwar anerkannt, aber nicht konsequent genug bei den Sozialkosten umgesetzt. Denn das Konnexitätsprinzip wurde jahrzehntelang missachtet. Deshalb sind Bund und Land für die Überschuldung der Kommunen mitverantwortlich.

Disparitäten werden größer

Der Anteil des Bundes an einen Altschuldenfonds läge bei einer hälftigen Beteiligung, einer Laufzeit von 30 Jahren und einem Zinssatz von einem Prozent, bei rund einer Milliarde Euro pro Jahr. Für den Bund wären das „Peanuts“, für die betroffenen Kommunen aber ein großer Schritt raus aus der „Vergeblichkeitsfalle“ der Überschuldung. Jetzt werden sich die Unterschiede zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Kommunen voraussichtlich sogar noch verschärfen: „Würde sich der Bund nur über eine weitere Erhöhung der Bundesbeteiligung an den kommunalen Sozialausgaben beteiligen, würde dies wiederum die Kommunen in zwei Lager spalten: die einen können mit den zusätzlichen Mitteln noch mehr investieren, Steuern senken und/oder ihre Leistungen weiter steigern – die anderen müssen die Überschüsse für die Schuldentilgung verwenden und ihre Bürger weiter „kurz halten“. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse geriete so noch mehr aus dem Gleichgewicht“.1 Diese Analyse stammt zwar noch aus Vor-Corona-Zeiten und auch wohlhabendere Kommunen müssen derzeit reichlich Federn lassen. Aber mit der teilweisen Übernahme der Gewerbesteuerausfälle durch Bund und Länder bekommen die Kommunen mit hohen Ausfällen auch mehr Hilfen und können schneller wieder auf die Füße kommen, im Gegensatz zu Kommunen, in denen die Gewerbesteuer generell nur mäßig fließt und die Ressourcen gering sind.

Um politischen Druck aufzubauen, hat die linke Fraktion im Rat der Stadt Essen bereits Anfang des Jahres, noch vor Beginn der Pandemie, eine Ratsinitiative für eine gemeinsame Resolution für einen Altschuldenfonds auf den Weg gebracht. Das ist zunächst an der CDU-Fraktion gescheitert. Erst als sich der CDU-Kämmerer eingeschaltet hat, kam Bewegung in die Angelegenheit. Eine mit dem Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ abgestimmte Resolution wurde im April durch einen gemeinsamen Antrag aller Ratsfraktionen einstimmig verabschiedet (s. Kasten S. 11). Die Resolution sollte auch in den anderen Städten auf die Tagesordnung kommen.

NRW-Landesregierung muss liefern

Ausgerechnet in NRW, dem Bundesland mit den höchsten Altschulden, drückt sich deren Ministerpräsident Armin Laschet vor einer Lösung des Problems, obwohl die Kommunen verfassungsrechtlich Teil des Landes sind. Aber die Stimmen werden jetzt immer lauter, die das Land in die Pflicht nehmen wollen, auch bei vielen Kommunalpolitikern der Regierungsparteien. Der Verdi-Bezirk Ruhr-West fordert mit einer Unterschriftenkampagne einen ergänzenden Rettungsschirm und die Übernahme der Altschulden durch das Land und legt den Finger in die Wunde: „ … Die Trägervielfalt in Essen hat in der Vergangenheit einen wesentlichen Beitrag für das Gemeinwohl geleistet und muss das auch für die Zukunft gewährleisten können. Viele der genannten notwendigen Hilfen sind ,freiwillige Aufgaben‘ im Sinne der Gemeindeordnung und gelten bei drohender Überschuldung als verzichtbar. All das wird also durch die drückende Last der Altschulden gefährdet …“

Das Land Hessen hat mit dem „Hessen-Modell“ vorgemacht, wie es gehen könnte. Dort beteiligt sich das Land zu 50 Prozent an den Altschulden, jede Kommune tilgt längstens 30 Jahre mit 25 Euro pro Einwohner, danach übernimmt das Land den Rest. Allerdings ist das Modell nicht so einfach übertragbar auf andere Länder. „Denn zum einen sind die Kommunen in Hessen insgesamt weniger verschuldet als in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Zum anderen gehört das Land Hessen wie im Durchschnitt auch seine Kommunen zu den finanzstärkeren in Deutschland.“1

Ohne Bundesbeteiligung bleibt es also schwierig. Was können die Kommunen selber tun, um aus der Krise zu kommen? Dazu mehr in den Beiträgen aus Mannheim und Köln.

1 Kommunale Altschulden im Ruhrgebiet – Handlungsoptionen für einen fiskalischen Neustart, Professor Dr. Martin Junkernheinrich

01

Die Fraktionen von SPD / CDU / Grüne / Tierschutz / SLB / EBB / Linke / FDP beantragen, der Hauptausschuss der Stadt Essen beschließt (anstelle des Rates) folgende Resolution:

Politik bewährt sich vor Ort. Das hat sich in der Corona-Pandemie erneut bestätigt. Gerade weil die Kommunen die Entscheidungen von Bund und Land zuverlässig, glaubwürdig und engagiert umsetzen und kontrollieren, meistern Staat und Demokratie die Krise.

Das gilt auch für diejenigen Städte und Gemeinden, die seit Jahren vergeblich eine gemeinsame Lösung des kommunalen Altschuldenproblems durch Bund, Länder und betroffene Gemeinden fordern. Wegen des von der Corona-Pandemie verursachten wirtschaftlichen Abschwungs gehen ihnen durch eiserne Sparmaßnahmen wiedergewonnene Handlungsspielräume verloren. Um die kommunale Daseinsvorsorge zu sichern, droht ihnen ohne schnelle Bundes- und Länderhilfe wiederum das Aufhäufen weiterer Schuldenberge, die sie selbst niemals allein abtragen können. Ein Teufelskreis! Deshalb fordert der Rat der Stadt Essen gemeinsam mit dem Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“, dem 70 Kommunen aus acht Bundesländern mit mehr als neun Millionen Einwohnern angehören, die Bundeskanzlerin, die Ministerpräsidenten und sämtliche weitere politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Bund und Ländern dringend auf, unverzüglich konkrete Vereinbarungen über die Übernahme der kommunalen Altschulden durch den Bund, Länder und betroffene Kommunen zu treffen. Die vor Monaten formulierte Erwartung des Bundeskabinetts, zur Hilfe für die finanzschwachen Kommunen bedürfe es einen „Nationalen Konsens“, ist durch die unvorstellbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie überholt. Inzwischen machen nämlich selbst die Verantwortlichen der bislang sogenannten „reichen“ Kommunen die Erfahrung, dass auch sie bei weiterem wirtschaftlichem Abschwung künftig ebenso unverschuldet in eine ähnliche Situation geraten können wie seit vielen Jahren die struktur- und finanzschwachen Kommunen. Staat und demokratische Gesellschaft funktionieren in Deutschland in dieser Pandemie-Krise als weltweite Vorbilder. Damit das so bleibt, müssen Bund und Länder die Kommunen bei der Kommunalen Daseinsvorsorge finanziell stärker als bisher unterstützen. Deshalb fordert der Rat der Stadt Essen gemeinsam mit allen weiteren Mitgliedskommunen des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ klare und konkrete Hilfen – nämlich unverzüglich bundes- und landespolitische Entscheidungen zum Abbau der kommunalen Altschulden sowie ebenso notwendige Schritte zur weiteren Entlastung der Kommunen im Sozialbereich und zusätzlich zu dem Rettungsschirm für die Wirtschaft einen kommunalen Corona-Rettungsschirm zu schaffen.