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ARCHIV

Nr.3/2020, S.16

Gewerkschaften/Soziale Bewegungen

Minister Heil wird beim Anspruch auf Homeoffice konkret – und stiftet Verwirrung

01 Tarifvertrag zum Mobilen Arbeiten (TV MobA)

Wolfgang Gehring, Gehrden / Rolf Gehring, Brüssel

In Deutschland können die Beschäftigten jederzeit mit dem Wunsch nach mobiler Arbeit oder Homeoffice an ihren Arbeitgeber herantreten; eine gesetzliche Regelung hierzu gibt es bislang nicht.

Ein Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, auf den Wunsch von Beschäftigten, mobil oder im Homeoffice arbeiten zu wollen, zu reagieren.

Will der Arbeitgeber den Wunsch des/der Beschäftigten ablehnen, ist dies formlos möglich. Hintergrund: das Weisungsrecht/Direktionsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO). Dieses berechtigt ihn dazu, „Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen“.

Das möchte der Minister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, in Bezug auf den Arbeitsort nun einschränken:

„Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können – auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist“, sagte Heil zu „Bild am Sonntag“ (26.4.2020). Bis Herbst will der Minister deshalb ein entsprechendes Gesetz vorlegen. Mit diesem Vorhaben handelt er auf der Grundlage des Koalitionsvertrages, der festgelegt hat, zur Förderung und Erleichterung von mobiler Arbeit einen rechtlichen Rahmen zu schaffen. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag:

„Wir wollen mobile Arbeit fördern und erleichtern. Dazu werden wir einen rechtlichen Rahmen schaffen. Zu diesem gehört auch ein Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung sowie Rechtssicherheit für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber im Umgang mit privat genutzter Firmentechnik.“

Hier stoßen wir auf eine Unschärfe der verwendeten Begriffe, die so auch im öffentlichen Diskurs anzutreffen ist. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wird in der „BamS“ mit dem Ziel zitiert, „jeder … soll im Homeoffice arbeiten können …“, während der Koalitionsvertrag „… mobile Arbeit fördern und erleichtern …“ will. Um was geht es nun? Steht das eine synonym für das andere, oder meint beides das Gleiche?

Homeoffice, Telearbeit, Heimarbeit: Die Begrifflichkeiten

Zur begrifflichen Unterscheidung: Eine gesetzliche Definition des Begriffes Homeoffice gibt es (noch) nicht. Nach allgemeinem Sprachgebrauch versteht man hierunter das gelegentliche oder ständige Arbeiten in den privaten Räumlichkeiten des/der Beschäftigten. Mobiles Arbeiten beschreibt nach allgemeinem Verständnis Tätigkeiten an nicht feststehenden Orten, wie im Park oder Café.

Der Begriff der Telearbeit findet sich in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), § 2 VII ArbStättV. Er definiert Telearbeitsplätze als vom Arbeitgeber fest eingerichtete Bildschirmarbeitsplätze im Privatbereich der Beschäftigten, für die der Arbeitgeber eine mit den Beschäftigten vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit und die Dauer der Einrichtung festgelegt hat. Telearbeit muss arbeitsvertraglich geregelt, die benötigte Ausstattung mit Mobiliar, Arbeitsmitteln einschließlich der Kommunikationseinrichtung vom Arbeitgeber bereitgestellt und installiert sein.

Heimarbeit nach dem Heimarbeitsgesetzes (HAG) ist von Telearbeit zu unterscheiden. Heimarbeiter oder Heimarbeiterin ist, wer in einer selbst gewählten Arbeitsstätte allein beziehungsweise mit Familienangehörigen im Auftrag von Gewerbetreibenden arbeitet. Sie sind keine Arbeitnehmer, sondern Selbständige. Es gibt kein Weisungsrecht des Auftraggebers. Sie unterliegen den Schutzvorschriften des Heimarbeitsgesetzes.

Arbeit im Homeoffice – Probleme bei der praktischen Umsetzung

In der praktischen Umsetzung von Arbeit liegt der Fokus oft auf der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, den Kosten (etwa hinsichtlich der technischen Ausstattung) oder sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Fragen. Die Frage des Arbeitsschutzes findet häufig kaum Beachtung: dabei gelten für die Beschäftigten, die in ihrer eigenen häuslichen Umgebung tätig sind, in gleicher Weise auch alle arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften.

Aspekte der Arbeitssicherheit werden vernachlässigt, nicht nur, weil Beschäftigte im Homeoffice des Öfteren nicht mehr als vollständige Betriebsangehörige wahrgenommen werden, sondern auch, weil die praktische Umsetzung schwierig ist: der Arbeitgeber hat kein Recht auf Zugang zu den privaten Räumlichkeiten der Beschäftigten – weder bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes noch zwecks einer später durchzuführenden (arbeitsschutzrechtlichen) Kontrolle. Dennoch, die Gefährdungsbeurteilung nach den §§ 5 und 6 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ist auch für Arbeitsplätze im Homeoffice durchzuführen, Gefährdungsminimierung zu betreiben. Praktisch dürfte dies heute die absolute Ausnahme sein.

Arbeitsorganisation und Kooperation

Über Gesetz und Tarifverträge hat in den letzten Dekaden in gewisser Weise eine lebensweltliche Öffnung der Arbeitswelt stattgefunden. Individuelle Rechte und Ansprüche sind vielfältig aufgenommen worden. Der Begriff der Work-Life-Balance drückt dies vielleicht am sinnfälligsten aus. Gleichzeitig haben sich Arbeits- und Kooperationsprozesse verändert, sind vielfältiger und flexibler geworden, Spielräume entstehen, auch die Kooperation zwischen individualisierten Einzelarbeitsplätzen wird möglich. Gleichwohl sind weite Teile der Arbeit in Produktion, Dienstleistung und anderen Bereichen von der auch physischen Kooperation getragen. Neben der oben angesprochenen Problematik des Arbeitsschutzes und der möglichen psychischen Belastung in Heimarbeit werden auch die amputierten Kooperationsprozesse deutlich sichtbar, Klagen darüber häufen sich bei den jetzt von erzwungener Heimarbeit Betroffenen. Der kurze Weg fehlt, die Kommunikation über E-Mail ist irgendwie auch amputiert, die kleine gemeinsame Problemlösung am Gegenstand nicht möglich usf.

Ein Individualrecht auf Heimarbeit scheint etwas unpassend, die Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung des Dreiecks von Arbeitsprozessen, der Kooperation darin und der individuellen Lebensgestaltung wird jedoch ein spannender, auch konfliktreicher Prozess bleiben.

01

Tarifvertrag zum Mobilen Arbeiten (TV MobA) – für die Beschäftigten der niedersächsischen Metallindustrie – vom 15. Februar 2018

§ 2 – Ziel und Begriffsbestimmung

1 Mobiles Arbeiten soll dazu beitragen, die Vereinbarkeit der Arbeitstätigkeit und der persönlichen Lebensführung zu verbessern und eine flexible Gestaltung von Arbeitszeit und -ort im privaten sowie betrieblichen Interesse zu ermöglichen.

2 Mobiles Arbeiten umfasst alle arbeitsvertraglichen Tätigkeiten, die zeitweise (flexibel) oder regelmäßig (an fest vereinbarten Tagen) außerhalb der Betriebsstätten durchgeführt werden. Es ist nicht auf Arbeiten mit mobilen Endgeräten beschränkt.

3 Mobiles Arbeiten umfasst nicht Tätigkeiten oder Arbeitsformen, die aufgrund ihrer Eigenart außerhalb des Betriebs zu erbringen sind, z. B. Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Telearbeit, Vertriebs-, Service- und Montagetätigkeiten oder vergleichbare Tätigkeiten.

Gilt ähnlich in allen Tarifgebieten.

Abb. (PDF): www.igmetall.de/service/publikationen-und-studien/metallzeitung/metallzeitung-ausgabe-maerz-2019/telearbeit-oder-mobil-arbeiten