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Nr.3/2020, S.22

Rechte Provokationen – Demokratische Antworten

Redaktionsnotizen. KZ Katzbach in den Adlerwerken Frankfurt/M. – Gedenken zum 75. Jahrestag des Todesmarschs Solidarität, Menschen- und Bürger*innenrechte, Emanzipation – Gegen Rassismus und völkischen Nationalismus Rassismus auch in Deutschland nachhaltig bekämpfen

Solidarität, Menschen- und Bürger*innenrechte, Emanzipation – Gegen Rassismus und völkischen Nationalismus

Christoph Cornides, Mannheim

Hunderttausende demonstrierten weltweit am Wochenende 5.–7. Juni 2020 gegen Rassismus und rassistische Diskriminierung und Gewalt. Allein in Deutschland waren es über 200 000 Menschen in verschiedenen Städten. (Siehe S. 23)

Diese großen Demonstrationen geben zum einen der Auseinandersetzung um Forderungen gegen institutionellen Rassismus und Diskriminierung neuen Auftrieb – unabhängige Beschwerdestellen gegen Polizeiübergriffe, effektives Verbot und Kontrolle von „racial Profiling“ (rassistischen Polizeikontrollen) und viele andere seit langem gestellte Forderungen. Zum anderen haben sie erneut eine gesellschaftliche Auseinandersetzung angestoßen, die sich derzeit auf parlamentarischer und Regierungsebene um die Frage der Streichung des Begriffs „Rasse“ aus Artikel drei des Grundgesetzes gruppiert. In diesem Artikel, der zu denen der Grundrechte und Gleichheitsrechte gehört, heißt es in Absatz (3) „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Zwar in der Absicht der Ablehnung der Verbrechen des Nationalsozialismus wird hier aber im Grundgesetz die Ansicht akzeptiert und festgeschrieben, es gäbe so etwas wie „Menschenrassen“.

„Rasse“ raus aus Art. 3 GG

Gegen alle Versuche einer rassistisch-biologistischen Begründung einer solchen Ansicht seit der Kolonialzeit wandte sich eine Veranstaltung (10.–13. 9.2019) der 112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in Jena unter dem Titel „Jena, Haeckel (der sog. „deutsche Darwin“, d. Verf.) und die Frage nach den Menschenrassen: wie Rassismus Rassen macht“. Die Veranstaltung verabschiedete die „Jenaer Erklärung – Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“. Die Erklärung verfolgt das „Bestreben mit dieser Erklärung gegen scheinbar wissenschaftliche Rechtfertigungen für Rassismus vorzugehen.“ In der Erklärung heißt es u.a.: „Die Idee der Existenz von Menschenrassen war von Anfang an mit einer Bewertung dieser vermeintlichen Rassen verknüpft, ja die Vorstellung der unterschiedlichen Wertigkeit von Menschengruppen ging der vermeintlich wissenschaftlichen Beschäftigung voraus. Die vorrangig biologische Begründung von Menschengruppen als Rassen – etwa aufgrund der Hautfarbe, Augen- oder Schädelform – hat zur Verfolgung, Versklavung und Ermordung von Abermillionen von Menschen geführt. Auch heute noch wird der Begriff Rasse im Zusammenhang mit menschlichen Gruppen vielfach verwendet. Es gibt hierfür aber keine biologische Begründung und tatsächlich hat es diese auch nie gegeben. Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung.“1

Die Streichung des Begriffs „Rasse“ aus Artikel 3 GG wurde bereits 2010 von der Linken in einem Antrag gefordert, der damals aber von den andren Parteien abgelehnt wurde. Heute und nach den Demonstrationen vom 5./7. Juni wird die Streichung erneut von Grünen und Linken gefordert. Die Forderung nach Streichung wird ebenfalls unterstützt von FDP und SPD. Die CDU sei „skeptisch“, wie Innenminister Seehofer sagt und die AfD, sie ist – wie zu erwarten – dagegen.

AfD und völkischer Nationalismus

Bereits jetzt aber zeigt sich, dass die Auseinandersetzung um die Frage der alternativen Formulierung und nicht einfach um streichen/nicht streichen geführt werden muss und wird. (Abgesehen davon, dass auch vom Aussagegehalt des Artikel 3 GG eine ersatzlose Streichung keine Lösung ist.) Und weiter zeigt sich bereits jetzt, dass die Gewinnung einer fortschrittlichen notwendigen Dreiviertelmehrheit im Bundestag – also auch von Teilen der CDU/CSU – nicht ohne die Auseinandersetzung mit und ohne die Abgrenzung vom „völkischen Nationalismus“, dem Bindeglied zwischen „Neuer Rechter“ und AfD, zwischen AfD, „Pegida“ und sog. „Rechtsextremismus“ und dem Versatz von Nazi-Propaganda, gelingen kann.

Warum ist die AfD gegen eine Streichung? Weil die Ausgrenzung und Markierung „der Anderen“, also derer, die nicht zum Volk („…unser liebes Volk“, Höcke in Dresden Januar 2017) gehören, konstitutiv ist für den völkischen Nationalismus. Nur durch Markierung und Ausgrenzung „der Anderen“ lässt sich dagegen die Wahnidee des irgendwie homogenen „Wir-Volkes“ emotionalisieren und propagieren. Im juristischen Nazi-Deutsch des NSDAP-Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888–1985): die „innerstaatliche Feinderklärung“ (einer der Zentralbegriffe Schmitts) braucht die Feindmarkierung, und die kommt ohne rassistische Ausgrenzung nicht aus.

Kaltschnäuzig daher AfD-Mann Stephan Brandner, als Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag abgesetzt: „Eine Änderung des Grundgesetzes insoweit vornehmen zu wollen ist absolut abwegig und offenbart zudem einen weiteren deutlichen Widerspruch der linksgrünen Ideologie. Wenn es Rassen gibt, ist die aktuelle Fassung des Grundgesetzes nicht zu beanstanden, denn dann steht es ja zurecht drin. Wenn es hingegen keine Rassen geben sollte, gäbe es auch keinen ‚Rassismus‘ und der Zirkus der letzten Tage wäre noch weniger nachvollziehbar”, erklärte Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der AfD, dem RND.2

Dass die Streichung des Begriffs „Rasse“ inzwischen auf Unterstützung in allen Parteien trifft, außer bei der AfD, und dass die Auseinandersetzung sich auf das Feld der alternativen Formulierung verlagert, hat auch die AfD inzwischen erkannt. „Der innenpolitische Sprecher der AfD, Gottfried Curio, warf den Grünen vor, sie wollten, „durch Begriffszensur der Wirklichkeit einen linken Deutungsrahmen aufzwingen“. Anstatt den Ausdruck „rassistisch“ in den Grundgesetz-Artikel einzufügen, wäre es denkbar „Rasse“ durch „ethnische Herkunft“ zu ersetzen.“3

Die Schlusswendung ist aufschlussreich. Sie entspricht bei der AfD – bezogen auf die aktuelle Auseinandersetzung – in etwa der Erweiterung des nazistischen Rassebegriffs in der neuen Rechten und bei den „Nationalrevolutionären“ in den 1970er Jahren um den sog. „Ethnopluralismus“ (Alain de Benoist in Frankreich, In Deutschland z.B. Henning Eichberg). Danach sollen jetzt nicht mehr nur durch angebliche Rasse im Sinne der Nazi-Propaganda definierte homogene „Volksgruppen“ und „Volksgemeinschaften“ sich zu handelnden Subjekten der Geschichte aufwerfen, sondern angeblich „kulturell“, sprachlich, abstammungsmäßig irgendwie volksgemeinschaftlich zusammengehörige „Ethnien“. Angeblich deshalb, weil der Begriff „ethnischer“ Ungleichheit genauso unhaltbar ist wie der Begriff einer „rassischen“ Ungleichheit von Menschen. Er lebt – wie der Begriff „Rasse“ – von politischen Zuschreibungen. Die nimmt dann wer vor? Die „Rechte“ und die Selbsterklärung der Vertreter des völkischen Nationalismus.

„Rasse“ in Art. 3 GG durch „Ethnie“ zu ersetzen, wie es derzeit z.B. und u.a. die FDP vorschlägt, wäre wirklich kein Fortschritt. Die Überwindung der Nachwirkungen von Ideologemen des völkischen Nationalismus der Naziherrschaft im Grundgesetz lebt von der Kritik und Abgrenzung von der heutigen Neubelebung des völkischen Nationalismus der Rechten und der AfD.

Stattdessen?

Das Deutsche Institut für Menschenrechte schlägt seit 2010 vor, den Begriff Rasse in Art. 3 GG zu streichen und durch „rassistisch … benachteiligt oder bevorzugt“ zu ersetzen. Es schlägt als neue Formulierung vor „(3) Niemand darf rassistisch oder wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“4 Damit würde sich das Grundgesetz gegen diskriminierende und unterdrückende Handlungen jedwelcher rassistischen Art richten und antirassistische Gegenwehr und Emanzipation könnte sich darauf auch bei juristischem und gerichtlichem Vorgehen berufen. Das Institut hat seinen Vorschlag in der aktuellen Debatte erneuert.

Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland stellt fest: „Streichen nein, sondern: ersetzen durch.“ Und zwar ausdrücklich nicht durch ein Synonym:

Wir wollen dahin kommen, dass wir sagen: Das Handeln an sich muss beschrieben werden. Also, wenn jemand rassistisch handelt, das muss in den Fokus geraten und nicht diejenigen, die davon betroffen sind.“5 Zu Formulierungsalternativen mit dem Begriff „Ethnie“ stellte das Institut für Menschenrechte bereist 2010 fest: „Ersatz durch die Begriffe ethnische Herkunft / ethnische Zugehörigkeit unbefriedigend.

Geht es um die Bekämpfung von Rassismus, werden in der Debatte oftmals Begriffe mit Bezug zu Ethnizität ins Spiel gebracht. Solche Begriffe werden ebenso in internationalen Menschenrechtsdokumenten und nationalen Rechtsordnungen verwendet. Die Anti-Rassismusrichtlinie 2000/43/EG untersagt nicht nur Diskriminierungen aufgrund der „Rasse“, sondern ebenso aufgrund der „ethnischen Herkunft“ (a.a.O. S. 5).

1 Zitiert nach: Max Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, https://www.shh.mpg.de/1464864/jenaer-erklaerung 2 Redaktionsnetzwerk Deutschland, https://www.rnd.de/politik/rasse-aus-grundgesetz…. 3 Legal Tribune online (LTO), v. 12.6.2020 4 Deutsches Institut für Menschenrechte, „Ein Grundgesetz ohne „Rasse“ Vorschlag für eine Änderung von Artikel 3 Grundgesetz, Hendrik Cremer, 2010 5 MDR, mitteldeutscher Rundfunk aktuell, 12.6.2020