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ARCHIV

Nr.3/2020, S.32

EU-Politik

30. Juni: Kroatien übergibt turnusmäßig Vorsitz im Rat der EU an Deutschland (bis 31. Dezember)

01 Fakten zum Europäischen Rat und zum Rat der EU

Eva Detscher, Karlsruhe

In der FAZ vom 31.12.2019 sagt die kroatische Ministerpräsidentin Vesna Pusić, dass Kroatien erst durch die Debatte um den Beitritt zur EU ein Staat geworden sei. Zuvor seien „heroische“ Themen dominant gewesen, jetzt seien es pragmatische Fragen. Damit hätten Beitrittsgespräche die Qualität eines Staatsbildungsprozesses: innerhalb der EU sei Korruption schwieriger als außerhalb, und die Europäische Staatsanwaltschaft werde ab 2021 grenzübergreifend gegen Großkriminalität zu Lasten des EU-Haushalts vorgehen. Diese Feststellungen zu Beginn des kroatischen Vorsitzes im Rat der EU wollte Pusić als Mahnung verstanden wissen, die Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien wieder aufzunehmen. Der Plan war, im Mai 2020 zu einen Westbalkan-Gipfel einzuladen. Daraus ist pandemiebedingt nichts geworden, und es ist spannend, ob dieses Ziel weiterverfolgt wird oder ob es beim gegenwärtige Stillstand bleibt.

Wenn Kroatien jetzt am 30. Juni den Vorsitz Deutschland überlassen wird (es ist immer ein bestimmtes Land, nicht eine Person!), geht auch eine 18-Monats-Phase des Dreiervorsitzes (Rumänien, Finnland und Kroatien) zu Ende: Immer drei Mitgliedsstaaten, die im Vorsitz im Halbjahresturnus aufeinanderfolgen, arbeiten eng zusammen und bilden für anderthalb Jahre einen Dreiervorsitz mit gemeinsamer „Strategischer Agenda“.1

Besonderheit des Vorsitzes

So richtig ist das nicht öffentlich bekannt und auch nicht gewürdigt, welche Verantwortung der Mitgliedsstaat hat, der den Vorsitz im Rat der EU hat. Tatsache ist aber, dass der Vorsitz Themen nach vorne bringen oder in die Warteschleife stellen, Verhandlungstermine anberaumen oder verzögern, konsolidierend oder spaltend in den Entscheidungsgremien wirken kann uvm. Die einzelnen Handschriften des jeweiligen Vorsitzes machen sich in der konkreten Arbeit schnell bemerkbar, und wenn jetzt Deutschland antreten wird, wird man sehen, worauf hier Wert gelegt wird. Der Bundestag hat am 3. Juni der neuen 18-Monats-Agenda des nächsten Dreiervorsitzes (Deutschland, Portugal, Slowenien) zugestimmt.2.Nach Zustimmung auch der beiden anderen Regierungen wird der Entwurfstext für das Trioprogramm den übrigen EU-Mitgliedstaaten übermittelt und soll am 16. Juni vom Rat für Allgemeine Angelegenheiten gebilligt werden. „Europa soll stärker, gerechter und nachhaltiger aus der Corona-Pandemie hervorgehen – das ist das übergeordnete Ziel des Dreiervorsitzes“.

Merkel betont Weiteres für den deutschen Halbjahresvorsitz, nämlich die „Chance, Europa als solidarische, handlungsfähige und gestaltende Kraft weiterzuentwickeln“ und wird in einer Rede im Rahmen der Veranstaltung „Außen- und Sicherheitspolitik in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft“ der Konrad-Adenauer-Stiftung am 27. Mai 2020 konkreter: Europa nach innen zu stärken, um nach außen als „solidarischer Stabilitätsanker“ auftreten zu können. „Der wichtigste Partner Europas sind die Vereinigten Staaten von Amerika … Dabei ist mir natürlich bewusst, dass die Zusammenarbeit mit Amerika derzeit schwieriger ist, als wir uns das wünschen würden. Dies gilt für die Klima- ebenso wie für die Handelspolitik und aktuell auch für die Frage der Bedeutung internationaler Organisationen bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie…. Wir sollten nie vergessen, dass Europa NICHT neutral ist. Europa ist Teil des politischen Westens.“ Weitere Überschriften: Verhältnis zu Russland – neue Impulse setzen; Dialog mit China – Westliche Werte behaupten; Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Afrika.3

Es ist sicherlich nicht weit hergeholt, die Außen- und Sicherheitspolitik der EU als Basis-Anliegen der Bundesregierung für ihr Wirken als Vorsitz des EU-Ministerrates zu bezeichnen – das lebhafte Geschehen an dieser politischen Front nimmt gegenwärtig ja auch erkennbar an Fahrt auf. Umso wichtiger ist die Wahrnehmung aller parlamentarischen Mittel, hier auf das politische Profil der Bundesrepublik Einfluss zu nehmen. Ein Element sollte die sorgfältige Beobachtung der Arbeit als Vorsitz sowie der Reflexion in den europäischen Ländern und auch im Europäischen Parlament sein.

Quellen: 1 Agenda 1.1.19 bis 30.6.20: u.a. Folgen des Brexits, Finanzrahmen 2021-27, Binnenmarkt, Klima, Freiheits-, Sicherheits- und Rechtssystem, globale Verortung. Die Bilanz ist sicherlich schwierig zu ziehen, da der Maßstab die Arbeit der EU als Ganzes ist und Einzelziele innerhalb der 18 Monate oft nicht umgesetzt werden können. http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-14518-2018-INIT/de/pdf 2 Agenda 1.7.20 bis 31.12.21 wird am 16.6.verabschiedet. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/aussen-und-sicherheitspolitik-1755910 3 Merkel bei Konrad-Adenauer-Stiftung 28.5.20 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-im-rahmen-der-veranstaltung-aussen-und-sicherheitspolitik-in-der-deutschen-eu-ratspraesidentschaft-der-konrad-adenauer-stiftung-am-27-mai-2020-1755884. Weitere Quellen: • Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft: Bundesregierung planlos. Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE und Martin Schirdewan, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Europäischen Parlament und Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE. https://www.die-linke.de/detail/uebernahme-der-eu-ratspraesidentschaft-bundesregierung-planlos • Ratspräsidentschaft für Paradigmenwechsel in der EU nutzen, Pressemitteilung von Andrej Hunko, MdB Die Linke nicht mehr aktuell, 27. Mai 2020, https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/ratspraesidentschaft-fuer-paradigmenwechsel-in-der-eu-nutzen/ • Pressemitteilung – Europäische Wirtschaftspolitik, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/ • Pressemitteilungen/2020/20200603-bundeskabinett-stimmt-dem-18-monatsprogramm-der-deutsch-portugiesisch-slowenischen-trio-eu-ratspraesidentschaft-zu.html

Abb. (PDF): Drei Länder – ein Programm

01

Fakten zum Europäischen Rat und zum Rat der EU

Der Europäische Rat besteht aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Diese wählen sich einen ständigen Vorsitzenden – den Präsidenten – auf die gesamte Wahlperiode. Aktuell ist Charles Michel Präsident (Wahlperiode 2019 bis 2024). Getagt wird zweimal pro Jahr („Gipfel“), dort geht es im Rahmen der Aufgabenstellung um wenig Konkretes, eher darum, eine gemeinsame Sprache zu finden. Als eines der ausdifferenzierten Funktionssysteme gibt es den Rat der Europäischen Union, in welchem ebenfalls alle Mitgliedsstaaten vertreten sind, oft auch als Ministerrat bezeichnet. Dort werden die Vorgaben des EU-Rates konkret, und zwar auch in weiteren Untergliederungen, sogenannten Ratsformationen, bearbeitet. Inhalte der Arbeit sind:

1. Er verhandelt und erlässt EU-Rechtsakte. 2. Er koordiniert die Politik der Mitgliedstaaten • Wirtschafts- und Haushaltspolitik • Bildung, Kultur, Jugend und Sport • Beschäftigungspolitik. 3. Er entwickelt die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. 4. Er schließt internationale Abkommen. 5. Er stellt den EU-Haushaltsplan fest.

Am Schluss noch ein Hinweis: Im Unterschied zum Europäischen Rat ist der Europarat keine Institution der EU. Er wurde am 5. Mai 1949 durch zehn Staaten ins Leben gerufen. 47 Staaten Europas (einschließlich der Türkei und Russland) gehören inzwischen dazu.

Lesenswerte Quelle mit vielen weiterführenden Links: https://www.coe.int/t/dc/europeismore/fiche01_de.pdf