Politische Berichte Nr. 4/2020 (PDF)08
Aktionen – Initiativen

Aktionen – Initiativen – Thema: Was tun gegen Rassismus –

[DOK] Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

Siehe auch Artikel Seite 24: Christiane Schneider, Verbot von Racial Profiling durchsetzen!

01 Rassismusforschung in Deutschland wird gestärkt

02 Sieben Thesen zur Rassismusforschung

03 Stellungnahme zu rassistischer Polizeigewalt

04 Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt das neue Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) in Berlin

05 Stellungnahme des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

06 RAV: Stuttgart zeigt erneut: Das Problem heißt Rassismus

01

Rassismusforschung in Deutschland wird gestärkt

Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) erhält in diesem Jahr zusätzlich drei Millionen Euro, um den Rassismus in Deutschland zu untersuchen. In den beiden kommenden Jahren sollen noch einmal jeweils drei Millionen Euro hinzukommen.

Das hat der Deutsche Bundestag in dieser Woche (Anfang Juli, die Red.) beschlossen. Mit dieser Förderung kann das DeZIM-Institut seine Forschung zum Thema Rassismus und Diskriminierung ausbauen, repräsentative Daten erheben und helfen, Konzepte für mögliche Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Ziel ist, einen „Rassismus-Monitor“ zu erstellen: Eine wiederkehrende repräsentative Bevölkerungsbefragung soll ermitteln, wie verbreitet rassistische Vorurteile und Ressentiments in der Bevölkerung sind und welche Ursachen das hat. Diese Erkenntnisse sind wichtig, um Rassismus in unserer Gesellschaft vorzubeugen und ihm entgegenzuwirken.

„In Deutschland fehlen insbesondere Daten dazu, wie sich Rassismus auf Betroffene auswirkt“, sagt Dr. Yasemin Shooman, die Wissenschaftliche Geschäftsführerin des DeZIM- Instituts. „Das DeZIM kann, aufgrund seiner methodischen Expertise in der Befragung solcher Gruppen, helfen, hier eine wesentliche Forschungslücke zu schließen. Es ist wichtig zu wissen, wie Menschen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, mit diesen Erlebnissen und Erfahrungen umgehen. Nur so lassen sich Angebote und Maßnahmen entwickeln, um Betroffene zu unterstützen oder zu empowern.“

„Die Förderung durch den Bund ist ein wichtiger Schritt, um die Rassismusforschung in Deutschland zu etablieren“, sagt Prof. Dr. Frank Kalter, Direktor des DeZIM-Instituts. „Anders als in den USA oder Großbritannien, ist die Rassismusforschung in Deutschland bisher kaum institutionell verankert. An keiner deutschen Universität gibt es bislang einen Lehrstuhl für Rassismusforschung. Auch gibt es bis jetzt kein Forschungsinstitut oder -zentrum, das sich hauptsächlich dieser Thematik widmet. Bisher wird nur vereinzelt und dezentral zu Rassismus geforscht. Dabei handelt es sich meist um qualitative Forschung. Diese muss dringend durch repräsentative Studien ergänzt werden – unter Betroffenen wie in der Gesamtbevölkerung.“

https://www.dezim-institut.de/fileadmin/PDF-Download/200703_PM_Rassismus-Monitor.pdf

02

Sieben Thesen zur Rassismusforschung

Die schwarzen politischen Communities begrüßen es ausdrücklich, dass die Politik zunehmend das virulente Problem des strukturellen und institutionalisierten Rassismus in Deutschland ernstnimmt und thematisiert. Auch begrüßen wir ausdrücklich die Initiative der Politik, Rassismusforschung nachhaltiger unterstützen zu wollen. Allerdings wirft die aktuelle Entscheidung des Bundestages, die Forschung zu Rassismus in Deutschland mit einer dreijährigen Fördersumme von insgesamt 9 Millionen zu stimulieren und diese Summe ausschließlich dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zuzusprechen, Fragen und Irritationen bei mehrfachvulnerablen, rassistisch marginalisierten Communities auf. Die alleinige Anbindung einer solchen Forschung an das DeZIM halten wir für einen problematischen Weg. Eine Tiefenwirkung und damit nachhaltige Ergebnisse zur Bekämpfung von systemischem, institutionalisierten Rassismus aufzubauen, kann nicht auf der Basis von quantitativer Forschung erzielt werden. Eine durchaus notwendige sogenannte „Betroffenenerhebung“ und ein institutions- und strukturbezogenes „Rassismus-Monitor“, wie es das DeZIM plant, muss aus einer rassismuserfahrenen und -kritischen Forschungsperspektive generiert werden und in einer intersektional-solidarischen Bewegungsinfrastruktur verankert sein. Diese wichtigen Bedingungen sind mit der Förderentscheidung des Bundestages nicht erfüllt. Wir formulieren im Folgenden sieben Thesen, die in unserem Verständnis grundlegend sind für die Errichtung einer intersektionalen, institutions- und strukturbezogenen Rassismusforschung:

1) Anerkennung trans-diasporischen bewegungsgeschichtlichen Wissens … 2) Anerkennung der epistemischen Bedeutung der Erforschung von Anti-Schwarzen-Rassismus … 3) Überwindung des Integrations- und Migrationsmodells … 4) Repräsentanz statt Lobbyismus … 5) Errichtung einer Stelle eine*r Beauftragte*n für Rassismus und Rassismuskritik … 6) Standardisierung von rassismuskritischen Förderkriterien und -praxen … 7) Unverzügliche Umsetzung einer Ressourcengerechtigkeit …

Die vollständigen Thesen finden sich hier: http://www.adefra.com/index.php/blog

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Stellungnahme zu rassistischer Polizeigewalt

Bei den Berliner Protesten am vergangenen Samstag anlässlich des Mordes an George Floyd durch weiße Polizisten in den USA, rief uns die deutsche Polizei eindrücklich in Erinnerung, dass auch hierzulande rassistische Polizeigewalt zum Alltag gehört.

Die vielen antirassistischen Demonstrationen des letzten Samstags hatten zum Ziel, die Aufmerksamkeit auch auf den Rassismus in Deutschland zu lenken.

Seit vielen Jahren kämpfen Aktivist*innen und Organisationen gegen den Rassismus des deutschen Staates in all seinen Institutionen. Besonders rassistische Polizeigewalt ist dabei immer wieder ein zentrales Thema. Mit Kampagnen wie Ban!Racial Profiling, Justizwatch, Death in Custody setzen sie sich seit Jahren dagegen ein. Und so wurden wir auch am vergangen Samstag Zeug*innen der willkürlichen Festnahme vieler Demonstrant*innen. In zahlreichen über Social Media verbreiteten Videos mussten wir sehen, dass junge schwarze Menschen von der Polizei nicht nur ohne ersichtlichen Grund, sondern zudem auf brutalste Weise festgenommen wurden … Ein Großteil der aktuellen Berichterstattung über den letzten Samstag betreibt und fördert einen Diskurs der Täter-Opfer-Umkehr. Oft wurde unkommentiert die polizeiliche Darstellung reproduziert. Durch Aussagen wie vom Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei, dass Teilnehmende mit ihren Schildern provoziert hätten, wird die Unverhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen deutlich. Damit werden die oft sehr jungen Personen, die von polizeilichen Schikanen und Übergriffen betroffen sind und von denen überproportional viele schwarz oder of Color sind, zu Täter*innen gemacht. Es wird ein Narrativ geschaffen, in dem die bloße Teilnahme an den Demonstrationen einen Grund für polizeiliche Übergriffe liefert … Laut Medienberichten ist von 93 Verhaftungen die Rede. Doch für mindestens zwei schwarze Teilnehmer*innen endete die Demonstration nach polizeilichen Übergriffen sogar im Krankenhaus. Von den Inhaftierten – teils Minderjährigen – wurden einige erst weit nach 24 Uhr entlassen … Die Ereignisse vom Wochenende sind unter anderem eine Bewährungsprobe für das frisch vom Berliner Senat beschlossenen Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG), auf dessen Grundlage nach Langem auch diskriminierende (also z.B. rassistische) Handlungen der Polizei geahndet werden müssten. Ob auf den Beschluss des LADG am 4.6. (obwohl es juristisch noch nicht in Kraft getreten ist) politisch Bezug genommen wird, wird zeigen, ob es sich beim LADG um mehr als reine Symbolpolitik handelt. Sollte dieses Vorgehen der Polizei folgenlos bleiben, müssen wir uns vor Augen führen, was die Konsequenz gewesen wäre, hätte ein solches Vorgehen im Rahmen der (sehr weißen) Friday for Futures Demonstrationen stattgefunden. Jugendliche protestieren für ihre Rechte, für ihre Zukunft, für unsere Zukunft – ob bei Klimagerechtigkeit oder Anti-Rassismus. Wo bleibt also euer Aufschrei bei rassistischer Polizeigewalt gegen diese jungen Menschen?

http://isdonline.de/stellungnahme-zu-rassistischer-polizeigewalt-am-6-6-2020-in-berlin/

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Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt das neue Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) in Berlin

Romani Rose, Vorsitzender: „Das LADG zeigt, dass dem Land Berlin ernst damit ist, Angehörige von Minderheiten vor jeder Form von Diskriminierung und Rassismus zu schützen und den Weg zu einem gleichberechtigten Kontakt mit Ämtern und Behörden zu öffnen. Gerade mit Blick auf die derzeitigen Ereignisse und Proteste in den Vereinigten Staaten ist es besonders wichtig, auch auf Deutschland zu schauen und anzuerkennen, dass Rassismus und Diskriminierung auch hier für viele Menschen zum Alltag gehören.“ „Wenn reflexhaft Rassismus, beispielsweise im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen, bestritten wird, obwohl regelmäßig über zum Teil erschütternde Fälle von rassistisch begründeter Polizeigewalt berichtet wird, werden nüchterne Bestandsaufnahmen und Analysen der Situation und das Entwickeln von Lösungswegen erschwert“, so Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler, Fachanwalt für Strafrecht …

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Stellungnahme des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma

…Rassismus und Diskriminierung sind für viele betroffene Menschen in Deutschland tagtäglich präsent. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit dem 18. August 2006 wirksam ist, erkannte diese Realität ausdrücklich an und gab Betroffenen die Möglichkeit, gegen Ausgrenzungs- und Schlechterbehandlungserfahrungen zivilrechtlich vorzugehen. Ein erster wichtiger Schritt war damit getan. Allerdings ist das AGG auf privatrechtliche Verhältnisse zwischen Bürgern begrenzt. Für das Verhältnis zwischen Bürger und Staat gilt das AGG ausdrücklich nicht. Offensichtlich wurde aus politischen Gründen eine Regelungslücke im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung in Kauf genommen. Das Berliner Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) ist eine überfällige Maßnahme, um diese Lücke zumindest auf Landesebene zu schließen. Dies ist umso angebrachter, weil das Verhältnis zwischen Staat und Bürger de facto ein Über- und Unterordnungsverhältnis ist. Der Bürger ist dabei in besonderer Weise darauf angewiesen, dass der Staat verfassungs- und europarechtliche Bestimmungen unvoreingenommen und gerecht gegenüber Jedermann anwendet … Bei rechtlicher Würdigung des LADG ist somit festzuhalten, dass das Land Berlin als einziges Bundesland bislang zwingende europarechtliche Vorgaben umgesetzt hat. Das Umsetzungsversäumnis betrifft auch den Bund, sofern er in den relevanten Bereichen die Gesetzgebungskompetenz besitzt. Das Land Berlin hat damit einen überfälligen Schritt getan … Wenn nun vor einer „Klagewelle“ und „Missbrauch“ gewarnt wird, sei daran erinnert, dass ebensolche Warnungen auch vor dem Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 geäußert wurden. Erfüllt haben sich diese Warnungen indes nicht. Auch findet keine, wie von Kritikern behauptet, „Beweislastumkehr“ statt, sondern lediglich eine Erleichterung für den betroffenen Bürger, Gehör zu finden. Es obliegt letztlich Richter*innen darüber zu entscheiden, wen die Beweislast trifft.

https://zentralrat.sintiundroma.de/zentralrat-deutscher-sinti-und-roma-begruesst-das-neue-landes-antidiskriminierungsgesetz-ladg-in-berlin/

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RAV: Stuttgart zeigt erneut: Das Problem heißt Rassismus

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälte Verein e.V. (RAV) fordert unabhängige Untersuchung zu institutionellem Rassismus bei der Polizei. Schutz der Betroffenen muss gewährleistet werden.

Die „Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“ (ECRI) hat Deutschland in ihrem Sechsten Bericht erneut auf die „weit verbreitete Praxis des Racial Profiling unter deutschen Polizeikräften“ und auf das „rassistisch motiviertes Verhalten von Strafverfolgungsbehörden“ hingewiesen.1 Diese Kritik an der deutschen Polizei besteht seit Jahren und wird auch vom Menschenrechtskommissar des Europarats und der Expertengruppe der Vereinten Nationen geteilt. Am 17. März 2020 wurde Deutschland daher von der ECRI aufgefordert, vorrangig zwei konkrete Empfehlungen umzusetzen:

• Deutschland soll ein stimmiges System von Organisationen aufbauen, das Diskriminierungsopfern landesweit eine wirksame Unterstützung einschließlich rechtlichen Beistands gewährt und

• Deutschland soll eine Studie zu Racial Profiling in Auftrag geben und sich daran mit dem Ziel beteiligen, Maßnahmen zur Beendigung bzw. Verhinderung von Racial Profiling zu entwickeln und umzusetzen.2

Dennoch macht die Bundesregierung keine Anstalten, diese Empfehlungen umzusetzen. Stattdessen wird jede Kritik an der Polizeiarbeit stereotyp als „Generalverdacht“ zurückgewiesen. Der Polizei wird ein Blankoscheck ausgestellt – ungeachtet der Erkenntnisse etwa zu rechtsradikalen Strukturen in der Polizei. Soweit Fälle von rechtswidriger Polizeigewalt und rassistischem Verhalten von Polizeibeamt*innen bekannt geworden sind, werden diese regelmäßig als Einzelfälle bagatellisiert und jedes strukturelle Problem negiert. Die populistische Lobbyarbeit der Polizeigewerkschaften bestimmt das politische Handeln. Dabei wird verkannt, dass es ein zentrales Wesensmerkmal des Rechtsstaates ist, das Handeln der Exekutive auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Die Stimmen der Betroffenen werden ignoriert. Die Black Lives Matter-Bewegung und migrantische sowie postmigrantische Organisationen haben eine Vielzahl von Beispielen für rassistisch motivierte Verhaltensweisen und Polizeigewalt gegeben. Das Innenministerium weigert sich, diese Stimmen zu hören.

Quelle: https://www.rav.de/start/, Fußnoten ebd.

Abb. (PDF): Aus wikipedia: Anton Wilhelm Amo, … (* um 1703 in Nkubeam bei Axim, heute Ghana; † nach 1753 vermutlich im heutigen Ghana), war der erste bekannte Philosoph und Rechtswissenschaftler afrikanischer Herkunft in Deutschland … 1729 verfasste er seine erste Disputation unter dem Titel De iure Maurorum in Europa in lateinischer Sprache (zu Deutsch: Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa)

Foto: Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland.