Politische Berichte Nr. 4/2020 (PDF)16
Gewerkschaften/Soziale Bewegungen

Fleischindustrie: Jetzt nachlegen!

Florian Vollert, Heilbronn

Die nicht abreißen wollenden Berichte über Corona-Hotspots in deutschen Fleischereien und die Ursache in entsprechenden Arbeits- und Wohnbedingungen der ArbeiternehmerInnen, die meist über Werksverträge und Leiharbeitsfirmen aus dem osteuropäischen Raum kommen, sorgt dafür, dass nun nach Jahren der Billigproduktion die Politik Handlungsbedarf sieht und endlich auch handelt. Konkret geht es um ein Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Das Regierungskabinett hat das Programm beschlossen. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil verkauft es als sein Programm und lässt sich auf der Homepage des Ministeriums in klaren Worten zitieren: „Besonders wichtig ist mir, dass wir die organisierte Verantwortungslosigkeit in Sub-Unternehmerkonstruktionen beenden. Werkverträge beim Schlachten und Verarbeiten von Fleisch werden verboten.“ Der Beschluss durchläuft jetzt das Gesetzgebungsverfahren und soll am 1.1.2021 in Kraft treten.

Die aktuelle Situation – Ausbeutung als Standard

Gründe gibt es genug. Was die Corona-Pandemie ans Licht der Öffentlichkeit bringt, ist eigentlich schon lange bekannt. Während der Eigentümer der Fleischwerke für die Gebäude zuständig ist, sind die Arbeits- und Hygienevorschriften und ihre Einhaltung Aufgabe der Subunternehmer, oftmals mehrere in einem Betrieb. Nach einem Bericht des DGB Niedersachsen wird der Mindestlohn durch fragwürdige Zeitabrechnungen und das Koppeln an fragwürdige Leistungen unterlaufen. 80% der ArbeiterInnen werden dort über Werksverträge angestellt und die gewerkschaftliche Organisation ist entsprechend gering, so dass Tarifverträge oder nur das Wissen über rechtliche Möglichkeiten verschwindend gering sind.

Hygiene und Gesundheit spielten lange Zeit kaum eine Rolle. Neben den Massenunterkünften ist der Platz im Bus zur Arbeit eng, und auch an den Arbeitsplätzen besteht oftmals nicht genug Abstand zur Kollegin, zum Kollegen. Und Kontrollen gab es bisher viel zu wenige und waren in den letzten Jahren sogar rückläufig, etwa bei den Arbeitgeberprüfungen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in Niedersachsen.

Deshalb fordert der DGB Niedersachsen: „Die Kontrollbehörden benötigen mehr Personal. Die neuen Standards für die Unterkünfte sind zwingend einzuhalten. Werkverträge für Kernaufgaben eines Unternehmens sind zu verbieten und ein Branchenmindestlohntarifvertrag einzuführen. Sonst endet die Ausbeutung der Beschäftigten niemals!“

Die heutigen Zustände kamen nicht aus dem Nichts, sondern waren Teil der Deregulierung der Arbeit und der Einführung eines Niedriglohnsektors in Deutschland. So wurde die deutsche Fleischwirtschaft der Preistreiber in Europa. Und es gab eine scharfe Konzentration in der Fleischwirtschaft, auch durch entsprechende Vorschriften aus der EU, bei der handwerkliche Betrieb oftmals das Nachsehen hatten. Der massenhafte Verkauf von Fleischprodukten zu Dumpingpreisen in den Discountern der Republik sorgte ebenfalls für eine Verschärfung auf dem „Fleischmarkt“.

Punkte des Programms

Kann das Eckpunkteprogramm des Hubertus Heil nun die Forderungen der Gewerkschaften umsetzen und die Ausbeutung in der Fleischwirtschaft stoppen? Wenn der Kabinettsbeschluss in Gesetze übergeht, so wären einige Dinge tatsächlich bessergestellt. Der Beschluss geht auf die Probleme der ausländischen ArbeitnehmerInnen mit kurzer Verweildauer in Deutschland ein. Probleme, wie Mietwucher, Überbelegung, Verstöße gegen Gesundheits-, Hygienebestimmungen und Arbeitszeitgesetz werden benannt. Ebenfalls, dass vollständige Produktionsprozesse in der Fleischindustrie von ihnen betrieben werden. Wie konkret die Umsetzung werden kann muss abgewartet werden, im Eckpunkteprogramm steht, die Bundesregierung „strebe an“ und „prüft“. Im ersten Punkt möchte die Bundesregierung die Kontrollen zu Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen verschärfen, dazu soll das Arbeitsschutzgesetz ergänzt werden. Im Zusammenhang mit der Unterbringung der Arbeitskräfte soll auch geprüft werden, ob die Unternehmen zur Sicherstellung von Mindeststandards in den Unterbringungen verpflichtet werden können, unabhängig, ob die Unternehmen die Unterbringungen selbst stellen. Die Unterkünfte stellenden Arbeitgeber einschließlich der Werksvertragsunternehmen sollen über Einsatz und Wohnort ihrer ausländischen Arbeitskräfte zuständige Behörden informieren müssen.

Zur besseren Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnung soll eine verpflichtende digitale Arbeitszeiterfassung in das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) eingeführt werden. Der Bußgeldrahmen des Arbeitszeitgesetzes soll verdoppelt werden, von derzeit 15 000 auf 30 000 Euro pro Verstoß. Für alle Beschäftigten in der Fleischwirtschaft, also auch bei PraktikantInnen, soll geprüft werden, ob sie für Unfall- und Gesundheitsrisiken hinreichend abgesichert sind.

Dann wird es konkreter, ab dem 1.1.2021 sollen in der Schlachtung und Verarbeitung von Fleisch nur noch mit eigenen Beschäftigten gearbeitet werden. „Damit wären Werksvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen nicht mehr möglich.“ – Das wäre ein tatsächlicher Schritt vorwärts, ein Einschnitt in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, der auch für andere Branchen hoffen lasst. Das Gesetz soll Ausnahmen für Betriebe des Fleischerhandwerks lassen.

Faire Mobilität

Der DGB hat ein Projekt „Faire Mobilität“, bei dem neun Beratungsstellen in ganz Deutschland „mobilen Arbeitnehmer/innen aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten bei der Durchsetzung von gerechten Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu unterstützen“. In der Praxis setzen zuständige Gewerkschaftssekretäre vor Ort auf die sprachlichen und juristischen Qualifikationen der KollegInnen bei „Faire Mobilität“. Das Projekt, welches finanziell auch vom Bundesministerium Arbeit und Soziales unterstützt wird, wird vom DGB-Bundesvorstand geleitet und hat viele Kooperationspartner vor Ort, wie Einzelgewerkschaften und lokale Gliederungen von Wohlfahrtsverbänden.

Das Projekt liefert auch Daten und Analysen zu ihren Fachbereichen. „Das Auslagern von Verantwortung ist organisierte Verantwortungslosigkeit“, so wird ein Hintergrundbericht aus der Fleischwirtschaft beschrieben. Das Projekt nutzt so nicht nur ganz konkret ArbeitnehmerInnen, sondern liefert auch Material für die politische Auseinandersetzung gegen entsprechende Arbeitsgesetzgebung.

In den Eckpunkten der Regierung soll nun dieses Projekt stärker finanziell unterstützt werden. Das hilft ArbeitnehmerInnen in der Fleischwirtschaft, profitieren werden aber auch ArbeitnehmerInnen in anderen Branchen.

Die Verstärkung des Projekts „Faire Mobilität“ ist objektiv eine Verbesserung des gewerkschaftlichen Kampfs gegen die Ausbeutung der mobilen ArbeitnehmerInnen.

Fleischlobby

Die Unternehmen der Fleischwirtschaft sind beunruhigt und drohen mit Abzug der Produktion aus Deutschland. Ob diese Drohungen nur eine Verhandlungsmasse darstellen, um noch Abschwächungen für die Gesetzesänderungen zu finden oder ob es wirklich zu Verlagerungen kommen kann ist offen. Einzelne Unternehmen könnten die Folgekosten natürlich auch „outsourcen“. Allerdings scheint die „Produktivität“ der deutschen Fleischwirtschaft so hoch, dass sie sich auch mit mehr Arbeitsschutz und -sicherheit lohnt.

Ziel

Die Eckpunkte müssen ohne eine weitere Verwässerung zum Gesetz werden. Und zwar als Ausgangspunkt für eine Verbreiterung des Gesetzes auf andere Branchen, perspektivisch auf die gesamte Arbeitswelt in Deutschland.

Und das Gesetz muss vertieft werden, um ArbeitnehmerInnen entsprechend zu schützen. Gemeinsam mit einem stärkeren Selbstbewusstsein in anderen Bereichen, wie dem Gesundheitsbereich und dem Einzelhandel, könnte endlich eine reine Defensivstrategie überwunden werden und eine Diskussion über eine faire Arbeitswelt entstehen.

So hat die rot-rot-grüne Landesregierung in Berlin bereits im Februar beschlossen, einen Entschließungsantrag zur Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen in den Bundesrat einzubringen. „Ziel ist es sowohl Vergütung als auch Arbeitsbedingungen in der Pflege attraktiver zu machen.“ Tatsächlich wurde der Antrag im Bundesrat eingebracht und an den Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik verwiesen. Was daraus wird ist ebenfalls ungewiss, aber durch die aktuelle Corona-Pandemie rücken Probleme in der Arbeitswelt in die Öffentlichkeit und eröffnen dadurch die Chance auf Veränderung.

Abb. (PDF): Werkverträge sind Ausbeutung!