Politische Berichte Nr. 4/2020 (PDF)18
EU-Politik

Verteidigungsminister wollen mehr Rüstung der EU

01 dok: „Wir fordern eine europäische Armee“

Von Rüdiger Lötzer, Eva Detscher, Rolf Gehring, Thilo Janssen

In den Verhandlungen rund um die Hilfen zur Behebung der durch die Corona-Pandemie verursachten sozialen und wirtschaftlichen Schäden und um den EU-Haushalt der kommenden Haushaltsperiode hat sich ein wichtiger Haushaltsposten ein wenig der Aufmerksamkeit entzogen: das EU-Rüstungsbudget. Im weiten Feld der EU-Außen- und Sicherheitspolitik sind Rüstungsthemen nur ein Thema von vielen. Für die weitere Entwicklung der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik wird viel davon abhängen, ob Chancen bestehen, internationale und multilaterale Institutionen und Vereinbarungen, zum Beispiel zur Rüstungskontrolle und Abrüstung, zu erhalten und möglichst auch auszubauen, oder ob ihre weitere Erosion betrieben wird. Dieser Entwicklung dürfte auch die konkrete Rüstungspolitik folgen. Gleichwohl tut sich in diesem Feld derzeit viel. Deshalb soll in dieser Ausgabe dieses Feld etwas stärker ausgeleuchtet werden. In der folgenden Ausgabe wollen wir uns mit der EU-Außen- und Sicherheitspolitik, den relevanten europäischen Institutionen in diesem Politikbereich, ihren regionalen und globalen Zielen befassen und wie sich die verschiedenen Parteiformationen im EU-Parlament und die Einzelstaaten der EU dazu positionieren.

Basierend auf einem Beschluss des EU-Gipfels von Bratislava im September 2016 hat die EU-Rüstungspolitik eine beachtliche Dynamik entwickelt.1. Schon im Dezember 2016 billigte der EU-Rat einen „Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung“. Im Juni 2018 folgte ein Vorschlag der EU-Kommission zur „Errichtung eines Europäischen Verteidigungsfonds“ (EDF). Von 2021 bis 2027 sollen 13 Milliarden Euro in Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Rüstungsbereich fließen.2 Da die EU nur 20% der Mittel aufbringen will, 80 Prozent dagegen aus Mitteln der Einzelstaaten fließen, sollen so insgesamt Rüstungsvorhaben von ca. 50 Milliarden Euro finanziert werden. Nicht wenig Geld, wenn man an die eklatanten Mängel denkt, die durch Corona beispielsweise auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung in den EU-Staaten sichtbar wurden.

Kein Wunder also, dass auch dieses Budget umstritten ist. Die Verteidigungsminister der EU haben schon energisch gegen Überlegungen zur Kürzung ihres Budgets protestiert. Am 4. Juni meldete die „Wirtschaftswoche“, Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer und ihre Kollegen aus Frankreich, Spanien und Italien hätten in einem Schreiben an Josep Borell, den Hohen Beauftragten der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, gegen jeden Versuch einer Kürzung dieses Budgets protestiert. „Wir plädieren für ein ehrgeiziges EDF-Budget als Priorität“, heißt es in ihrem Schreiben. Die Corona-Krise werde den Rüstungsbedarf eher erhöhen. Für die EU werde es in kommenden Jahren noch wichtiger werden, zum Beispiel Truppen rasch verlegen zu können. „Die Effekte der Pandemie haben bestehende Konflikte und Krisen verstärkt.“ Das Schreiben der Verteidigungsminister war offenbar erfolgreich. Am 22. Juli, nach dem mehrtägigen Haushaltsgipfel der EU-Regierungschefs in Brüssel, informierte das „Handelsblatt“, dass das Budget für Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren 13,2 Milliarden Euro vorsehe – also genau den ursprünglich geplanten und damit nicht gekürzten Etat.

Es wird also spannend. Zumal Branchen wie Werften, Luftfahrtindustrie, Stahl, Automobil und Maschinenbau durch Corona konjunkturell ohnehin zu kämpfen haben. Da wächst die Nachfrage nach staatlichen Rüstungsaufträgen als „Ersatz“ für fehlende zivile Aufträge fast automatisch. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat am 24. Juni Rüstungsvorhaben im Volumen von 13 Milliarden Euro bewilligt.3 Darunter sind vier neue Fregatten des Typs MKS 180 mit der Option auf zwei weitere. Generalunternehmer ist das niederländische Familienunternehmen Damen, das 40% des Auftragsvolumens erhält. Gebaut werden die Schiffe in Deutschland bei Lürssen und Blohm+Voss, dafür sind 25% des Budgets veranschlagt. Der französische Konzern Thales bekommt 35% des Auftrags. „Das Mehrzweckkampfschiff 180 ist eines der größten Rüstungsprojekte der Bundeswehr und soll ab 2027 an die Marine ausgeliefert werden. Das … Schiff … soll rund zwei Jahre am Stück auf See bleiben können. Zu seinen Aufgaben zählen Kampfeinsätze, der Begleitschutz von Handelsschiffen, militärische Evakuierungsoperationen sowie die Führung von Einsatzverbänden auf See“, heißt es. Weitere 2,8 Mrd. Euro gehen an Airbus für die Modernisierung der Eurofighter, 4,5 Mrd. Euro für den Ausbau der Bundeswehr-IT an das bundeseigene Unternehmen BWI.

Kramp-Karrenbauer hat angekündigt, auch die großen, mit Frankreich vereinbarten Rüstungsvorhaben wie das neue Flugzeug-System FCAS und den geplanten deutsch-französischen Kampfpanzer für weitere Partnerstaaten öffnen zu wollen.4 So soll die Zusammenarbeit mit Norwegen beim U-Boot-Bau verstärkt werden. Der schwedische Waffenhersteller Saab – nach dem Verkauf der Autosparte nur noch im Rüstungsbereich unterwegs – ist ebenfalls interessiert.5 Er will der Bundeswehr Produkte im Bereich Hochtechnologie anbieten, für elektronische Kriegsführung, Cybersicherheit und Sensortechnologien. „Es ist einfacher, wenn europäische Staaten in Kooperationen neue Technologien gemeinsam entwickeln, als wenn sie sich einen Konkurrenzkampf um den nächsten Panzer oder das nächste Kampfflugzeug liefern“, sagt Saab-Chef Johansson. Saab will beim nächsten Kampfflugzeug FCAS dabei sein. Der Konzern setzt auf den Europäischen Verteidigungsfonds EDF, kooperiert mit Diehl und MBDA bei Lenkflugkörpern und ist auch im U-Boot-Bau aktiv.

Luftkampfsystem und Landkampfsystem

Zwei Großvorhaben dominieren derzeit bei der Europäischen Rüstungskooperation die Debatten. Das künftige Luftkampfsystem (FCAS) und das künftige Landkampfsystem (MGCS). FCAS startete 2014 als französisch-britische Initiative, ist seit dem Ausstieg Großbritanniens ein deutsch-französisch-spanisches Programm6 und umfasst die Entwicklung und Fertigung eines neuen Kampfflugzeuges, das ab etwa 2040 den Eurofighter und die Tornados sowie die französische Rafale ablösen soll, wie auch weitere Waffen für den Luftkrieg. Beteiligte Unternehmen sind bisher der französische Konzern Dassault Aviation und Airbus Defence and Space. Anfang Februar 2019 wurde die erste Konzeptstudie von der damaligen Verteidigungsministerin von der Leyen und ihrer französischen Kollegin Florence Parly an Dassault und Airbus vergeben sowie eine Absichtserklärung an den französischen Technologiekonzern Safran (früher Snecma) und den deutschen Triebwerkshersteller MTU für die Entwicklung neuer Strahltriebwerke. Eine Woche später trat Spanien dem Programm bei. Vorgesehen ist ein integriertes Programm aus Drohnen, Kampfflugzeugen, Satelliten und Kommandoflugzeugen, mit Tarnkappentechnik, Cyberkriegsfähigkeit und Energiewaffen. Die belgische Regierung hat erklärt, ebenfalls mitwirken zu wollen. Die Federführung dieses Projekts liegt bei Frankreich.

Unter deutscher Federführung steht dagegen das neue Landkampfsystem MGCS, mit dem Deutschland und Frankreich ab 2035 ihre Kampfpanzer Leopard 2 und Leclerc ersetzen wollen.7 Hier sind erste Aufträge an die deutschen Firmen Krauss-Maffei Wegman (KMW), Rheinmetall und die französische Nexter Systems vergeben worden. Die „FAZ“ hofft, das MGCS könne zum „Nukleus für einen europäischen Panzerkonzern“ werden.8 Tatsächlich soll MGCS zum Standard-Panzer für die EU werden und die derzeit 17 verschiedenen Panzer-Modelle ersetzen.9 Den Militärs geht es dabei um ein schlacht-entscheidendes „Hightech-System mit Robotik und Hochgeschwindigkeitsraketen“ (ebenda). Die polnische Regierung argwöhnt, mit dem Projekt wollten „Frankreich und Deutschland … ihren Marktanteil in Europa vergrößern – auf Kosten der Wehrindustrie in anderen Ländern wie Polen“, so ein Sprecher des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten. Polen brauche 500 neue Kampfpanzer, die polnische Rüstungsindustrie wolle beteiligt werden. (a.a.O.) Tatsächlich geht es auch um viel Geld. Eine Studie von Rheinmetall schwärmt von einem Absatz von 3 000 Kampfpanzern in der EU, Kanada, Norwegen, Türkei, Chile, Indonesien.

Aufrüsten oder Abrüsten? Entspannung oder Konfrontation?

All das zeigt: Bei dem Streit um das künftige Budget der EU geht es auch um große Rüstungen. Konzerne wie Rheinmetall schwärmen schon von einem „Super-Zyklus im wehrtechnischen Geschäft“.10 Vor allem aber geht es um den künftigen Kurs der Europäischen Union. Will sie einen Kurs der Entspannung und des Dialogs mit Russland, mit den arabischen und afrikanischen Ländern verfolgen oder einen Kurs der politischen, wirtschaftlichen und möglicherweise auch militärischen Machtpolitik und Konfrontation?

Die derzeit von der EU verantworteten Auslandsinterventionen (siehe Foto) zeigen ein uneinheitliches Bild. Mal mit der UNO, mal ohne oder sogar gegen sie entwickelt die EU ihre Außenpolitik. Der hier in Auszügen dokumentierte Aufruf für ein solidarisches Europa beinhaltet zwar den Bezug auf Abrüstung und Rüstungskontrolle, hätte dies aber deutlich stärker in den Vordergrund stellen sollen. Auch in den Mitgliedsstaaten der EU variieren die Positionen hierzu stark und das beispielsweise bei Außenminister Maas deutlich spürbare Bemühen, internationale Strukturen und Instrumente der Rüstungskontrolle zu erhalten bräuchte stärkere Unterstützung als Basis für Abrüstung auch in Europa.

Es wird zunächst spannend, wie der Streit um den neuen EU-Haushalt in den nächsten Monaten ausgeht. Ob am Ende mehr Mittel für Gesundheit, Soziales, gegen Armut und soziale Spaltung fließen, oder in Aufrüstung, Militär und eine Politik der Abschottung und Konfrontation. Zur EU als Friedensmacht ist noch ein weiter Weg.

Quellen: (1) Europäischer Rat, Politikbereiche Sicherheit und Verteidigung, 17. Juni 2020; (2) www.dielinke-europa.eu/de/article/12240.europäischer-verteidigungsfonds.html; (3) Börse Online, 18.6.2020; (4) ntv, 13. Februar 2020; (5) Die Welt, 1.7.2020; (6) WIKIPEDIA, Future Combat Air System, Übersichtsaufsatz, Version 29.6.2020; (7) https://esut.de, Meldung vom 22.5.2020; (8) FAZ, 13.10.2019; (9) NDR Nachrichten, 2.11.2019; (10) Die Welt, 3.3.2020

Abb. (PDF): Schaubild der EU zu ihren Auslandseinsätzen, gefunden unter „European Union, CSDP Missions“. Man sieht daran, wie raumgreifend die EU inzwischen als Ordnungsmacht aktiv ist.

01

dok: „Wir fordern eine europäische Armee“

(…) Deshalb fordern wir, jetzt mit der vertieften Integration der Außen- und Sicherheitspolitik auf der Grundlage von Mehrheitsentscheidungen und dem Ziel einer gemeinsamen europäischen Armee zu beginnen. Nicht mehr Geld ist dafür nötig – die europäischen Nato-Mitglieder geben etwa dreimal so viel für Verteidigung aus wie Russland –, sondern eine Überwindung der verteidigungspolitischen Kleinstaaterei.

Das schafft viel mehr Verteidigungskraft ohne zusätzliches Geld. Da wir nie mehr in Europa Krieg gegeneinander führen wollen, brauchen wir auch keine nationalen Armeen mehr. Und da sich Europas Verteidigung gegen niemanden richtet, sollte die Schaffung einer europäischen Armee mit Initiativen zu Rüstungskontrolle und Abrüstung verbunden werden.

Deutschland und Frankreich müssen gemeinsam vorangehen, die Gründerstaaten Europas, Polen und die baltischen Staaten zum Mitmachen von Anfang an einladen.

Diese Initiative muss zu jeder Zeit offen sein für alle EU-Mitglieder, die dasselbe Ziel verfolgen – das werden viele, hoffentlich alle, sein.

So zeigen wir der Welt, dass wir unverbrüchlich zusammengehören. Niemand kann mit einer Schwächung oder gar Spaltung Europas rechnen, aber jeder kann Europa als gleichberechtigten Partner in einer auf fairen Interessenausgleich, Frieden und Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen gerichteten Politik auf unserem Planeten gewinnen. Nach außen kann aber nur glaubwürdig zusammenstehen, was im Inneren geeint und gefestigt ist.

(aus: Hans Eichel, Jürgen Habermas, Roland Koch, Friedrich Merz, Bert Rürup, Brigitte Zypries, Aufruf „Für ein solidarisches Europa – machen wir Ernst mit dem Willen unseres Grundgesetzes, jetzt!“, erschienen im Handelsblatt, 21.10.2018)