Politische Berichte Nr. 4/2020 (PDF)23
Rechte Provokationen – Demokratische Antworten

Debatte im Bundestag:

Begriff Rasse aus dem Grundgesetz streichen

01 Dokumentiert: Aus dem Gesetzentwurf der Linken zur Streichung des Begriffs Rasse aus dem Grundgesetz

Gökay Akbulut, Mannheim/Berlin

Im Bundestag hat die Fraktion der Grünen im März 2020 einen Gesetzesentwurf zu Streichung des Begriffes Rasse aus dem Artikel 3. Abs. 2 des Grundgesetzes initiiert. Die Linksfraktion hatte bereits 2010 einen Antrag eingereicht, der damals keine Mehrheit gefunden hatte. Eigentlich sollte vor der Sommerpause ein gemeinsamer überfraktioneller Antrag der Grünen, Linken, FDP und weiteren Fraktionen zur Streichung des Begriffes aus dem Grundgesetz erfolgen. Aufgrund des enormen Arbeitspensums vor der Sommerpause hat sich das Vorhaben in den Herbst verschoben. Während die AfD- und die CDU/CSU-Fraktion sich gegen den Gesetzesentwurf ausgesprochen haben, diskutieren die anderen Fraktionen um eine überfraktionelle Lösung zur Reformierung des Grundgesetzes.

Im Artikel 3 Abs.2 des Grundgesetzes steht die Formulierung: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. 2. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 2006 verwendet den Begriff „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse zu verhindern oder zu beseitigen“.

Diese Formulierung der Gründungsväter und -mütter des Grundgesetzes (1949) geht auf die Abgrenzung gegen den Nationalsozialismus zurück und ist heute aus verschiedenen Gründen problematisch. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik wird über alternative Formulierungen zu dem Begriff „Rasse“ im Rechtskontext diskutiert.

Den Begriff einfach zu streichen oder durch einen anderen Begriff, wie z.B. „ethnischer Hintergrund“ zu ersetzen, löst die Problematik nicht. Der Begriff ethnischer Hintergrund umfasst nicht alle Formen von Diskriminierung bzw. Rassismen. Antisemitismus oder Antimuslimischer Rassismus findet nicht aufgrund der ethnischen, sondern aufgrund der religiösen Zugehörigkeit statt.

Die neue Formulierung muss alle Formen von Rassismus umfassen und dem Strafgesetzbuch oder dem Antidiskriminierungsgesetz angepasst werden. Die Kategorisierung von Menschengruppen in Rassen hat in den verschiedenen Verfassungen der Staaten weltweit ihren Ursprung bereits im Zeitalter der Aufklärung und des Kolonialismus. Menschliche Rassen sind jedoch wissenschaftlich nicht belegbar, sondern eine soziale und politische Konstruktion, die in der Vergangenheit bis heute zu Rassentheorien und Konflikten führt. Die Wissenschaftler der Universität Jena sagen in der „Jenaer Erklärung“: „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“.

Die jetzige Formulierung im Grundgesetz führt zu dem Eindruck, dass der Staat akzeptiere, dass es Rassen gibt und fördert indirekt rassistische Denkmuster.

Die Unesco hat bereits 1995 auf den wissenschaftlichen Diskurs hingewiesen und Staaten aufgefordert, ihre Verfassungen zu modernisieren. Europäische Länder wie Finnland, Schweden oder Österreich haben inzwischen den Begriff komplett aus ihren nationalen Gesetzen entfernt. Im Juli 2020 wurde in Frankeich nach über 70 Jahren der kontroverse Begriff ebenfalls aus der Verfassung gestrichen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) in Berlin stellt seit über zehn Jahren diese Forderung.

Kritiker argumentieren, dass mit der Streichung des Begriffes der Schutz vor rassistischer Diskriminierung ja ganz wegfallen würde und dementsprechend der Rechtsweg für Betroffene problematisch wäre.

Die Bundeländer Thüringen und Brandenburg haben jedoch den Begriff „Rasse“ bereits aus ihren Landesverfassungen gestrichen und alternative Formulierungen entwickelt. Andere Bundesländer sind ebenfalls dabei ihre Verfassungen zu modernisieren. Daher ist es wichtig, dass auf Bundesebene eine Grundgesetzänderung stattfindet. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Fraktionen in Bundestag und Bundesrat notwendig.

Die überfraktionelle Formulierung, der Grünen und Linken, die dem wissenschaftlichen Diskurs angelehnt wird, sieht die Lösung in folgender Formulierung in Art. 3.GG: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder rassistisch benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Nach dem rassistischen Anschlag in Hanau und aufgrund der weltweiten Proteste gegen Rassismus und den Black Lives Matter Protesten ist es notwendig, mit der Reformierung des Grundgesetzes ein Zeichen zu setzen.

Außerdem fordert die Linksfraktion eine Schutzklausel für die Opfer von Rassismus. Der Staat muss alle Menschen vor institutionellen und strukturellen Rassismus schützen und Nachteile beseitigen.

Abb. (PDF): Demonstration in Hanau anlässlich der rassistischen Morde am 19. Februar 2020. Foto: R.Steffens

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Dokumentiert: Aus dem Gesetzentwurf der Linken zur Streichung des Begriffs Rasse aus dem Grundgesetz

Deutscher Bundestag Drucksache 19/20628, 19. Wahlperiode 1.7.2020 / Gesetzentwurf der Abgeordneten Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Niema Movassat, Petra Pau, Martina Renner, Kersten Steinke, Friedrich Straetmanns und der Fraktion Die Linke. /Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Änderung des Artikel 3 – Streichung des Begriffs „Rasse“)

A. Problem: Das Diskriminierungsverbot ist einer der Grundpfeiler des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland. Der in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes verankerte Grundsatz „formuliert den Menschenwürdekern des Gleichheitssatzes und stellt ihn unter besonderen und verstärkten Schutz“ – …

Das Grundgesetz erkennt nicht nur die Verschiedenheit aller Menschen an, indem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, wie es in Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz heißt. Vielmehr darf auch keine Ungleichbehandlung von Menschen stattfinden. Rassistische Diskriminierung stellt eine Ungleichbehandlung dar, sie findet auf verschiedenen Ebenen statt. Sie fußt auf der Vorstellung der unterschiedlichen Wertigkeit von Menschengruppen und einer daraus erst folgenden pseudowissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Thema. Auch Wissenschaftler des Max Planck Instituts haben in ihrer Jenaer Erklärung deutlich gemacht, dass das Konzept der Rasse das Ergebnis von Rassismus ist und nicht dessen Voraussetzung (vgl. Jenaer Erklärung*). Das Konstrukt der „Rasse“ dient seit dem 18. Jahrhundert als Rechtfertigung von Sklaverei und kolonialer Herrschaft. Schließlich wurden auch die „Rassentheorien“ als Zentrum der nationalsozialistischen Ideologie dazu verwendet, den planmäßigen Massenmord an Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma und zahlreichen anderen Menschengruppen zu rechtfertigen (siehe zur Begriffsgeschichte des Begriffs „Rasse“: Cremer, Hendrik (2009)*).

Auch heutzutage sind Rassismus und „racial profiling“ Bestandteile des Lebensalltags vieler Menschen in Deutschland … (Anm. PB: siehe auch S. 24 dieser Zeitschrift)

In der Jenaer Erklärung heißt es, dass, „der Nichtgebrauch des Begriffes „Rasse“ heute und zukünftig zur wissenschaftlichen Redlichkeit gehören“ sollte …

Gleiches gilt für die Verwendung des Begriffs in bundesrechtlichen oder auch

landesrechtlichen Regelungen, sowie im Grundgesetz. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert, dass die Verwendung des Begriffs „Rasse“ im Grundgesetz Vorstellungen von der Existenz menschlicher „Rassen“ perpetuiert (vgl. DIMR: Ein GG ohne „Rasse“ *).

Auf die Erkenntnis, dass der Begriff „Rasse“ im Grundgesetz Rassismus fortsetzt und damit fördert, muss die logische Konsequenz folgen, diesen Begriff zu streichen. Stattdessen sollte ein ausdrückliches Verbot rassistischer Diskriminierung in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes verankert werden.

Dies ergibt sich auch aus einem Grundgedanken, der dem Grundgesetz innewohnt. Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der „Rasse“ hat als Reaktion auf den Rassenwahn des NS-Staates Eingang in den Katalog des Art. 3 Abs. 3 S.1 GG gefunden. Man wollte „nach den Erfahrungen der Hitlerzeit“ den „Grundsatz der Gleichheit“ ausdrücklich aussprechen … Diesem Grundgedanken, aber auch der Auffassung in Wissenschaft und der politischen Auseinandersetzung folgenden Erkenntnis, dass die Verwendung des „Rasse“-Begriffs zur Aufrechterhaltung von Rassismus beiträgt – auch wenn dies wie in Art. 3 des GG in antirassistischer Absicht geschieht, muss das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund der „Rasse“ durch ein Verbot rassistischer Diskriminierung ersetzt werden. Dementsprechend sollte der Wortlaut des Grundgesetzes an den Willen und Schutzgedanken entsprechend angepasst werden.

Wenn man den Rassismus auf den Nullpunkt bringen möchte, so wie es Bundesinnenminister Seehofer in der Regierungspressekonferenz vom 9. Juni 2020 formulierte, ist eine Streichung des Begriffes allein nicht ausreichend. Vielmehr muss der Staat Betroffene aktiv vor Rassismus schützen und sich ausdrücklich für die systematische und strukturelle Beseitigung der Ungleichbehandlung einsetzen …

B. Lösung: Streichung des Begriffs „Rasse“ und Einfügung des Begriffs „rassistisch“ sowie einer Schutz- und Förderklausel gegen rassistische Diskriminierungen in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Quelle: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/206/1920628.pdf * Quellenangaben im Original im auszugsweisen Abdruck ausgelassen, Red.)