Politische Berichte Nr. 4/2020 (PDF)24
Rechte Provokationen – Demokratische Antworten

Verbot von Racial Profiling durchsetzen!

Christiane Schneider, Hamburg

Die „Black Lives Matter“-Proteste haben auch hierzulande der Kritik an strukturellem Rassismus neuen Auftrieb gegeben.

Was ist unter strukturellem Rassismus zu verstehen? Der Begriff zielt nicht auf persönliches Verhalten von Menschen, sondern auf gesellschaftliche und institutionelle Strukturen: auf Normen, Handlungslogiken, Routinen, Entscheidungsabläufe, die Menschen aufgrund unveränderlicher äußerer Merkmale wie Hautfarbe oder Gesichtszüge diskriminieren. Dass Märkte diskriminieren, vor allem der Wohnungs- und Arbeitsmarkt, wird kaum bestritten (auch wenn die Kritik weitgehend folgenlos bleibt). Anders verhält es sich, wenn die Kritik auf Praktiken staatlicher Institutionen zielt. Vor allem wenn die Polizei betroffen ist, wird sie brüsk abgewehrt, weil für die Polizeiapparate, Polizeigewerkschaften und Innenminister nicht sein kann, was nicht sein darf. Mit der denkwürdigen Begründung, es gebe keinen strukturellen Rassismus in der Polizei, da der verboten sei, also brauche es auch keine wissenschaftliche Studie dazu, wies Bundesinnenminister Seehofer jüngst die Empfehlung der Europäischen Kommission (des Europarats – CS) gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) zurück, die lautet: „Die Polizei des Bundes und der Länder sollten eine Studie zum Racial Profiling in Auftrag geben und sich an dieser mit dem Ziel beteiligen, diese Form des institutionalisierten Rassismus zu beenden.“1

Zur Praxis von Racial Profiling

Racial Profiling verstößt gegen das Verbot rassistischer Diskriminierung, das in Artikel 3 Grundgesetz und in verschiedenen Gesetzen verankert sowie in internationalen bzw. europäischen Abkommen verbindlich geregelt ist.

Unter Racial Profiling wird die Methode verstanden, das physische Erscheinungsbild einer Person zur Entscheidungsgrundlage für polizeiliche Maßnahmen gegen sie zu machen. Das betrifft vor allem Personenkontrollen. Es gibt viele Erfahrungsberichte Betroffener, aber wenig gesicherte Zahlen, was die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Studie nur unterstreicht. Tatsache ist jedoch, und das hebt u.a. auch der ECRI-Bericht hervor, dass es gesetzliche Regelungen gibt, die der Polizei die Befugnis geben, anlasslose Personenkontrollen durchzuführen, und damit Racial Profiling Tür und Tor öffnen.2

Auf Bundesebene sind das Paragrafen im Bundespolizeigesetz, die sich auf die Verhinderung unerlaubter Einreisen beziehen und die Polizei zu anlasslosen Personenkontrollen in Zügen, Bahnhöfen und Flughäfen ermächtigen. 2019 führte die Bundespolizei fast drei Millionen solcher Kontrollen durch. In nicht einmal 0,7% ergab sich ein Verdacht auf unerlaubte Einreise bzw. Aufenthalt. Befürworter in Regierungen, Polizeien, Gerichten argumentieren, es sei im Sinne einer „effektiven Aufgabenerfüllung“, wenn Polizisten ihre Überprüfung an Indizien ausrichten, die „auf das Herkunftsland der Reisenden“ schließen ließen. Dazu gehöre „das Erscheinungsbildung, also selbstverständlich auch Haar und Hautfarbe“. Mit dieser Begründung verwarf 2012 das VG Koblenz die Klage eines Kasseler Architekturstudenten, der im Zug allein aufgrund seiner Hautfarbe kontrolliert worden war. 3 Das OVG Koblenz hob das Urteil auf und hielt fest: Die Praxis des Racial Profiling verstößt gegen das Verbot der rassistischen Diskriminierung. Seither haben mehr von Racial Profiling betroffene Menschen geklagt und verschiedene Oberverwaltungsgerichte das Koblenzer Urteil bestätigt und die Argumentation ausgebaut. Während die Bundesregierung nach wie vor die Auffassung vertritt, bei anlasslosen Kontrollen liege Racial Profiling nur vor, wenn physische Merkmale das einzige oder ausschlaggebende Kriterium für polizeiliche Maßnahmen sind, stellte u.a. das OVG Rheinland-Pfalz 2016 klar: Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 GG liege bereits vor, „wenn bei einem Motivbündel ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal ein tragendes Kriterium unter mehreren“ sei.4

Auf Länderebene sind in den meisten Polizeigesetzen anlasslose Personenkontrollen an von der Polizei ausgewiesenen „gefährlichen Orten“ verankert. In Hamburg hat die Polizei 2016 eine „Task Force Drogen“ installiert, die seither mit „Schwerpunkteinsätzen“ in drei Stadtteilen 170284 Personen anlasslos kontrollierte, z.B. in St. Pauli, wo systematisch schwarze Menschen betroffen sind. Auch außerhalb von „gefährlichen Orten“ und „Schwerpunkteinsätzen“ werden migrantische Jugendliche häufig anlasslos kontrolliert, wie eine Anhörung der Hamburger Linksfraktion 2013 deutlich machte. Für viele männliche migrantische Jugendliche und Heranwachsende ist das Alltagserfahrung.

„Staatsorgane“, schreibt Hendrik Cremer (4) „müssen den auf der Menschenwürde beruhenden persönlichen Achtungsanspruch aller Menschen wahren.“ Racial Profiling verletzt diesen Anspruch. Kontrollen in Zügen z.B. stellen einen Zusammenhang von Hautfarbe und Ausländerstatus her und damit die Zugehörigkeit Betroffener zur Gesellschaft in Frage. Kontrollen an „gefährlichen Orten“, die auf physische Merkmale abheben, bringen die Betroffenen in Zusammenhang mit Kriminalität und stigmatisieren. Eine bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlichte aktuelle Studie aus der Schweiz, die Racial Profiling aus der Perspektive Betroffener untersucht, vermittelt tiefe Einblicke in die stigmatisierende Wirkung und die Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein.5

1 ECRI-Bericht über Deutschland, 6. Prüfungsrunde, veröffentlicht am 17.3.2020 2 ECRI-Bericht S. 38 3 Zitiert nach Hendrik Cremer, Studie „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz“, Deutsches Institut für Menschenrechte 2013 4 Zitiert nach Hendrik Cremer, Racial Profiling: Bund und Länder müssen polizeiliche Praxis überprüfen, Deutsches Institut für Menschenrechte Juli 2020.5 https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/racial-profiling.pdf

Abb. (PDF): Hamburg-Altona 2013: Ein Stadtteil demonstriert gegen tägliche Polizeikontrollen muslimischer Jugendlicher während des Ramadan