Politische Berichte Nr. 5/2020 (PDF)03a
Blick auf die Medien

EP-Resolution zur Rechtsstaatlichkeit in Polen

Jakub Kus, Warschau. Am 17. September nahm das Europäische Parlament eine Entschließung (P9_TA-PROV 2020/0225) zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Feststellung der Gefahr eines schwerwiegenden Verstoßes der Republik Polen gegen die Rechtsstaatlichkeit an, die zehnte Entschließung zur Rechtsstaatlichkeit in Polen seit 2016. In der Entschließung, die keine Rechtskraft hat, heißt es, die Bedenken des Parlaments beziehen sich auf: das Funktionieren des Gesetzgebungs- und Wahlsystems, die Unabhängigkeit der Justiz, die Rechte auf Schutz der Grundrechte, einschließlich der Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten.

Die Resolution wurde von der Mehrheit der polnischen Abgeordneten der Opposition unterstützt. Die Reaktion auf diese Entschließung in Polen war ernüchternd sowohl auf Seiten der Regierung als auch der Opposition. Einer der „Falken“ der Regierung, Justizminister Zbigniew Ziobro, sagte: „Lassen Sie uns alles tun, damit Polen und andere EU-Länder sich nicht darauf einigen, EU-Mittel mit Rechtsstaatlichkeit zu verknüpfen“, und drohte mit „Widerstand gegen Versuche (…), uns zum Beispiel zu zwingen, die Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare anzuerkennen“. Ausschluss von EU-Mitteln ist das einzige, was die polnische rechte Regierung im Zusammenhang mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit befürchtet. Die neoliberale und linke Opposition hat dieses Ereignis praktisch ignoriert, abgesehen von kurzen Aussagen und Kommentaren auf Twitter.

In den sozialen Medien blieb das Thema ebenfalls fast unbemerkt – warum? Die Unabhängigkeit des polnischen Justizsystems ist in der Tat nur für bestimmte soziale Gruppen von Interesse, auch weil es bereits nicht gut funktionierte, bevor der rechte Flügel seine Unabhängigkeit angriff. Die Verteidigung der Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten auf Seiten der liberalen Opposition bleibt deklarativ, und die neoliberalismus-kritischen Meinungen der Linken fehlen in den offiziellen Medien praktisch. Die Regierung und die Mehrheit der Öffentlichkeit (einschließlich der Opposition) sind der Ansicht, dass die Stellungnahmen des Europaparlaments nicht von großer Bedeutung sind, und stellen nicht ohne Grund fest, dass die Europäische Kommission in dieser Angelegenheit letztlich nicht energisch handelt. Am 30. September hatte die Europäische Kommission auch erstmals nationale Berichte über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Mitgliedsstaaten vorgelegt. Dies ließ die polnische Regierung zu dem Schluss kommen, dass es in vielen Ländern Verstöße gab, sich die EU-Institutionen allerdings nur um Polen und Ungarn „kümmerten“.

Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung, Rolf Gehring