Politische Berichte Nr. 5/2020 (PDF)03b
Blick auf die Medien

Abstimmungen Schweiz: Erwartetes und Unerwartetes

Alfred Küstler, Stuttgart. Am 27. September hatte das Schweizer Stimmvolk gleich fünf Themen zur Abstimmung; die Abstimmung im Mai war wegen Corona abgesagt gewesen. Mit 61,7 Prozent Nein scheiterte erwartungsgemäß die Initiative der Schweizer Volkspartei (SVP) gegen das EU-Abkommen zur Personenfreizügigkeit deutlich. Viele befürchteten, dass dann auch andere Verträge mit der EU im Bereich Handel und Wissenschaft sofort hinfällig würden; außerdem hat sich die Stimmung bei der Zuwanderung gegen die nationalistische SVP gedreht. Jetzt muss die Schweiz die Verhandlungen mit der EU um ein sogenanntes Rahmenabkommen zu Ende bringen. Die EU verlangt, dass der Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt mit einem institutionellen Rahmen geregelt wird und nicht in jedem Einzelfall. Strittig ist jetzt noch der „Lohnschutz“ und das Streitschlichtungsverfahren. Vermutlich wird auch das noch einmal vors Volk kommen.

Mit dem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub zieht die Schweiz nach mit den in anderen europäischen Ländern vorhandenen Regelungen, 60,3% stimmten dafür, auch das war erwartet worden. Höhere Kinderfreibeträge bei der Steuer, die die Regierung für den Betreuungsaufwand gewähren wollte, scheiterten mit 63,2% Nein, weil die linken Parteien (SP und Grüne) mit dem Argument überzeugten, das komme vor allem den Besserverdienenden zu gute. In der Höhe war das Nein nicht erwartet worden.

Das neue Jagdgesetz, das es den Kantonen erlaubt hätte, bei einer Gefährdung von Schafherden (und inzwischen auch zunehmend Kälbern) durch den Wolf, diesen leichter abzuschießen, scheiterte mit 51,9%, es stimmten die urbanen Regionen gegen die Berggebiete. Es war übrigens das Thema bei den fünf Abstimmungen, bei dem die meisten Werbeanzeigen und Plakate geschaltet wurden (538 Contra- und 108 Ja-Inserate; zum Vergleich Begrenzungsinitiative: 118 pro und 279 contra). Die Umfragen hatten ein knappes Ja erwarten lassen.

Ein hauchdünnes Ja mit 50,1% gab es für die Anschaffung neuer Kampfflugzeuge; die Umfragen sagten eine höhere Zustimmung voraus. Die Befürworter wiesen darauf hin, dass die jetzigen Flugzeuge ab 2030 nicht mehr fliegen können, dass die Schweiz aber in der Lage sein müsse, ihren Luftraum zu kontrollieren und das nicht an die Nato abschieben könne. Die Gegner sind zum Teil grundsätzlich für eine Schweiz ohne Armee, zum Teil hielten sie die Luftwaffe für weniger wichtig als Kampffähigkeit im Bereich Kriegsführung über Internet oder hielten 6 Milliarden Franken für zu viel.

Am 29. November stehen zwei Abstimmungen an: die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative (Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards durch Schweizer Unternehmen auch im Ausland), die Regierung empfiehlt eine Ablehnung (im Parlament 108 Nein, 88 Ja und 2 Enthaltungen). Der Ausgang ist ungewiss: vor allem die Kirchen werben massiv für eine Zustimmung. Die zweite Abstimmung betrifft ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten. Auch hier will die Regierung ein Nein (Parlament: 125 Nein und 72 Ja).