Politische Berichte Nr. 5/2020 (PDF)08
Aktionen – Initiativen

Aktionen – Initiativen – Thema : Pandemie-Gesetze und Verordnungen [DOK] Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen


01 Die Politik schafft sich ihre Gegner selbst – Bundesvorstand der Humanistischen Union: Wie verteidigen wir das Grundgesetz gegen seine Verteidiger?

02 Vier NGOs veröffentlichen Offenen Brief

03 Pandemie und Ungleichheit: Der Normalzustand ist das Problem

04 Wieviel Lohnausfall mussten die Beschäftigten hinnehmen?

05 Kommunen müssen trotz Corona handlungsfähig bleiben

01

Die Politik schafft sich ihre Gegner selbst – Bundesvorstand der Humanistischen Union: Wie verteidigen wir das Grundgesetz gegen seine Verteidiger?

Die Politik hat sich das Erstarken dieser Gegner der Pandemie-Gesetze und -Verordnungen zu weiten Teilen selbst zuzuschreiben. Wenn die Exekutive Übergewicht erhält, Bewegungs- und Versammlungsfreiheit aus Pandemie-Gründen eingeschränkt werden, wenn nicht mehr politisch argumentiert, sondern von Alternativlosigkeit gesprochen wird (wie es schon seit Jahren der Fall ist), dann schadet das dem politischen Diskurs und der Demokratie. Wenn Diskussionen erstickt werden und die Orte des demokratischen Diskurses geschlossen sind, dann gärt es in der Meinungsblase. Als Deutschlands älteste Bürgerrechtsorganisation setzt sich die Humanistische Union e.V. seit nunmehr fast sechzig Jahren ein für den Schutz der Grundrechte und für das Grundgesetz. Mit Erstaunen erleben wir in diesen Tagen eine neue, ungeahnte Popularität des Grundgesetzes. Diese Entwicklung sehen wir nicht nur mit Freude, sondern auch mit Sorge. Das Grundgesetz kann und darf nicht einseitig vereinnahmt werden … In diesen Zeiten sind Vereine und Initiativen wichtiger denn je. Die Diskussion um die Corona-App und damit verbundene Datenschutzprobleme z.B. hat gezeigt, wie wertvoll die Beteiligung der Zivilgesellschaft ist und welche legitimatorische Kraft daraus erwachsen kann.

„Vereine und Stiftungen – und also die Zivilgesellschaft an sich – sind systemrelevant“, betont Werner Koep-Kerstin, Bundesvorsitzender der Humanistischen Union. Demokratie und Zivilgesellschaft sind auch notwendig für das Aushandeln der Verhältnismäßigkeit bei den Corona-Maßnahmen. Durch stärkeres Einbinden der Zivilgesellschaft kann Vertrauen gestärkt und die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien verringert werden. Wir müssen Orte und Strukturen schützen, in denen diskutiert werden kann. Wir brauchen gerade jetzt keine Einschränkung und Verunsicherung durch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit vieler Vereine. Auch die finanziellen Folgen der Pandemie für die Zivilgesellschaft müssen abfangen werden: „Wir brauchen einen Schutzschirm für NGOs“, so Koep-Kerstin … Vielen ist jetzt erst die zentrale Bedeutung der Grundrechte für unsere Republik, aber auch für das jeweils eigene Leben deutlich geworden. Dieses neue Bewusstsein muss genutzt werden, um die Grundrechte auch in Zukunft zu verteidigen. Die Grundrechte müssen aber nicht nur den Regierenden gegenüber verteidigt werden, sondern auch gegen die, die sie lediglich als Alibi oder Waffe verwenden. „Auch dafür brauchen wir eine starke Zivilgesellschaft“, stellt Koep-Kerstin fest und erläutert die Forderungen der Humanistischen Union:

• Wir brauchen mehr demokratisches Engagement, mehr Zivilgesellschaft, mehr Diskussion. Vereine und Stiftungen, die Zivilgesellschaft an sich, sind systemrelevant.

• Es gab und gibt erhebliche Defizite bei der parlamentarischen Mitwirkung bei staatlichen Pandemie-Maßnahmen, die Dominanz der Exekutive ist offensichtlich. Politische Entscheidungen müssen aber transparent vorbereitet und getroffen werden; wissenschaftliche Erkenntnisse sind dafür die Grundlage, dürfen aber die Entscheidungen nicht determinieren. Es gibt keine alternativlosen Entscheidungen. Nur so können die notwendige Akzeptanz einschneidender Maßnahmen bei Bürgerinnen und Bürgern gewährleistet und demokratiefeindliche Radikalisierungen eingehegt werden.

http://www.humanistische-union.de/nc/aktuelles/presse/pressedetail/back/presse/article/die-politik-schafft-sich-ihre-gegner-selbst/

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Vier NGOs veröffentlichen Offenen Brief

Deutschland hat im weltweiten Vergleich die direkten gesundheitlichen Folgen der Corona-Krise gut gemeistert. Die besonnene Reaktion der Politik und einer großen Mehrheit der Bevölkerung haben Schlimmeres verhindert. Angesichts der vielfältigen Maßnahmen, die bis zu der Einschränkung von Grundrechten reichten, muss nun Bilanz gezogen werden, fordern Mehr Demokratie, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Bund der Steuerzahler und Foodwatch in einem Offenen Brief.

„Demokratien sind in der Lage, ihre Entscheidungen selbst zu überprüfen. Das stärkt die Demokratie“, heißt es in dem Schreiben an die Bundestagsfraktionen weiter. Darin rufen die Verbände zu einer Überprüfung von Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie auf. Sie schlagen die Einberufung einer Parlamentskommission vor, die hälftig mit Abgeordneten des Deutschen Bundestags und mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft besetzt sein soll. Die Ergebnisse sollen einem losbasierten Bürgerrat vorgelegt werden.

„Die Bekämpfung der Corona-Pandemie, der Lockdown, die Schutzmaßnahmen: Alles hat zu weitreichenden Einschränkungen geführt, um die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen. Aber jetzt ist es an der Zeit, diese Maßnahmen zu evaluieren und Erkenntnis für künftige Krisen daraus zu ziehen“, erklären die Verbände übereinstimmend. Zu bewerten seien die Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen, deren Zustandekommen sowie die Zusammenarbeit mit den Bundesländern. Daraus sollen Rückschlüsse für zukünftiges Krisenmanagement gezogen werden. Die vier Organisationen machen den Vorschlag an vier Punkten fest: Die getroffenen Maßnahmen hätten alle Ebenen des täglichen Lebens stark beeinflusst, dies verlange nach einer konstruktiv-kritischen Bilanz. Die Demokratie sei ein lernfähiges System, eine Fehlerkultur sei notwendig, um die Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen. Die Demokratie lebe von der Debatte sowie vom Aufarbeiten vergangener Geschehnisse und Krisen. Hier könne Deutschland eine Vorbildfunktion für andere Länder übernehmen. Und schließlich mache die Corona-Krise gesellschaftliche Gräben sichtbarer, die nur überwunden werden könnten, wenn alle Positionen Gehör fänden und ein Dialog stattfindet. Dabei zeigen die Verbände Verständnis für die Unsicherheit der Politik, notwendige Entscheidungen zu treffen. Im weltweiten Vergleich habe Deutschland die direkten gesundheitlichen Folgen vergleichsweise gut gemeistert. Die richtige Zeit für eine systematische Aufarbeitung sei möglicherweise erst in der nächsten Legislaturperiode. Vorbereitungen für eine Auswertung könnten jedoch bereits jetzt getroffen werden.

https://www.mehr-demokratie.de/presse/einzelansicht-pms/news/vier-ngos-veroeffentlichen-offenen-brief/

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Pandemie und Ungleichheit: Der Normalzustand ist das Problem

Die Corona-Pandemie legt seit Monaten die weltweit herrschenden gesellschaftlichen Ungleichheiten erbarmungslos bloß. Während sich in Europa erst eine erneute Ausbreitung des Corona-Virus andeutet, kostet die Pandemie in anderen Teilen der Welt ungebrochen extrem viele Menschenleben. Insbesondere schwarze Menschen sind davon – nicht nur in den USA – ungleich stärker betroffen, sowohl gesundheitlich als auch materiell. Denn sie haben aufgrund des herrschenden strukturellen Rassismus einen schlechteren Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und sind überproportional häufig von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen … Auch in Deutschland bleiben insbesondere diejenigen Menschen gefährdet, die sich ein Social Distancing schlichtweg finanziell nicht leisten können. Auch Hartz-IV-Empfänger*innen sind von einer Infektion mit Corona um ein Vielfaches stärker betroffen. Geringverdienende und Erwerbslose leiden besonders stark unter der Corona-Krise, die auch in ökonomischer Hinsicht existenzbedrohend ist. Selbst die „Corona-Warn-App“ reproduziert die herrschenden Verhältnisse: Die Anforderung nach einem Smartphone mit den nötigen technischen Voraussetzungen schließt einmal mehr Geringverdienende und solche aus, die gar kein Mobiltelefon besitzen: Wer die App nutzen will, muss es sich leisten können. Natürlich gab und gibt es mehr als genug Gründe, sich aus grund- und menschenrechtlicher Sicht kritisch mit den Maßnahmen und den massiven Grundrechtseinschränkungen zu beschäftigen und dieser Kritik Ausdruck zu verleihen. Die Eingriffe waren und sind massiv und sehr pauschal, beispielsweise die komplette Aussetzung des Versammlungsrechts. Dies wurde mit guten Gründen vom Bundesverfassungsgericht gekippt, wenn dieses auch ein paar Wochen benötigte bis zu der überfälligen Entscheidung. Auch ausladende Bußgeldkataloge und Strafverfahren wegen Verstößen gegen die Corona-Anordnungen, sowie die Disziplinierung der Bürger*innen durch Polizei und Ordnungsamt sind besorgniserregende Methoden. Bei den schnell von der organisierten Rechten dominierten Demonstrationen wird jedoch immer wieder deutlich: Es geht vielen Anwesenden vor allem um ihre eigenen Befindlichkeiten. Rücksicht auf Angehörige von Risikogruppen oder ein Bezug auf die Folgen der herrschenden Ungleichheiten aufgrund struktureller Bedingungen wird weder auf den Veranstaltungen noch in Redebeiträgen genommen. Der vergleichsweise sanfte Verlauf der Corona-Pandemie in Deutschland nährte die grundsätzliche Infragestellung von Maßnahmen gegen ein Virus, das „nicht schlimmer als eine Grippe“ sei. Verschwörungsmythen, oft mit antisemitischem Unterton, dienten dort als einfache Deutungen der Krise, wo eine grundsätzlichere Kritik an struktureller Ungleichheit, hervorgerufen durch das kapitalistische Wirtschaftssystem, angebracht wäre. Das Verbreiten von Fehlinformationen über das Virus, angereichert mit rechtem und rassistischem Gedankengut, verbreitet sich auch weiterhin im Internet. Die Wirkmächtigkeit der Verschwörungsmythen ist auf der Straße wie auch virtuell höchst gefährlich …

https://www.grundrechtekomitee.de/details/pandemie-und-ungleichheit-der-normalzustand-ist-das-problem

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Wieviel Lohnausfall mussten die Beschäftigten hinnehmen?

Die Clean Clothes Campaign untersuchte wieviel Lohnausfall Millionen von Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie weltweit hinnehmen mussten. Infolge der Coronakrise wurden ihre Löhne gekürzt oder gar nicht gezahlt. Der Bericht „Un(der)paid in the pandemic“ gibt die Befunde zwischen März und Mai wieder. Die Lohnausfälle entstanden infolge der Stornierung von Aufträgen der Modemarken, durch unbezahlten Urlaub sowie staatlich sanktionierte Lohnkürzungen. Die Studie hat Berichte von Beschäftigtenorganisationen und aus Medien ausgewertet. Sie wurde gemeinsam mit dem Worker Rights Consortium (WRC) erstellt. Es wird geschätzt, dass allein in Süd- und Südostasien die Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie 38% weniger Einkommen erhielten. In einigen Regionen in Indien sind es durchschnittlich sogar mehr als 50% weniger gezahlter Lohn. Wenn man diese Ergebnisse für die globale Bekleidungsindustrie außer China extrapoliert, bedeutet das einen moderat geschätzten Lohnverlust von 2.7 bis 4.9 Mrd. Euro für März, April und Mai. Im Gefolge der Veröffentlichung der Studie berichtete die Financial Times, dass Beschäftigte in der Bekleidungsindustrie Asiens auf 5,1 Mrd. Euro Lohn verzichten mussten, weil Modemarken ihre Aufträge stornierten oder sie hinauszögerten oder die Bezahlung der Aufträge zurückhielten in der Pandemie. H&M, Gap und Arcadia (Topshop) lehnten bisher eine Kommentierung der Befunde ab … Ziel dieses Berichts ist es, die „Lohnlücke“, also die Bandbreite der Lohnausfälle in sieben Ländern aufzuzeigen, mit denen Textilarbeiterinnen und -arbeiter konfrontiert sind. Die Zahlen basieren zwar nur auf groben Berechnungen, geben aber einen Hinweis auf die Summen, die es bräuchte, um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu versorgen.

Der Bericht zielt darauf ab, die Verantwortung von Markenfirmen gegenüber den Beschäftigten in ihren Lieferketten zu verdeutlichen. Der Bericht fordert internationale Markenfirmen zu einer verbindlichen Lohnzusage („wage assurance“) auf, um die verheerende Lohnlücke zu schließen.

https://saubere-kleidung.de/2020/08/underpaid-in-the-pandemic/

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Kommunen müssen trotz Corona handlungsfähig bleiben

Zu der Meldung über ein Anwachsen des Investitionsstaus in den Kommunen sagt Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke:

Angesichts des Investitionsrückstaus von 147 Milliarden Euro drohen die Maßnahmen des Bundes zu einem Tropfen auf dem heißen Stein zu werden. Bund und Länder müssen absichern, dass die Kommunen auch in Corona-Zeiten ihren Aufgaben nachkommen können. Die aktuellen Corona-Lasten müssen voll gegenfinanziert werden. Die Zins- und Tilgungsverpflichtungen überschuldeter Kommunen müssen vorübergehend vom Bund übernommen werden. Zudem brauchen wir einen Altschuldenfonds, der hoch verschuldeten Kommunen einen Neustart ermöglicht. Damit gewinnen wir Zeit, um die Finanzierung der Städte und Gemeinden langfristig auf gesunde Füße zu stellen … Wir brauchen handlungsfähige Städte und Kreise, um der Pandemie mit lokalen Maßnahmen zu begegnen und negative langfristige Folgen, wie sie fehlende Investitionen mit sich bringen, zu vermeiden. Kommunen handlungsfähig zu halten ist auch ein Verfassungsauftrag. Dazu müssen die finanziellen Belastungen der Städte und Kreise durch Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise im Rahmen des Konnexitätsprinzips voll gegenfinanziert werden. Um die Finanzierung der Städte und Gemeinden langfristig gerecht zu sichern sind unter anderem zwei Maßnahmen zu ergreifen: Der Bund muss die Städte und Gemeinden von der Finanzierung sozialer Aufgaben entlasten. Hartz IV, Kosten der Unterkunft, Eingliederungshilfen und vieles weitere sind von Faktoren abhängig, die von den Kommunen kaum zu beeinflussen sind. Die ungleiche Verteilung zwischen den Kommunen bedeutet aber für manche Kommunen eine deutlich überdurchschnittliche Belastung. Außerdem muss die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer weiterentwickelt werden, die weitere Einkommensarten und Personengruppen wie Mieten, Lizenzgebühren, Selbstständige und Freiberufler einbezieht.

https://www.die-linke.de/start/presse/detail/kommunen-muessen-trotz-corona-handlungsfaehig-bleiben/

Abb. (PDF): Linken-Plakat, Zusammenhalt und solidarität statt Angst und Panik