Politische Berichte Nr. 5/2020 (PDF)16
Gewerkschaften/Soziale Bewegungen

Covid-19-Pandemie: Arbeitsschutzaspekte

Rolf Gehring, Brüssel

Die Erkrankung halber Belegschaften hat nicht nur die von den Gewerkschaften schon lange skandalisierten Arbeitsbedingungen in Sektoren wie der Fleischwirtschaft, der Saisonarbeit in der Landwirtschaft oder dem Bausektor in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, sie hat auch gezeigt, dass es keine Events wie in Ischgl oder Bergamo braucht, um eine Infektionsexplosion auszulösen – die üblichen Wirtschaftsabläufe bzw. die je speziellen Arbeitsbedingungen reichen völlig. Sie sind in den genannten Sektoren häufig schäbig, insbesondere bezüglich der sanitären Bedingungen, aber auch im Bereich Klima (u.a. Be- und Entlüftung); beengte, häufig unhygienische Pausenräume sind eher die Norm als Seltenheit; Anfahrten zu Einsatzorten standardmäßig in überfüllten Kleinbussen organisiert; die Unterbringung und Verpflegung von Saisonarbeitern ist beredter Skandal; die Tätigkeiten sind oft verbunden mit schwerer körperlicher Belastung (hoher Erschöpfungsgrad und leichtere Anfälligkeit). Auch in den genannten Sektoren finden sich Betriebe mit einer ordentlichen Arbeitsschutzorganisation und guten Sozialeinrichtungen, die genannten Phänomene sind aber weit verbreitet, nicht nur für entsandte oder Saisonarbeitnehmer. Und auch für andere verarbeitende Wirtschaftssektoren gilt, Produktionsarbeit ist noch immer in weiten Teilen Arbeit, bei der eine Hand in die andere greift, auch wenn die Arbeitsbedingungen gut sind.

Im Ohr sind auch noch die frühen Aufrufe und Pressemitteilungen der IG BAU, die die konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen der Saisonarbeiter zu Beginn der Pandemie skandalisiert haben, mit dem parallelen Hinweis, dass die Ernte durch den jahreszeitlichen Wechsel festgelegt wird und ungeübte Hände die Saisonarbeiter kaum ersetzen können. In dieser Gemengelage und bei weitgehenden Einschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeiten auch im verarbeitenden Gewerbe haben sich in allen europäischen Ländern früh Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbände zusammengesetzt und Anforderungen an die Betriebe ( Arbeitsschutz) und Anforderungen an das politische Feld (Rahmenbedingungen für die Wiederaufnahme der Arbeit und finanzielle Hilfen) formuliert.

Untersuchung der Stiftung in Dublin

In diesem Zusammenhang hat die Europäischen Stiftung zur Erforschung der Arbeits- und Lebensbedingungen (Dublin Foundation) kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der Übersichten über die auf nationaler Ebene zwischen den Tarifparteien getroffenen Vereinbarungen und ihrer Inhalte wiedergibt.

Ebenso Übersichten staatlicher Maßnahmen und Programme.

Untersucht wurden auch auf die wirtschaftlichen Folgen.

Folgend Zitate aus der Zusammenfassung der Ergebnisse:

„Die wirtschaftlichen und die arbeitsmarktpolitischen Folgen der Covid-19-Pandemie sind schwer vorhersehbar, dürften jedoch schwerwiegender sein als die der globalen Finanzkrise 2008–2009.

Aufgrund der Art der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind die Auswirkungen sehr branchenspezifisch und dürften sich am stärksten auf diejenigen auswirken, die einen höheren Anteil an Aufgaben haben, die nicht in Telearbeit verrichtet werden können und Arbeitnehmer mit prekären Verträgen, junge Menschen und Frauen.

Die Mehrzahl der 500 Maßnahmen, die in der Covid-19 EU Policy Watch-Datenbank von Eurofound (April 2020) erfasst wurden, waren darauf ausgerichtet, Unternehmen am Leben zu erhalten (35%), Einkommen zu sichern (über Kurzarbeitsformen – 20%) und Beschäftigung zu schützen (13%).

Aufgrund der Lehren aus der vorherigen Wirtschaftskrise bieten alle EU-Mitgliedstaaten jetzt verkürzte Arbeitszeiten oder Kurzarbeitsmodelle an. Ihre Wirksamkeit wird jedoch wahrscheinlich durch erhebliche Unterschiede bei den Bedingungen des Zugangs, dem Einkommensausgleich und der Dauer und den damit verbundenen Entlassungsbeschränkungen beeinflusst.

Die Tatsache, dass trotz der weit verbreiteten Einführung von Einkommenssicherungsmaßnahmen bei vielen Einzelpersonen und Familien dramatische Einkommensrückgänge zu verzeichnen waren, zeigt sich in der weit verbreiteten Annahme von Initiativen zur Verschiebung von Mietzins-, Hypotheken- oder Darlehenszahlungen.“

(eigene Übersetzung)

Corona in Arbeitsschutzrichtlinie aufgenommen

Unmittelbar nach dem Ausbruch der Pandemie haben die europäischen Gewerkschaften die Anerkennung von Covid-19 als Berufskrankheit gefordert. Gewissermaßen als rechtliche Voraussetzung hierfür ging es konkret um die Aufnahme von Sars-CoV-2 in die Richtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer gegenüber Gefährdungen durch biologische Arbeitsstoffe. Zu den biologischen Arbeitsstoffen werden auch Viren gezählt. Relativ schnell hatte dann die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Aufnahme des Virus in diese seit 1989 bestehende Richtlinie (89/391/EWG) vorgelegt.

Sie unterteilt die biologischen Arbeitsstoffe in vier Gefährdungsgruppen (Artikel 2). Und genau um die Einstufung in eine dieser vier Gruppen drehte sich der politische Streit. Die letztliche Einstufung in Gruppe 3 wurde u. a. von den Gewerkschaften kritisiert. Sie forderten eine Einstufung in Gruppe 4, deren Definition wie folgt lautet: „Biologische Arbeitsstoffe der Gruppe 4 sind Stoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen hervorrufen und eine ernsthafte Gefahr für Arbeitnehmer darstellen; die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung ist unter Umständen groß; normalerweise ist eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung nicht möglich.“ Insbesondere die Kriterien wirksamer Vorbeugung und Behandlung wurden von den Gewerkschaften ins Feld geführt. Für die Gruppe 3 wird beides bejaht, tatsächlich sei aber beides derzeit (noch) nicht möglich bzw. verfügbar. Weder Impfstoff noch validiert wirksame Behandlungsmittel gibt es.

Informationen für die betrieblichen Akteure

Eine von der europäischen Arbeitsschutzagentur in Bilbao betreute Webpage (OSH-WIKI) veröffentlicht Handlungsempfehlungen für den allgemeinen Arbeitsschutz und spezielle Handreichungen für die einzelnen Wirtschaftsbereiche. Sie richten sich wesentlich an die Arbeitgeber und an betriebliche Arbeitsschutzausschüsse/Arbeitsschutzstrukturen. Sie fokussiert auf betriebliche Arbeitsschutzmaßnahmen. Davor hatte die Agentur bereits Handreichungen veröffentlicht, die einer Unterweisung für den einzelnen Beschäftigten entspricht: Infektionswege, individueller Schutz, Hygiene und Maßnahmen bei einer möglichen Infektion sind unter anderem Themen dieser Handreichung.

Corona-Prävention im Betrieb – Handlungshilfe der IG Metall

Betriebliche Prävention ist auch Thema einer Handlungshilfe der IG Metall. Wie Infektionsrisiken durch Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutzmaßnahmen im Betrieb minimiert werden können, wird detailliert behandelt. Sie ist mittlerweile in mehreren überarbeiteten Versionen publiziert worden, die jeweils aktuelle Entwicklungen der rechtlichen Rahmenbedingungen, neue Wissensstände bezüglich der Infektionswege und Schutzmaßnahmen aufgenommen haben.

Die Broschüre orientiert sich an dem durch die Europäische Arbeitsschutzrahmenverordnung eingeführten Stop-Prinzip (Substitution/technisch/organisatorisch/persönlich). In der betrieblichen Prävention muss danach eine Gefährdung durch hierarchisch gegliederte Maßnahmen beseitigt oder minimiert werden. Wobei der Bereich Substitution bei einem Virus selbstredend entfällt. Minimierung der Gefahr durch technische Maßnahmen; Minimierung der Gefahr durch organisatorische Maßnahmen, wie etwa die Minimierung der Betroffenen durch räumliche Trennung; persönliche Schutzausrüstung, etwa durch angemessene Atemschutzmasken, sind die drei Hierarchieebenen. Das bedeutet eigentlich, dass, nur wenn die Gefährdung durch technisch oder organisatorische Maßnahmen nicht ausreichend minimiert werden kann, wird auf persönliche Schutzausrüstung zurückgegriffen.

Schwerpunkt der Broschüre sind dann auch Überlegungen zu technischen und organisatorischen Maßnahmen.

Für den Bereich der technischen Maßnahmen werden unter anderem folgende Handlungsfelder besprochen:

– Sicherheitsabstände gewährleisten;

– Trennwände installieren;

– Zusätzliche Räume bereitstellen;

– Lüftungskonzepte;

– Zusätzliche Bereitstellung von Materialien und Werkzeug.

Für den Bereich der organisatorischen Maßnahmen u. a.:

– Umziehen, Duschen und Arbeitskleidung;

– Innerbetriebliche Verkehrswege;

– Sichere Gestaltung der Arbeitsabläufe;

– Arbeitszeitorganisation;

– Pausenregelung und Kantinennutzung;

– Reinigungspläne, Sanitätsräume, individuelle Hygiene;

– Der Weg von und zur Arbeit.

Der Zugriff auf die Broschüre (Link siehe S. 16 unten) ist enorm, ebenso die Teilnahme an von der IG Metall angebotenen Online-Seminaren. Der starke Rückgriff auf die Angebote, Diskussionen in den Seminaren und die Rückmeldungen weisen darauf hin, dass die betrieblichen Interessenvertretungen dem Thema viel Aufmerksamkeit widmen und vielfach eine hohe Gefährdung sehen. Überwiegend wird einer koordinierten betrieblichen Prävention starke Bedeutung zugemessen, und gut organisierte (sichere) Arbeitsabläufe für die meisten Produktionsbedingungen werden durchaus für möglich gehalten.

Links zu den angesprochenen Dokumenten: Arbeitsschutzagentur in Bilbao: https://oshwiki.eu/wiki/Covid-19:_Back_to_the_workplace_-_Adapting_workplaces_and_protecting_workers Dublin Foundation: https://www.eurofound.europa.eu/publications/report/2020/Covid-19-policy-responses-across-europe (nur Englisch) EU-Richtlinie: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32020L0739&from=EN OSH-Wiki: https://oshwiki.eu/wiki/Covid-19:_guidance_for_the_workplace (nur Englisch) IG Metall: https://www.igmetall.de/download/20200825_IG_Metall_Handlungshilfe_Corona_Pr_vention_im_Betrieb__25_f203dc8f16ab0edfeb5a2f0be5c3ed53e5f977c4.pdf

Abb. (PDF): cover IGM-Handlungshilfe