Politische Berichte Nr. 5/2020 (PDF)20
Rechte Provokationen – Demokratische Antworten

Redaktionsnotizen

Zusammengestellt von Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

01 Reichskriegsflagge verbieten!

02 Ethnopluralistischer Bundestagsantrag der AfD. Sitzungswoche 16. bis 18.9.

03 „Corona-Hysterie“ und „Merkel-Diktatur“ waren die ideologischen Leitplanken der AfD in der Woche 29.9. bis 2.10.

04 Kein Schlussstrich! NSU-Watch

05 Die Linke im Thüringer Landtag zum Lagebericht Thema Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden.

06 Essener Rat verurteilt rechtsextreme Vorfälle bei Polizei.

01

Reichskriegsflagge verbieten! In mehreren Bundesländern wächst die Unterstützung für ein Verbot der Reichskriegsflagge. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Hamburg sprechen sich dafür aus, das Zeigen der Flagge im öffentlichen Raum zu untersagen, auch Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, NRW, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin prüfen die Möglichkeit für ein Verbot. Manche plädieren für ein bundesweit einheitliches Vorgehen. Bremen hatte bereits Mitte September beschlossen, die Reichskriegsflagge, die Rechtsextremen als Erkennungszeichen dient, aus der Öffentlichkeit zu verbannen.

02

Ethnopluralistischer Bundestagsantrag der AfD. Sitzungswoche 16. bis 18.9.: „Außerhalb des Kulturraums der modernen aufgeklärten Welt herrschen andere Leitvorstellungen. Sie sind den dortigen Bevölkerungen durch jahrhundertelanges Leben in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit, vermittelt durch viele rahmengebende Institutionen und Erfahrungen wie Recht, Religion, Geschichte und dem Verhältnis von Staatsaufbau und gesellschaftlichen Akteuren, ebenso tief angepasst und angewöhnt wie andererseits den modernen aufgeklärten Gesellschaften ihre Leitvorstellungen. So stehen diese Voraussetzungen – sowie ihre gelebte Verinnerlichung in der Bevölkerung in … den modernen aufgeklärten Staaten einerseits und den muslimischen und afrikanischen Staaten andererseits, in scharfer Ausprägung und diametraler Entgegensetzung einander gegenüber. Bei künstlich angestoßenen Bevölkerungswanderungen von der einen in die andere Kulturregion wird es vorhersehbarerweise konfliktträchtige Reibungen geben.“ Ob Kolonialismus, Rassismus, Antisemitismus zu diesen jahrhundertelang angewöhnten Traditionen der aufgeklärten Gesellschaften gehören, sagt der Antrag nicht. Nur, dass ein Zusammenleben von Menschen dieser unterschiedlich definierten Kulturräume prinzipiell unmöglich ist. Daraus folgt das im Antrag u.a. skizzierte und von der AfD geforderte Deportationsprogramm, mit dem Hundertausende Menschen „vor die deutsche Grenze zurückzuführen“ oder anderweitig abzuschieben seien.

03

„Corona-Hysterie“ und „Merkel-Diktatur“ waren die ideologischen Leitplanken der AfD in der Woche 29.9. bis 2.10. „Wir fordern die Bundesregierung auf, die Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens unverzüglich zu beenden, nur die kleine Risikogruppe wirklich wirksam zu schützen und die anderen Menschen endlich realistisch, anstatt hysterisch über die geringe Covid-Bedrohungslage zu informieren. Stoppen Sie die Maskerade der Nation!“ (Gerd Wiegel, Drs. 19/22515 Deutscher Bundestag, Protokoll 178. Sitzung)

04

Kein Schlussstrich! NSU-Watch hat u.a. das große Verdienst, den Münchner NSU-Prozess beobachtet und protokolliert zu haben. Kürzlich nun hat NSU-Watch ein Buch über den NSU-Komplex und den Münchner Prozess veröffentlicht. In der Pressemitteilung dazu heißt es:

„Es hat lange gedauert, aber wir sind uns sicher, dass die intensive Arbeit an der Analyse sich gelohnt hat: Ende August erschien das Buch „Aufklären und Einmischen. Der NSU-Komplex und der Münchener Prozess“. Mit der Publikation zieht NSU-Watch einerseits ein Resümee des NSU-Prozesses. Es führt zurück in den Gerichtssaal und beschreibt anhand maßgeblicher Akteur*innen den Prozessverlauf. Das Urteil im Münchener Prozess aber hat keinen Schlussstrich unter den NSU-Komplex gezogen. Zu vieles – etwa zum Netzwerk des NSU und zur staatlichen Mitverantwortung an den Morden und Bombenanschlägen – ist weiterhin unaufgeklärt. „Aufklären und Einmischen“ ist daher andererseits keine detaillierte Nacherzählung des Prozesses. Stattdessen legt NSU-Watch entlang des Prozesses seine Perspektive auf den NSU-Komplex, rechten Terror und Rassismus dar. Dabei geht es auch um die Entwicklung der Arbeit von NSU-Watch – in der Hoffnung, Hilfestellung auch für andere Aktive zu geben.“

05

Die Linke im Thüringer Landtag zum Lagebericht Thema Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden. Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Thüringer Landtag erklärt: „Im Lagebericht [des Bundesinnenministers] werden im Wesentlichen die seit Jahren bekannten Straf- und Disziplinarverfahren der Länder zusammengerechnet und auch nur das, was die Behörden freiwillig gemeldet haben. Weder erfährt die Öffentlichkeit etwas wirklich Neues, noch wird ein realistisches Bild gezeichnet. Der Lagebericht verdeutlicht vor allem, dass es an validen Daten fehlt.“

Dies seien vor allem: Material über diskriminierendes bzw. einstellungsmotiviertes Fehlverhalten im Rahmen von Polizeieinsätzen, Einstellungsuntersuchungen etwa auch zu Ungleichwertigkeitsvorstellungen und politischen Positionen, Vorkommnisse mit vermeintlich diskriminierenden Charakter aus dem Erleben von Betroffenen sowie Polizist*innen im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen sowie das Prüfen polizeilicher Maßnahmen aufgrund struktureller und gesetzlicher Vorschriften, die gegebenenfalls Diskriminierung befördern.

Der Innenpolitiker verweist zudem auf das hohe Dunkelfeld, das sich durch die zahlreich geschilderten Erfahrungen im Zusammenhang mit Racial Profiling erahnen lässt, die aber nur selten überhaupt zur Anzeige führen. Für Dittes ist das Lagebild ein neuerlicher Beleg für die Notwendigkeit einer unabhängigen wissenschaftlichen Studie.

Wichtig sei, dass sowohl das Ausschreibungsverfahren als auch die Studie Vertreter von Antidiskriminierungs- und Menschenrechtsverbänden, zivilgesellschaftlichen Initiativen, Demokratieforschern und People of Colour begleiten. Zudem sollten Vertreter aus Polizei, Polizeibildungseinrichtungen, Polizeivertrauensstelle, Personalräten und Gewerkschaften involviert werden … „Eine wissenschaftliche Studie würde nicht nur Datenlücken schließen, sondern könnte wichtige Erkenntnisse für Aus- und Fortbildung liefern und somit für eine Verbesserung der Fehlerkultur in den Sicherheitsbehörden sorgen.“ (die-linke-thl.de)

06

Essener Rat verurteilt rechtsextreme Vorfälle bei Polizei. Im Juni kam es im Rat der Stadt Essen zu einer aggressiven Debatte, als die linke Fraktion einen polizeikritischen Änderungsantrag zu der Resolution von SPD und CDU: „Solidarität mit den Essener Einsatzkräften bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten“ gestellt hatte, die mittlerweile in der Presse als Persilschein für die Polizei bezeichnet wird. Nach Bekanntwerden der rechtsextremen Vorfälle beim Polizeipräsidium Essen im September, hat die linke Fraktion das per Dringlichkeitsantrag für den Rat thematisiert. Groko und Grüne haben mit eigenen Anträgen nachgezogen. Der Antrag der Groko war wieder mal unzureichend, strukturelle Probleme kamen nicht zur Sprache und es wurde wieder vor „Pauschalverurteilungen“ gewarnt – allerdings nur der Polizei, nicht etwa von Migranten und Menschen mit dunkler Hautfarbe. Aber immerhin wurden die Vorfälle in der Polizei einhellig verurteilt, aggressiv war auch niemand mehr, eher kleinlaut. Thorsten Jannoff

Abb. (PDF): Aufklären und einmischen – der NSU-Komplex und der Münchener Prozess | NSU Watch | Broschur, 232 Seiten, Preis: 18,00 €, ISBN: 9783957324221