Politische Berichte Nr. 5/2020 (PDF)24
Diskussion, Dokumentation

„Krieg im Pazifik“ unvermeidlich?

Hardy Vollmer, Freiburg

„Krieg im Pazifik“ titelt die FAZ am 3.9.2020. Der Autor des Artikels sieht das Ende der Pax Amerikana in der Region. „Genau 75 Jahre nach dem Ende des Pazifikkriegs schürt der „neue Kalte Krieg“ zwischen Amerika und China nun allerdings die Angst vor einer neuen „heißen“ Konfrontation. Das Verhältnis der beiden Mächte hat sich in den vergangenen Jahren über fast alle Politikfelder hinweg stark verschlechtert. In Südostasien, das schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders betroffen war, warnen immer mehr Stimmen vor einem militärischen Konflikt. Als möglicher Auslöser gilt neben einem Angriff Chinas auf Taiwan eine Eskalation im Südchinesischen Meer.“1

In einer von der Rosa Luxemburg-Stiftung herausgegeben Broschüre von Ingar Solty mit dem bezeichnenden Titel: „Der kommende Krieg“2 heißt es:

„Im US-Pentagon rechnet man längst damit, dass ein großer Krieg mit China unvermeidlich sein wird, selbst wenn damit ein Dritter Weltkrieg mit Atomwaffen und die völlige Auslöschung der Menschheit drohen.“ Nach Solty arbeiten die USA nach ihrer Aufkündigung des Washingtoner Vertrags über nukleare Mittelstreckensysteme (INF-Vertrag) an der Modernisierung ihrer Atomwaffen, die auch in Deutschland stationiert sind. Es geht ihnen um den Ausbau von Erstschlagkapazitäten und Zweitschlagverhinderungsmöglichkeiten. Hierfür entwickeln sie sogenannte Mini-Nukes. Die haben die Sprengkraft der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Auch führen sie Verhandlungen mit westpazifischen Staaten, um dort – gegen China gerichtet – entsprechende Mittelstreckenträgerraketen zu stationieren. Zudem verfügen die USA über wenigstens 800 Militärbasen weltweit. Die USA gaben 2017 685,9 Milliarden US-Dollar für Rüstung aus und werden diese Ausgaben 2020 auf über 750 Milliarden US-Dollar steigern. Die Nato-Staaten gaben 2017 ganze 956,6 Milliarden US-Dollar für Rüstung aus.

Wer bedroht hier wen?

Vergleichen wir dagegen die Entwicklung der Rüstungsausgaben der VR China, muss man sich wirklich die Frage stellen: Wer bedroht wen? Und die Frage lässt sich eindeutig beantworten.

So stiegen nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts Sipri die chinesischen Militärausgaben zwischen 1991 und 2017 von 22,4 auf 228,2 Milliarden US-Dollar, im Jahr 2020 sollen sie 241 Milliarden US-Dollar betragen. Nimmt man jetzt noch die russischen Militärausgaben von 2020 hinzu, die nach Sipri 55,3 Milliarden US-Dollar betragen, so kommen wir bei den Militärausgaben auf ein Verhältnis von 1 Billion auf Seiten der Nato-Staaten gegenüber 300 Milliarden bei Russland und China. Sind die Zahlen eh schon irrwitzig genug, wenn man weiß, was man dafür alles für die bessere Entwicklung der weltweiten Lebensverhältnisse leisten könnte, so weiß man ja auch, dass dahinter ein riesiges Vernichtungspotential steckt, das die Erde mehrfach in kosmischen Staub verwandeln kann.

Warum wird China zu einem Hauptfeind der „westlichen Welt“

Seit dem Besuch Nixons in China 1972 bestand die Strategie darin, den riesigen Markt Chinas für die kapitalistische Produktionsweise zu erschließen. Über etliche Jahre hinweg hat dieses Konzept auch funktioniert, vor allem als China zur „verlängerten Werkbank“ der Welt umfunktioniert wurde. Das Billiglohnland China sollte die billigen Waren liefern, und dann später vor allem als Abnehmer der Massenproduktion der industriellen Landwirtschaft aus den USA fungieren. Vor allem die US-Regierungen hatten immer die Vorstellung, dass sie die Entwicklung in China so kontrollieren können, wie sie es mit den europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg veranstalteten. Aber es kam anders. Gerade in der Phase ab den 1990er Jahren, als das globalisierte Finanzkapital sich aufmachte, neue Märkte zu erschließen und die lokalen Märkte in Schutt und Asche zu legen, gelingt es China, doch seine Mauern instand zu halten und in Ausnutzung der Gesetze des globalisierten Kapitals und in Rückbesinnung auf das traditionelle Konzept „auf die eigenen Kräfte zu vertrauen“ einen technisch-ökonomischen Gegenpol zu bilden, der sich heute anschickt, die USA als Weltmacht abzulösen. Und dabei richtet sich die chinesische Regierung nicht auf das traditionelle Konzept kapitalistischen Wirtschaftens aus, sondern nimmt die aktuellen Konzepte eines New Green Deal auf, die zum Leitbild einer in die Zukunft weisenden Politik wird – und das alles unter Führung der Kommunistischen Partei. Es ist klar, dass das jede US-Regierung (und nicht nur die) in heftige Turbulenzen stürzen lässt. Inzwischen sieht die US-Regierung „China als existentielle Bedrohung“, als „Bedrohung des amerikanischen Way of Life“, und „China führe einen „wirtschaftlichen Blitzkrieg, um die USA als die herausragende Supermacht abzulösen“.3

UN-Charta als Leitbild für internationale Kooperationen

Es ist schon erstaunlich, angesichts des Bedrohungsszenario, das die US-Regierung weltweit gegen China inszeniert, mit welcher Engelsgeduld die chinesische Regierung dagegen auf die Einhaltung internationaler Normen besteht, die eine friedliche Zusammenarbeit ermöglichen. Seit Monaten fahren chinesische Botschafter auf und ab und propagieren ein politisches Handeln, das sich an den bewährten Grundsätzen der Vereinten Nationen orientiert. Aber ebenso werden seit Monaten diese Vorschläge von den Regierungen ignoriert und von den herrschenden Medien diskreditiert. Einen riesigen Aufruhr gab es, als einige Bücher des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping im deutschen Buchhandel auftauchen. Aber von kritischer Auseinandersetzung mit diesen Positionen keine Spur. Anstatt an Buchverbot und Schließung von Konfuzius-Instituten zu denken, sollte man einfach mal die Vorschläge zu Kenntnis nehmen, die von chinesischer Seite kommen. Da ist nichts Verwerfliches daran, sondern eigentlich Selbstverständliches und, wenn sich alle Staaten daran halten, durchaus friedensstiftend gegenüber den Atomkriegs-Szenarien, die von der US-Regierung propagiert werden.

In einer Rede zur 75. Vollversammlung der UNO sagte der chinesische Staatspräsident:

„In der Welt gibt es nur ein System, das UN-zentrierte internationale System, und nur ein Regelwerk, die Grundnormen der internationalen Beziehungen auf der Grundlage der UN-Charta …China habe sich verpflichtet, den Weltfrieden und die internationale Ordnung zu verteidigen sowie einen Beitrag zur globalen Entwicklung zu leisten. Die Covid-19-Pandemie zeige, wie sehr die Welt das UN-zentrierte internationale System brauche, so Xi Jinping weiter. In diesem Zusammenhang rief er zu globalen Anstrengungen auf sowie dazu, über nationale und ideologische Grenzen hinauszudenken, um eine bessere Zukunft für die gesamte Menschheit aufzubauen. Die Pandemie habe die Probleme der Weltordnungspolitik verschärft, sodass die betroffenen Parteien darüber nachdenken sollten, wie sie das System verbessern können, anstatt es zu stürzen und neu aufzubauen, sagte Xi.4

Es hat schon einigen Wert, in Zeiten aggressiv auftretender Nationalstaatsideologen sich positiv auf die UN-Charta zu beziehen, 1945 beschlossen, um imperialistische Expansionspolitik einzuhegen und Frieden, Sicherheit und Wohlstand der Völker zu garantieren. Wir wissen, dass in den vielen Jahren danach sich nicht wenige der Unterzeichnerstaaten nicht an die Grundsätze der UN-Charta gehalten haben. Wir wissen aber auch, dass sich immer wieder breite Bewegungen gebildet haben, die auf die Einhaltung der UN-Charta und auf konkretere Umsetzung pochten. Eine besondere Bedeutung für den Weiterentwicklungsprozess der Grundsätze der UN-Charta spielte da sicherlich die Blockfreienbewegung. Die UN-Charta ist ja im Wesentlichen als Antikriegsdokument entstanden. Die Intentionen der Blockfreienbewegung gingen darüber hinaus und beschreiben ein internationales System, das auf den Grundsatz der gleichberechtigten Völker besteht mit dem Ziel, eine gemeinsame diskriminierungsfreien Weltwirtschaft aufzubauen. Eine wichtige Wegmarke war da der Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 24.10.19705 der auf Initiative der Blockfreienbewegung zustande kam. Und so ist auch der Hinweis von Xi Jinping zu verstehen, dass die Parteien daran arbeiten sollten, das UN-System zu verbessern und nicht zu stürzen.

Die Welt hat sich seitdem weiterentwickelt. Unter dem Logo des „Eine-Welt-Denkens (Porto-Allegro-Prozess, Anti-Globalisierungsbewegung usw.) hat sich ein Denken manifestiert, das über den Nationalstaat hinausdenkt.6

Man hat ja keine Illusionen mehr. Aber besteht man heute darauf, dass das internationale politische Handeln auf Grundlage der UN-Charta und weitere Vereinbarungen der UNO basieren sollte, dann besteht eine gute Möglichkeit, dass es zu einer friedlichen und kooperativen Zusammenarbeit zwischen den Völkern kommt.

1 FAZ v. 3.9.2020

2 Ingar Solty: Der kommende Krieg (https://www.rosalux.de/publikation/id/42612/der-kommende-krieg?cHash=8a97665f3e215a70a17f76c94c2259a3)

3 Amerikanische Chinapolitik und transatlantische Beziehungen, SWP-Aktuell 2020/A 68, September 2020 https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020A68/

4 Beijing Rundschau http://german.beijingreview.com.cn/International/202009/t20200924_800221819.html

5 Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen.

6 In diesem Zusammenhang ist das gerade auf deutsch erschienenen Buch des chinesische Philosophen Zhao Tingyang mit dem bezeichnenden Titel: „Alles unter dem Himmel“, interessant. Seine Grundthese: Nationalstaaten sind per se auf Streit aus und eine Weltgemeinschaft nötig. Der Weg, den er vorschlägt wie man dahin kommt, ist durchaus kritikwürdig, und in den nächsten Ausgaben der Politische Berichte wollen wir uns ausführlich mit diesen Gedanken beschäftigen.Abb. (PDF): cover „Der kommende Krieg

Aus der Verlagsankündigung:

„Tingyang, Zhao, Alles unter dem Himmel

Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung. 2020. 266 S. Taschenbuch. Suhrkamp Verlag, Berlin. 22,00 €.

Zhao Tingyang gilt als einer der bedeutendsten chinesischen Philosophen der Gegenwart. Mit diesem Hauptwerk liegen nun seine Überlegungen zu einer neuen politischen Weltordnung erstmals in deutscher Übersetzung vor. Sie basieren auf dem alten chinesischen Prinzip des tianxia – der Inklusion aller unter einem Himmel. In Auseinandersetzung mit okzidentalen Theorien des Staates und des Friedens von Hobbes über Kant bis Habermas sowie unter Rückgriff auf die Geschichtswissenschaft, die Ökonomie und die Spieltheorie eröffnet uns Zhao einen höchst originellen Blick auf die Konzeption der Universalität. Ein wegweisendes Buch, auch um Chinas aktuelles weltpolitisches Denken zu verstehen.“

Der Verlag verweist weiter auf Pressestimmen:

„The Washington Post: „Zhao Tingyang ist einer der einflussreichsten zeitgenössischen Philosophen Chinas“

„Der Tagesspiegel: Zhao formuliert nichts weniger als eine chinesische Antwort auf Immanuel Kants Schrift Zum ewigen Frieden …“

https://www.wbg-wissenverbindet.de/shop/28329/alles-unter-dem-himmel?

Abb. (PDF): verlagsankündigung ZHAO Tingyang