Politische Berichte Nr. 5/2020 (PDF)25
Diskussion, Dokumentation

resonanz:* „Lutherstadt Wittenberg; Judenhass — in Stein gemeißelt“

Wie weiter in der Berichterstattung ?

Karl-Helmut Lechner, Norderstedt

In der letzten Ausgabe (PB 4/20; Seite 26) hatten wir unter der Überschrift „Judenhass — in Stein gemeißelt“ von der inzwischen am Bundesgerichtshof anhängigen Kontroverse um die „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche berichtet.* Auf diesen Artikel haben wir über ein Dutzend Zuschriften erhalten.

Zwei der Stimmen kommen von jüdischen Freunden. Beide, als Betroffene, voll Abscheu — und doch kontrovers. Der eine spricht sich für den „Erhalt“ der „Judensau“ aus: „… Ich bin dafür, dass die schmutzige Geschichte offengelegt bleibt und nicht a posteriori glattgebügelt wird.“ Während der andere die Intention des Artikels, dass die „Judensau“ zu verschwinden hat, ausdrücklich begrüßt.

In der Mehrzahl der Zuschriften wird theologisch argumentiert, im Wesentlichen bezogen auf das Verhältnis von Christen und Juden. Der Artikel, so ein Leserbrief, zeichnet „… korrekt die Geschichte des Antijudaismus und -semitismus in seiner zweitausendjährigen Geschichte nach. Ein Dreckhaufen, der in zweitausend Jahren angewachsen und festgetreten worden ist, lässt sich vermutlich nicht einmal in zweihundert Jahren beseitigen. Man muss dran bleiben.“

Allen Stellungsnahmen, die uns erreicht haben, ist gemeinsam, dass sie nicht auf das Thema des „öffentlichen Raums“ eingehen. Dabei müsste es unseres Erachtens, ausgehend von einem jeweiligen säkularen und religionsfreien Standpunkt, darum gehen, was im „öffentlichen Raum“ dieser Gesellschaft der BRD erlaubt ist. Auf verfassungsrechtlicher wie auch auf der Grundlage des sogenannten Blasphemie-Paragraphen (166 StGB), der „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ verbietet. Dadurch wird die „Judensau“ nicht mehr allein zu einem Thema zwischen Juden und Christen — so waren nach unserer Kenntnis die bisherigen beiden Klagen gegen das Relief angelegt. Herr Michael D. Düllmann, der Kläger gegen die „Judensau“, läßt jetzt in seiner Klageschrift im Revisionsverfahren am Bundesgerichtshof den Satz schreiben: „Es ist kaum eine bildliche Darstellung denkbar, die im höheren Maße im Widerspruch zu unserer Rechtsordnung steht.“

Die Redaktion unserer Zeitschrift kann sich eine Weiterführung des Themas vorstellen, wenn die historische und gesellschaftliche „Funktion“ eines Denkmals, nämlich die Vergegenwärtigung von Herrschaft, genauer dargestellt würde — vom alten Gott Marduk in Babylonien über die Kaiserstatuen im Römischen Reich bis hin zum Schiller‘schen Geßlerhut im „Wilhelm Tell“; nicht zu vergessen die immer noch auf ihren Sockeln stehenden Bismarck- und Wilhelm-Statuen. Seit Denkmäler errichtet wurden sind sie auch wieder gestürzt worden. Es gilt bis heute hin.

Das Schleifen von Lenin-Standbildern gehört zur jüngsten BRD-Geschichte. Das Stürzen von vermeintlichen „Helden der Geschichte“ geschieht oft zu Recht: Nazi-Standbilder sind in der BRD richtigerweise per Gesetz verboten — und eigentlich auch nicht vorstellbar. Sollten dagegen antisemitische Denkmäler, wozu die „Judensau“ eindeutig zählt, am Ende erlaubt sein?

Als gedankliche Anregung: Würde man so eine Figur aktualisieren, z.B. mit den Gesichtszügen eines prominenten Vertreters der jüdischen Gemeinde, es wäre doch glatt als Volksverhetzung und nicht mehr als „Kulturgut“ anzusehen.

Abb. (PDF): Inschrift

*Zur Erinnerung: Es handelt sich dabei um eine Plastik aus dem Jahre 1390, die zuletzt anlässlich des Luther-Jahres 2017 frisch renoviert wurde. Die Wittenberger Stadtkirche war die Predigtkirche Martin Luthers und ist, von ihrem Selbstverständnis her, „Mutterkirche der Reformation“. „Hier begann die Tradition der evangelischen Gottesdienste in deutscher Sprache, mit Gemeindegesang und mit der Kommunion des Abendmahls in beiderlei Gestalt (Brot und Wein).“ … so ist auf der Homepage der Kirchengemeinde zu lesen.

Über den als Juden kenntlich gemachten Figuren, die sich an der Sau zu schaffen machen, prangt in goldenen Lettern der Schriftzug „Rabini Schem HaMphoras“. Das nimmt Bezug auf Luthers Schmähschrift gegen die Juden. Es ist Luthers Deutung jüdischer Theologie. R. Kessler, Professor für Altes Testament, erläutert das so: „Gemeint ist der heilige Gottesname, den Jüdinnen und Juden nicht aussprechen. Die Zusammenstellung des Gottesnamens mit der „Judensau“ ist also die schlimmstmögliche Beleidigung nicht nur des Judentums, sondern auch des Gottesnamens. Und das im Namen von Christen, die in ihrem Vaterunser beten: „geheiligt werde dein Name.“