Politische Berichte Nr. 6/2020 (PDF)05
Aktuelles – US Außenpolitik

Internationale Entwicklungen, die USA und die Nato – nicht Eigenheiten einzelner US-Präsidenten bestimmt den Kurs USA und Internationaler Strafgerichtshof (ICC) Welthandelsorganisation: vom Instrument des Westens zum Streitobjekt von Entwicklungsdiktaturen und traditionellen Kapitalmächten

USA und Internationaler Strafgerichtshof (ICC)

Ulli Jäckel, Hamburg

Am 5. März 2020 erklärte Fatou Bensouda, Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag (International Criminal Court, ICC), die Aufnahme von Ermittlungen über Verbrechen in Zusammenhang mit dem Krieg in Afghanistan. Diese betreffen nicht nur die Bürgerkriegsparteien, sondern auch im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen begangene Verbrechen in anderen Ländern. Sie sagte, dies sei ein wichtiger Tag für die Sache der internationalen Strafjustiz. „Die vielen Opfer der grausamen Verbrechen, die im Zusammenhang mit dem Konflikt in Afghanistan begangen worden sind, verdienen endlich Gerechtigkeit zu erhalten. Heute sind sie diesem ersehnten Ziel einen Schritt nähergekommen.“

Die Ermittlungen sind zeitlich nicht begrenzt und beziehen nicht nur die Taliban und die Streitkräfte der afghanischen Regierung mit ein, sondern erstrecken sich auch auf amerikanische Militär- und Geheimdienstangehörige.

Laut Bensouda gibt es Hinweise darauf, dass US-amerikanische Militär- und Geheimdienstangehörige in dem Konflikt gefangen genommene Menschen unter anderem gefoltert, misshandelt und vergewaltigt haben sollen. Zu vermeintlichen Kriegsverbrechen in mutmaßlich geheimen Gefangenenlagern der US-Streitkräfte außerhalb von Afghanistan darf die Anklage ebenfalls offiziell ermitteln.

Die US-Regierung verhängte daraufhin Sanktionen gegen Bensouda und ihre Mitarbeiter sowie deren Familien. Hatten die USA bereits im vergangenen Jahr, als Bensouda die Aufnahme von Ermittlungen beantragte, ihr Einreisevisum gestrichen, so bedrohen sie sie jetzt mit der Einfrierung ihrer Konten. US-Außenminister Pompeo bezeichnete den ICC als „durch und durch korrupte Organisation“ und warf ihm vor, „rechtswidrig Amerikaner seiner Gerichtsbarkeit zu unterwerfen“.

Bereits 2018 hatte der damalige Sicherheitsberater John Bolton mit Maßnahmen gegen Angehörige des Gerichts gedroht, sollten sie gegen US-Bürger ermitteln. Auch Unternehmen und Länder, die dies unterstützten, würden sanktioniert. Präsident Trump erklärte vor der UN-Generalversammlung im Herbst 2018, die USA würden den Gerichtshof nicht unterstützen, er habe „keine Rechtsprechung, keine Legitimation und keine Autorität“.

Hintergrund

Seit dem 1. Juli 2002 verfügt die Weltgemeinschaft über ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung schwerster Menschenrechtsverletzungen: den Internationalen Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag/Niederlande. Auf Beschluss der UN-Generalversammlung im Dezember 1997 kam im Juli 1998 eine Diplomatische Bevollmächtigtenkonferenz in Rom zusammen. Am 1. Juli 2002 hatten 60 von 120 unterzeichnenden Staaten das Statut ratifiziert. Heute haben von 137 Unterzeichnern des Statuts 123 ratifiziert. Trotz dieser überwältigenden und stetig wachsenden Zustimmung durch die Staatengemeinschaft gibt es weiterhin Länder, die die Zuständigkeit des ICC nicht anerkennen; darunter sind außer den USA Russland und China, Indien, Irak, Saudi-Arabien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan, Türkei, Syrien. Gemäß dem Römischen Statut, das am Ende eines vierjährigen Verhandlungsprozesses 1998 beschlossen wurde, fallen zurzeit vier Straftatbestände in den Kompetenzbereich des Internationale Strafgerichtshofs: Völkermord; Verbrechen gegen die Menschlichkeit; Kriegsverbrechen; Angriffskrieg (seit 10. Juni 2010)

Im Gegensatz zum Internationalen Gerichtshof (IGH), der über Streitigkeiten zwischen Staaten entscheidet, werden vom ICC Einzelpersonen zur Rechenschaft gezogen.

Juristisch gesehen ist der Internationale Strafgerichtshof allerdings nur komplementär zuständig. Das heißt, er kann dann angerufen werden bzw. Ermittlungen aufnehmen, wenn ein Land nicht fähig oder bereit ist, die auf seinem Territorium oder durch seine Bürger begangenen Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen und der Justiz zuzuführen. Der ICC ist ein unabhängiges Organ der Vertragsstaaten und nicht der Vereinten Nationen. Ein Vertrag zwischen den Vereinten Nationen und dem ICC regelt die Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat das Recht, dem ICC Fälle für Ermittlungen zuzuweisen. Darüber hinaus kann er in bestimmten Fällen Ermittlungen nach einem Sicherheitsratsbeschluss für die Dauer von einem Jahr aufschieben. Eine Verlängerung um jeweils ein weiteres Jahr ist möglich, bedarf aber eines eigenen Beschlusses. Die Unabhängigkeit des ICC wird insbesondere durch die starke Stellung des Chefanklägers ermöglicht, dessen Büro ein separates und administrativ unabhängiges Organ des Gerichts darstellt und der aus eigener Kompetenz Ermittlungen einleiten und Anklagen erheben kann. Auf diese Weise besteht auch für Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit, durch die Übermittlung von Informationen an den ICC schon im Vorfeld der Ermittlungen Einfluss auf die eventuelle Aufnahme von Strafverfolgungen zu nehmen.

Der Internationale Strafgerichtshof besteht aus 18 Richtern, welche aus unterschiedlichen Staaten Europas, Amerikas, Afrikas und Südostasiens stammen. Nach Ansicht des früheren deutschen Richters am ICC, Hans-Peter Kaul, verkündet der ICC die Botschaft: „Achtung Tyrannen, Kriegsherren und Kriegsverbrecher, ihr werdet verfolgt werden“. Und dies gilt trotz der eingeschränkten Möglichkeiten: „Der Internationale Strafgerichtshof wird am Anfang ein bescheidenes und kleines Gericht sein, unfähig, alle Kapitalverbrechen zu verhindern oder zu verfolgen, er wird unbequem und teuer sein, geschwächt durch die fehlende Kooperation bestimmter Staaten, vor allem der USA.“ Er wird aber auch „eine Klagemauer für die Opfer und die Unterdrückten“ sein, „ein Dokumentationszentrum für die schwersten Verbrechen, begangen irgendwo auf der Welt.“ Die Wirksamkeit der Arbeit des Gerichtshofes kann man daran ermessen, dass z.B. die australische Regierung jetzt eine Untersuchung über Kriegsverbrechen australischer Soldaten in Afghanistan anordnete, der zu einem Prozess gegen die Beteiligten vor dem australischen Bundesgericht führen wird. Laut Premierminister Morrison will sie damit verhindern, dass Australier vor dem ICC angeklagt werden. Noch 2017 hatte die Regierung versucht, Enthüllungen über die Verbrechen durch eine Polizeirazzia beim Fernsehsender ABC zu unterdrücken. Die Aufnahme von Ermittlungen durch den ICC hat hier offensichtlich etwas bewegt.

US-Souveränität über dem Völkerrecht?

Nachdem Präsident Clinton zu Ende seiner Amtszeit 2000 das Statut von Rom unterzeichnet hatte, zog George W. Bush die 2002 Unterschrift wieder zurück. Im August 2002 verabschiedete der US-Kongress dann den sogenannten „American Service-Members‘ Protection Act“ (ASPA), der es der US-Regierung verbietet, mit dem ICC zusammenzuarbeiten, und ihr grundsätzlich untersagte, Militärhilfe an Staaten zu leisten, die Partei des ICC-Statuts sind (Dies wurde inzwischen gelockert.). Zudem autorisiert das Gesetz den US-Präsidenten, alle notwendigen und angemessenen Mittel, einschließlich militärischer Gewalt, anzuwenden, um amerikanische Staatsbedienstete, die vom ICC oder in dessen Auftrag in Haft genommen oder zur Strafvollstreckung inhaftiert wurden, zu befreien. Da dies zumindest theoretisch auch die Befreiung amerikanischer Staatsbediensteter am Sitz des Gerichtshofs einschließt, wird das Gesetz landläufig auch als „The Hague Invasion Act“ bezeichnet. Um die Effektivität und Arbeitsfähigkeit des ICC zu untergraben, haben die USA über die Jahre zudem mehr als 100 Abkommen geschlossen, in denen sich die Vertragspartner der USA verpflichten müssen, keine US-Staatsbediensteten an den Gerichtshof zu überstellen. Treibende Kraft bei dieser Kampagne war schon damals John Bolton.

Nach dem Amtsantritt der Obama-Regierung im Jahr 2009 hatten die USA regelmäßig als Beobachter (mit entsprechenden Reden) an den IStGH-Konferenzen teilgenommen und einzelne Verfahren des IStGH konkret unterstützt.

Die jetzigen Maßnahmen der Trump-Regierung haben eine klare Botschaft: amerikanische Macht lässt sich mit den Mitteln des (Völker-) Rechts nicht einhegen. Sie sind, wie der ICC in seiner Stellungnahme feststellt, „präzedenzlos“ und stellten einen „ernsten Angriff“ gegen das Gericht, das System des internationalen Strafrechts und die Rechtsstaatlichkeit allgemein dar. Auch der Präsident der Versammlung der 123 Mitgliedstaaten des Strafgerichtshofs, O-Gon Kwon, wies die Sanktionen zurück. Kritisiert wurden die amerikanischen Sanktionen auch von den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und internationalen Menschenrechtsorganisationen.

Joe Biden äußerte sich auf Anfrage nicht, ob er als künftiger Präsident die Sanktionen gegen den Strafgerichtshof zurücknehmen werde. Allerdings hatte sich Biden nach „Panorama“-Recherchen schon 1998 gegen das Gericht ausgesprochen. Auch in seiner Zeit als Vizepräsident (2009 bis 2017) unterwarfen sich die USA nicht der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs.

Quellen, Links:

• https://www.geschichte-menschenrechte.de/fileadmin/editorial/download/roemisches_statut.pdf

• Bardo Fassbender https://www.bpb.de/apuz/26829/der-internationale-strafgerichtshof-auf-dem-weg-zu-einem-weltinnenrecht

• Gesellschaft für bedrohte Völker Menschenrechtsreport Nr. 85 – 2018 https://www.gfbv.de/fileadmin/redaktion/Reporte_Memoranden/2018/2018-07_Menschenrechtsreport_Internationaler-Strafgerichtshof_GfbV.pdf

• ICC – The Office of the Prosecutor: Report on Preliminary Examination Activities 2016 https://www.icc-cpi.int/iccdocs/otp/161114-otp-rep-PE_ENG.pdf

• Digitales Handbuch der Menschenrechtsarbeit der Friedrich Ebert-Stiftung – 22. Internationaler Strafgerichtshof (Stefan Herbst) – http://handbuchmenschenrechte.fes.de/home.html

• IV. Internationaler Strafgerichtshof: Harald Biskup, 2018 – https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/rechtjustiz/denhaag/strafgerichtshof.html

• Benjamin Dürr: Im Namen der Völker. Der lange Kampf des Internationalen Strafgerichtshofs. Edition Körber (Hamburg) 2016.

• Benjamin Dürr, Und bist du nicht willig – https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/und-bist-du-nicht-willig-4443/

• Stefan Talmon: Die USA unter Präsident Trump: Totengräber des Völkerrechts – https://verfassungsblog.de/die-usa-unter-praesident-trump-totengraeber-des-voelkerrechts/

• https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/toeteten-australische-soldaten-zivilisten-in-afghanistan

• https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-09/internationaler-strafgerichtshof-den-haag-usa-sanktionen-fatou-bensouda-kriegsverbrechen

• https://www.dw.com/de/kommentar-donald-trumps-angriff-auf-den-internationalen-strafgerichtshof/a-53786168

• https://www.nzz.ch/international/afghanistan-die-usa-zuernen-dem-internationalen-strafgerichtshof-ld.1546099

• Human Rights Watch. https://www.hrw.org/news/2019/03/15/qa-international-criminal-court-and-united-states; https://www.hrw.org/de/news/2019/03/27/usa-drohen-internationalem-strafgerichtshof

• Auswärtiges Amt zur Ankündigung der USA zu möglichen Sanktionen gegen IStGH-Mitarbeiter

• https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/us-sanktionen-istgh/2352464

• USA und Israel: Einig gegen den Internationalen Strafgerichtshof – 12. Juni 2020 Thomas Pany –

• https://www.heise.de/tp/features/USA-und-Israel-Einig-gegen-den-Internationalen-Strafgerichtshof-4782636.html

• Trump droht mit dem „zivilen Tod“ – vonClaus Kreß

• https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/donald-trump-strafgerichtshof-zivilen-tod-afghanistan-13815134.html

• „Angriff“ gegen Gericht : Strafgerichtshof weist amerikanische Sanktionen zurück Von Thomas Gutschker, Brüssel, 03.09.2020

• https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/einschuechternde-handlungen-internationaler-strafgerichtshof-weist-amerikanische-sanktionen-zurueck-16936399.html

• Dr. Mayeul Hiéramente Der nächste Affront – Die USA und der IStGH – 13.09.2018

• https://dgvn.de/meldung/der-naechste-affront-die-usa-und-der-istgh/

• Strafgerichtshof: Endlich Gerechtigkeit für CIA-Opfer? von Armin Ghassim, Jonas Schreijäg

• https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2020/Strafgerichtshof-Endlich-Gerechtigkeit-fuer-CIA-Opfer,strafgerichtshof100.html

• https://m.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/180707/themengrafik-der-internationale-strafgerichtshof

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