Politische Berichte Nr. 6/2020 (PDF)11a
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Die IAA macht sich in München breit – Stadt will Blue Lane etablieren

Aus der Arbeit des Bezirksausschusses München Au-Haidhausen

Jürgen Fischer, München

In den Jahren 2021, 2023 und 2025 soll jeweils eine Woche vor dem Oktoberfest die Internationale Automobilausstellung (IAA) auf dem Messegelände im äußeren Münchner Osten stattfinden. Das Konzept sieht ergänzend vor, Teile des öffentlichen Raumes in der Innenstadt als Eventmeile für Werbeveranstaltungen im Rahmen von Messen und Ausstellungen zu beanspruchen. Damit reicht die Zielsetzung vermutlich über die IAA hinaus. Als infrastrukturelle Maßnahme hat der Stadtrat Eingriffe in die Straßennutzung beschlossen, die den Transfer von der Messe in die Innenstadt beschleunigen sollen. Zur Umsetzung sind auch Sonderbedingungen für den Individualverkehr vorgesehen. Gegen das Stattfinden der IAA haben zahlreiche Umweltverbände an OB Reiter (SPD), die Zweite Bürgermeisterin Habenschaden (Grüne) und deren Stadtratsfraktionen einen offenen Brief unterzeichnet. (1)

Der Planung nach sollen auf einer reservierten Fahrspur für Shuttle-Busse, Zero-Emission- und Car-Pooling-Fahrzeuge Aussteller*innen und Besucher*innen freie Fahrt in zwölf Minuten von der Messe zu Show-Veranstaltungen mitten ins Stadtzentrum haben. Die U-Bahn benötigt für die gleiche Strecke dreiundzwanzig Minuten. Das setzt eine mehr als nur zügige Fahrweise individueller Verkehrsmittel voraus und schreit geradezu nach einer entsprechenden Ausgestaltung. Der im Frühjahr 2020 neu gewählte Bezirksausschuss Au-Haidhausen forderte auf Initiative der Linken die Stadtverwaltung auf, die Einrichtung von sogenannten Blue Lanes im Rahmen der IAA zu unterlassen. Denn bereits jetzt ist sicher, dass die Auswirkungen für die Haidhauser Wohnbevölkerung deutlich sein werden – und nicht nur für sie. Haidhausen ist ein Stadtteil am östlichen Rand der Innenstadt. Im Jahr 2021 soll ein Pilotversuch laufen, eine Umschreibung dafür, wie die Stadt München Tatsachen schaffen will und, nach Lage der Dinge, auch wird, die für spätere Wiederholungen und Anlässe die Blaupause liefern. Der Stadtratsbeschluss für die Sonderspur mitsamt dem ganzen Drum und Dran wurde mit Zustimmung der SPD, CSU und einer indifferenten Position der Grünen, die für später so gut wie alles offen hält, im Stadtrat durchgewunken. Die Grünen stellen dort vor der CSU und SPD die stärkste Fraktion. Die Linke stimmte dagegen.

Als Ausweichstrecke der für das Sonderspurprojekt in Frage kommenden Straßen soll eine Route ausgewiesen werden, die massiv zusätzlichen Verkehr u.a. durch Wohngebiete lenken wird und damit die Belastungen und Gefährdungen der Anwohner noch weiter steigert, als ihnen ohnehin schon zugemutet wird. Der Antrag der Linken im Bezirksausschuss greift auch auf, dass die zuständigen Bezirksausschüsse zu dem Projekt nicht angehört wurden. Der Stadtrat behandelte die Maßnahme vorsichtshalber unter Ausschluss der Öffentlichkeit und die Regierung des Bezirks Oberbayern als Rechtsaufsichtsbehörde teilte mit, dass es am gesamten Vorgehen der Stadt München nichts auszusetzen gebe (3). Martin Koers, einer der Geschäftsführer des VDA war bei einem Besuch in München zufrieden und erklärte entspannt: „Wir wollen gemeinsam mit der Stadt und den Bürgern München weiterentwickeln und etwas hinterlassen, ähnlich wie bei der Bundesgartenschau.“ (2) Der Mann muss es ja nicht ausbaden.

Oberbürgermeister Reiter, vertreten durch das Referat für Arbeit und Wirtschaft, zeigte sich in der Antwort an den Bezirksausschuss dafür umso entrüsteter. Die IAA 2021 solle mit einem komplett überarbeiteten Konzept als global führende Plattform der Mobilität etabliert werden. Zunächst wird beschrieben, dass eine Verbesserung der Direktverbindung per ÖPNV (verschiedene U-Bahnlinien) zwischen dem Messegelände und dem Odeonsplatz in der Innenstadt überprüft werden soll. Weiterhin sei im Ticket auch der Eintrittspreis für die Ausstellung enthalten. Das würde zu einem erwarteten „Modal-Split“ (Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel, J.F.) von fünfzig Prozent führen. Dem verbleibenden PKW-Transfer begegne man mit der Konzeption einer Blue Lane.

Das Referat für Arbeit und Wirtschaft zieht alle Register der Vernebelung, um zu zerstreuen, was sich an Erkenntnissen über die Nutzung dieser Blue Lane anbahnt. Keinesfalls sei an eine exklusive VIP-Spur gedacht, die den normalen Verkehr aussperrt und einige wenige bevorrechtige. Genau das Gegenteil sei der Fall. „Gerade auch vor dem Hintergrund, dass sich die neue IAA als führende Plattform der Mobilität etablieren will, (wird) eine neue Konzeption erarbeitet: separate Spuren für innovative Verkehrsträger (Shuttle-Busse, Zero-Emission-Fahrzeuge mit mindestens zwei Fahrgästen). Vorlage und Antrag (des Stadtratsbeschlusses, d. Verf.) sprechen daher ausdrücklich von nachhaltigen Verkehrskonzepten und abgasfreien Antriebsformen. Damit reiht sich das Vorhaben in geplante Pilotprojekte zur Untersuchung und Realisierung von HOV Lanes (High-occupancy vehicle lanes) und sogenannte Umweltspuren ein, die derzeit von der Verwaltung zusammen mit weiteren Projektpartnern beantragt werden, und die eine Realisierbarkeit solcher Spuren prüfen sowie die Auswirkungen derartiger Spuren hinsichtlich verkehrlicher Wirkungen und Verkehrssicherheit untersuchen. Die Blue Lane soll dabei umfangreich mit untersucht und evaluiert werden. Damit soll die Blue Lane ausdrücklich nicht exklusiv für die Messe bzw. Aussteller und Messebesucher zur Verfügung stehen.“ (3)

Die Stadt München als Werbeagentur des VDA. Es ist schon dreist ohne Ende, den Bewohnern einer Millionenstadt die bevorrechtigte Verkehrslenkung des Individualverkehrs für wenige durch dicht bebaute Wohngebiete mit Seniorenheim, Friedhof, Jugendhaus, Kindergärten und Ladengeschäften als Vorteil verkaufen zu wollen. In früheren Zeiten hießen privilegierte Fahrspuren dieser Art für die Reichen und Mächtigen auch „Kremlspuren“ – nach einer lang geübten Praxis in Moskau. Das wird auch als abgasfreie Neuauflage nicht besser. Schon jetzt ist absehbar, dass die Bezirksausschüsse letzten Endes über das mitreden sollen, was sie gar nicht haben wollen.

(1) https://www.sueddeutsche.de/muenchen/iaa-muenchen-umweltverbaende-kritik-beschluss-1.4908116

(2) Süddeutsche Zeitung online v. 24. September 2020: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-iaa-planung-fragen-1.5043705

(3) Referat für Arbeit und Wirtschaft der LH München vom 2.10.2020

Abb. (PDF): Demofoto