Politische Berichte Nr. 6/2020 (PDF)14a
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Fairwandel

Bruno Rocker, Berlin.

Anfang November trafen sich erneut die Kanzlerin sowie weitere Mitglieder der Bundesregierung mit Vertretern aus der Automobilbranche, der IG Metall und aus der Wissenschaft zusammen. Teilgenommen haben erneut auch die Ministerpräsidenten der Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Die IG Metall bewertet die Ergebnisse als Erfolg, hat sie doch diesmal tatsächlich für die Beschäftigten der Branche einige wichtige Anliegen durchsetzen können. Es ging um deutlich mehr als nur um die Verlängerung der Kaufprämien für E-Autos bis 2025 und ein Austauschprogramm für schwere Nutzfahrzeuge. Verhandelt wurde über die Unterstützung der Transformation in der Automobilbranche insgesamt sowie die Stärkung der Wertschöpfungsketten.

Transformation und Zulieferer

Die Transformation zum Elektroantrieb wirft nicht nur bei den großen Autoherstellern alles um. Von der Zulieferindustrie (oft nur kleine oder mittelgroße Betriebe) erwarten die Autohersteller einerseits Investitionen für schnellstmögliche Entwicklung neuer Produkte und entsprechende Umstellung der Produktion, andererseits jedoch auch die Bewahrung der Kernkompetenz für Verbrennungsmotoren. Teile für Verbrenner und Hybride werden schließlich weltweit noch Jahrzehnte nachgefragt werden. Dieser Spagat ist für einen kleineren Betrieb schon unter normalen Bedingungen eine Belastung. Unter den Bedingungen der Corona-Krise jedoch, in der gleichzeitig der Absatz dramatisch einbricht, Aufträge und somit Umsatz also ausbleiben, das Eigenkapital dahinschmilzt, ist die Situation kaum mehr zu bewältigen. Einige Zulieferer versuchen derzeit, ihre Produktion in Billiglohnländer zu verlagern, andere bauen Beschäftigung ab oder sie schließen ganz. Gefährdet sind akut ca. 300 000 Beschäftigte in rund 1.800 Zulieferbetrieben. Es geht der IG Metall um den Erhalt dieser Arbeitsplätze und die Existenz der betroffenen Familien.

Um die anstehende Transformation bei den Zulieferbetrieben auch unter Krisenbedingungen zu stemmen und zu gestalten, hat die IG Metall für den Auto-Gipfel Vorlagen für ein strategisches Maßnahmenbündel entwickelt. Die folgenden Elemente konnten durchgesetzt werden.

Transformationsfonds:

Hierzu hat die Bundesregierung den Vorschlag aufgenommen, einen „Zukunftsfonds Automobilindustrie“ aus Fördermitteln einzurichten und hierfür zusätzlich eine Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen. Der Transformationsfonds soll nach Auffassung der IG Metall sowohl staatliches als auch privates Kapital zur Eigenkapitalstützung für Zulieferer zur Verfügung stellen und dadurch die finanzielle Lage stabilisieren, die Unternehmen vor Insolvenzen sichern und Chancen für Innovationen und Investitionen in neue Geschäftsmodelle und die hierfür notwendigen Investitionen in Entwicklung, Sachanlagen und Qualifikation ihrer Beschäftigten eröffnen. Der Fonds soll zudem auch durch die Bundesländer finanziell unterstützt und durch einen Expertenrat begleitet werden, dem auch die IG Metall angehören wird.

Best Owner Group (BOG):

Der Vorschlag der IG Metall wird seitens der Bundesregierung mit folgender Formulierung übernommen:

„Um die teilweise angespannte Finanzierungssituation von Zulieferunternehmen zu verbessern, können privatwirtschaftlich aufgesetzte Fonds – wie etwa Best Owner Group Funds – mit Eigenkapitalzuschüssen und Know-how eine sinnvolle Unterstützung sein. Der Bund begrüßt entsprechende Initiativen und kann im Einzelfall mit dem bestehenden Bürgschaftsinstrumentarium die Fremdkapitalaufnahme absichern.“

Das ist eine wirklich wertvolle Zusicherung und schafft Perspektiven für die Beschäftigten. Die IG Metall hatte im Vorfeld des Gipfels erläutert, dass es bei dem Vorschlag „Best Owner Group“ (Beste Eigentümer-Gruppe) um Mehrheitsbeteiligungen bzw. auch Übernahmen von Zulieferbetrieben geht, die am Verbrenner hängen und die sich absehbar verkleinern müssen, da sie keine Produktalternativen haben. Diese Geschäftsmodelle funktionieren, denn selbst wenn der Verbrenner irgendwann einmal Geschichte sein sollte, gibt es noch über viele Jahre hinweg einen nachlaufenden Ersatzteilbedarf.

Mit dem Kapital aus Pensionskassen, Versicherungen und weiteren Unternehmen, die im Rahmen dieses Modells bei der Eigentümer-Gruppe einsteigen, werden die Zulieferer bis zum Auslaufen der Produktion von Verbrennerteilen professionell begleitet.

Die Betriebe bleiben in aller Regel gewinnbringend, denn viele Gemein- und Entwicklungskosten sowie Neuinvestitionen fallen weg.

Regionale Transformationscluster:

Auch dieser Vorschlag der IG Metall wird umgesetzt. Es werden zunächst 200 Millionen Euro aus dem im Frühjahr beschlossenen Konjunkturpaket jetzt für die Erarbeitung regionaler Transformationsstrategien zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus stehen für die konkrete Förderung von Investitionen in nachhaltige Produkte und Prozesse insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen 1,8 Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket zur Verfügung. Weitere 95 Millionen Euro stehen im Rahmen eines neu aufgelegten Bundesprogramms zusätzlich für regionale Qualifizierungscluster zur Verfügung. Mit diesem Baustein wird die notwendige Weiterbildung für Beschäftigte und Unternehmen weiter gestärkt. Die schon bestehende Förderrichtlinie wird damit materiell aufgestockt und soll erweitert werden.

Der IG Metall geht es dabei um präventive Strukturpolitik für jene Regionen, die überdurchschnittlich stark von Zulieferbetrieben geprägt sind. Die laufenden grundlegenden Umstellungen sind nämlich mit der Gefahr verbunden, dass erfolgreiche und eingespielte Automobilcluster aus Zulieferern, Dienstleistern, Forschungseinrichtungen und Herstellern zerstört werden – mit gravierenden Folgen für Wertschöpfung und Beschäftigung in diesen Regionen. Hier müssen deshalb betriebliche und regionale Akteure kooperieren und Wege finden, wie Industriearbeit neu kombiniert und gesichert werden kann, so dass vermieden wird, dass solche Regionen zu Armutsregionen mutieren.

Transformation und Klimaschutz

Der Vorschlag der IG Metall, als Brücke in die Ära der elektrisch getriebenen Mobilität neben Elektroautos auch einen Austausch von alten Verbrennern mit Euro 3 bzw. Euro 4 Norm durch moderne emissionsarme Verbrenner-Fahrzeuge (Euro 6d) durch eine entsprechende Kauf- oder Umweltprämie zu fördern, ist bekanntermaßen gescheitert. Auch das Argument, dass dadurch die Umstellung erleichtert und dennoch eine schnelle und deutliche CO2 Reduktion (etwa 43 Prozent) erreichbar sei, half nichts.

Verbrenner gelten inzwischen als überholt, haben einen schlechten Ruf. Verbrenner sind die Klimakiller, heißt es. Das mit Batterie ausgestattete E-Auto hingegen wird als umweltgerecht und klimaneutral und deshalb als förderungswürdig vermarktet. Aber ist das auch zutreffend?

Genaugenommen nein! Faktoren wie Batterieproduktion, Strommix, und der Verbrauch von Rohstoffen verhageln die Ökobilanz der Stromer. So stellt neben zahlreichen Studien, die oft zu abweichenden Urteilen kommen, nunmehr auch der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in seiner aktuellen Studie „Ökobilanz von Pkws mit verschiedenen Antriebssystemen“ fest:

„In Anbetracht der kompletten Wertschöpfungskette sind moderne Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren heute oft noch schadstoffärmer als Elektrofahrzeuge.“

Damit ist gemeint, dass im Vergleich der ökologischen Gesamtbilanz über den gesamten Lebenszyklus der Fahrzeuge hinweg die Stromer frühestens erst nach ca. 120 000 km Fahrleistung, einige auch erst nach 250 000 km Fahrleistung (je nach Fahrzeugtyp) besser abschneiden, also in ihrer Gesamtbilanz weniger CO2-Emissionen vorweisen können als der moderne Verbrenner. Solange sind manche Fahrzeuge allerdings gar nicht im Betrieb. Wenn man dann noch in Betracht zieht, wie und unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen in Bolivien das Lithium und im Kongo Kobalt für den notwendigen Akku gewonnen wird, dann trifft die Kennzeichnung „schmutzige Energie“ eher den Stromer als den modernen Verbrenner. Aus Sicht des Klimaschutzes und der Umweltverbände bleibt das Ergebnis unbefriedigend. Die folgenden Themen, die einer besseren Umwelt-Bilanz der batteriegetriebenen Fahrzeuge entgegenstehen, lassen sich aus der Studie des VDI herausfiltern:

● deutlich zu hoher Energie- und Materialaufwand in der Produktion

● Mangel an einem erfolgreichen und energiesparenden Batterierecycling

● Belastung durch kohlelastigen Strommix bei der Batteriezellenfertigung

● Belastung durch kohlelastigen Strommix beim Betrieb der Fahrzeuge

Bei der Zusammensetzung des Strommixes hierzulande (Anteil Kohleverstromung) gibt es jedoch interessante Entwicklungen. Ältere deutsche Kohlekraftwerke liefen schon im letzten Jahr zunehmend auf Sparflamme, weil sie keine Gewinne mehr einfuhren. Günstige Solar- und Windenergie sowie das Europäische Emissionshandelssystem zeigten Wirkung. In diesem Jahr ist die Kohle nicht wettbewerbsfähiger geworden. Das Zeitalter der Kohle-Verstromung scheint vorbei. Die Vereinbarungen über den Kohleausstieg werden angesichts dieser Entwicklung immer fragwürdiger. 4,35 Milliarden Euro sollen die Konzerne RWE und LEAG als Entschädigung für die Schließung ihrer Kraftwerke erhalten, obwohl diese Schließungen wegen fehlender Wirtschaftlichkeit ohnehin anstehen. Diese Entwicklung verlangt nach einer Neubewertung des Kohleausstiegs.

Und düster muss es durch die Schließung der Kohlekraftwerke auch nicht werden. Leistungsstärkere Windräder könnten, einer neuen Studie des Bundesverbandes Windenergie vom November dieses Jahres zufolge, die Stromerzeugung allein auf den bisher schon genutzten Flächen in Deutschland bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Werde die Gesamtfläche für Windräder auf 2 Prozent des Bundesgebiets verdoppelt, ließe sich die Erzeugung sogar auf 500 Terawattstunden (TWh) erhöhen, schreiben die Autoren der Studie. Rechnet man die Planungen über Strom aus Windrädern auf See hinzu, könnte rechnerisch der gesamte deutsche Stromverbrauch mit Windenergie mehr als gedeckt werden. Moderne Windräder produzieren heute 10-mal so viel Strom wie die früheren Anlagen.

In Sachen “veränderter Strom Mix“ für den klimagerechten Betrieb von Elektroautos ließe sich also etwas machen, so man denn will.

Transformation und Mobilität

Nicht nur der Verbrenner, das Automobil schlechthin, ob mit Dieselkraftstoff oder Wasserstoff bzw. elektrisch angetrieben – der Ruf des Automobils ist beschädigt. Mehr noch: Die IG Metall, von Autogegnern oft mit Konzernen wie VW, Daimler und BMW in einer Reihe aufgeführt, gilt ihnen als Bestandteil einer Leitindustrie, die jüngst eine Niederlage im Kampf für eine generelle Kaufprämie erlitten habe, die sie, die IG Metall, als historisch empfinden wird müssen. Die Kritik an der IG Metall lautet: Sie renne zusammen mit den Autokonzernen in die „Sackgasse der individuellen Mobilität“.

Welche Empfehlungen für die Verkehrswende kommen aus den Kreisen der Autogegner?

Genannt werden oft: Busse, Kleinbusse, Großraum-Autos, Robocabs (autonom fahrende Taxen). Das Geschäftsmodell: Statt Verkauf von Autos tritt das Angebot der Bereitstellung von Fahrleistung.

An der Übernahme solcher Ideen durch die Bevölkerung darf gezweifelt werden, auch wenn Verkehrsprobleme vorwiegend in den Metropolen durch Überlastung und Staus nicht zu leugnen sind. Falsch wäre jedoch, die Experimentierfreudigkeit und den Erfindungsreichtum der Leute zu unterschätzen. Viele sind in den letzten Monaten, getrieben auch durch die Bedingungen der Pandemie, aufs Fahrrad gestiegen.

Inzwischen werden auch Elektroroller z. B. als zeitgemäße Vespa oder Schwalbe verstärkt nachgefragt. Vornehmlich Bewohner in den Innenstadtbezirken haben sich oft ein Lastenfahrrad mit Elektroantrieb zugelegt und fahren damit ihre Kinder zur Kita oder organisieren damit den Einkauf. Einige sind mit den elektrischen Scootern unterwegs.

Auffällig ist jedoch – die Leute haben deshalb keinesfalls ihr Auto abgeschafft. Das Auto bleibt oft alternativlos bei größeren Entfernungen. Sie betrachten die zusätzlichen Verkehrsmittel als willkommene Ergänzung. Sie schätzen den ÖPNV, aber sie lieben Möglichkeiten der individuellen Mobilität.

Abb. (PDF): Individualverkehr, Neapel, 1954, Postklarte, aus der Sammlung des Autors.