Politische Berichte Nr. 6/2020 (PDF)17b
Gewerkschaften/Soziale Bewegungen

Saisonbeschäftigung und Arbeitsmigration – DGB-Forderungen an die europäische Ebene

Rolf Gehring, Brüssel

In einer Bestandaufnahme zu seinen Forderungen für Saisonarbeitskräften und andere Wanderarbeiter stellt der DGB fest, dass mobile Arbeitnehmer während der Covid-19-Pandemie besonders leiden und am wenigsten geschützt sind. Der Definitionsversuch des DGB, der unter „mobilen Arbeitnehmern“ Menschen versteht, „die nur vorübergehend in einem anderen Land arbeiten und ihren Lebensmittelpunkt nicht oder noch nicht in das Zielland verlegt haben“, mag zwar etwas sperrig sein und eventuell auch mit „mobiler Arbeit“ vermengt werden, erlaubt aber auch die vielen Beschäftigung- und Ausbeutungsformen (siehe auch S.18), wie etwa die Arbeitnehmerüberlassung über Briefkastenfirmen, (Schein-Selbständigkeit oder Kettenentsendung zusammenzufassen, die oft in einen unklaren Beschäftigungsstatus, fehlenden Versicherungsschutz und andere prekäre Lebenslagen münden. Zusätzlich zu schlechten Arbeitsbedingungen und den häufig elenden Löhnen sind die solcherart Beschäftigten oft isoliert und haben keine Ressourcen, um ihre Anliegen zu artikulieren. Der DGB hat diesbezüglich ein Maßnahmenpaket formuliert, das auf europäischer Ebene ergriffen werden soll. Prioritäre Punkte:

Unterkünfte: Die Unterbringung von Saisonbeschäftigten und Wanderarbeitern hat sich als ein eignes Feld der Ausbeutung etabliert, ermöglicht die Aushebelung von Mindestlöhnen und führt häufig zu völlig unhygienischen Lebensbedingungen. Entkommen ist kaum möglich, da die Unterbringung häufig mit dem Arbeitsvertrag gekoppelt ist. Der DGB fordert eine rechtlich verbindliche EU-Initiative zu Unterkünften für mobile Arbeitnehmer (Größe der Unterkünfte, Sanitäranlagen und Zimmerbelegung, sowohl bei Unterbringung auf dem Betriebsgelände als auch „privat“). Bezug wird dabei auch auf die Richtlinie für Saisonarbeitnehmer aus Drittstaaten (2014/36/EU) genommen.

Sozialversicherungsschutz: Hier geht es insbesondere um die völlig unzureichende Praxis bei der Feststellung des Sozialversicherungsstatus der Beschäftigten, die mit der sogenannten A-1-Bescheinigung von den Behörden bescheinigt wird. Kontrollen und Nachvollziehbarkeit von Angaben sind schwierig, bei fehlenden Unterlagen können diese nachgereicht werden, der tatsächliche Arbeitsbeginn bleibt dann oft im Dunkeln und manche Staaten reduzieren für Arbeitnehmer im Ausland die Abgabenhöhe, um einen Konkurrenzvorteil am Arbeitsmarkt zu erzielen. Auch die Möglichkeit sozialversicherungsfreier (kurzfristiger) Beschäftigung wirkt negativ. Gefordert wird insbesondere ein schneller Abschluss der derzeit im Revisionsprozess befindlichen Richtlinie zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme und eine diesbezügliche Durchführungsverordnung; vor allem klarere Regelungen für die A-1-Bescheinigung. Dazu die Abschaffung sozialversicherungsfreier Beschäftigungszeit als auch der „Sozialversicherungsrabatte“.

Vermittlungsagenturen: Der Mark für die Vermittlung von Beschäftigten ins In- und Ausland durch private Vermittler (vielfach für hohe, monatlich zu zahlende Gebühren) ist weitgehend ungeregelt und ein weites Feld für Missbrauch. Gefordert wird ein europäischer Rechtsakt auf Basis des ILO-Übereinkommens 181 (Übereinkommen über private Arbeitsvermittlung). Die Kosten soll der Arbeitgeber tragen, die Beschäftigten sollen Mindestinformationen zu Arbeitsbedingungen, Sozialversicherungsschutz, Unterbringung oder den Arbeits- und Gesundheitsschutz erhalten. Informationen sollen in einer Sprache vorliegen, die der Beschäftigte versteht.

Unklare Arbeitsvertragsparteien: Beschäftigte wissen oft nicht, für wen und in welcher Art von Beschäftigungsform sie im Ausland arbeiten (Subunternehmerketten). Die zügige Umsetzung der europäischen Richtlinie zu transparenten und verlässlichen Arbeitsbedingungen wird gefordert; wie die Aushändigung des schriftlichen Arbeitsvertrages vor der Abreise sowie die Aufhebung der Möglichkeit, Arbeitnehmer bei einer Beschäftigung von unter vier Wochen von Schutzmaßnahmen auszunehmen. Zusätzlich soll Unterauftragsvergabe auf drei Stufen beschränkt werden, die Beschäftigten einen Rechtsanspruch auf arbeitsrechtliche Beratung erhalten, ein diesbezügliches Netz von Beratungsstellen aufgebaut werden. Zusätzlich werden EU-weit koordinierte Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung gefordert. Kontrollen sollen durch eine bessere Ausstattung der Arbeitsinspektorate und eine Zuständigkeit der Europäischen Arbeitsbehörde geleistet werden, den Gewerkschaften ein Verbandsklagerecht eingeräumt werden. – Die Gesamten Forderungspakte können sich allerdings auch auf eine ausgebaute Diskussion der europäischen Gewerkschaftsverbände, teils aber auch auf eine gewisse Neuorientierung in der Rechtssetzung der EU stützen.

Quelle: Ausbeutung im Bereich der Saisonbeschäftigung und temporären Arbeitsmigration | DGB