Politische Berichte Nr. 6/2020 (PDF)20
Rechte Provokationen – demokratische Antworten

Redaktionsnotizen Leseempfehlung Soares Frank Walter – Eine RetrospektiveHamburg: Erfolgreiche Klage gegen Racial ProfilingMünchen: AfD scheitert mit Polemik gegen öffentliche Einrichtungen

Redaktionsnotizen.

Redaktionsnotizen. Zusammengestellt von Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

01„Recht gegen rechts: Report 2020“ – eine Buchempfehlung.

02 Auf Youtube mit Eingabe „Recht gegen rechts“

03 Der Leitantrag des Sozialparteitags der AfD – völkisch sowie neoliberal.

04 Instrumentalisierung von Kindern durch „Querdenken 711“ verhindern.

05 Kinderbuchautorin lehnt Preis des Vereins Deutscher Sprache ab.

01

„Recht gegen rechts: Report 2020“ – eine Buchempfehlung. 44 Juristinnen und Juristen analysieren hier die wichtigsten rechtlichen Auseinandersetzungen mit rechtsextremer und rassistischer Gewalt seit 2019. Fachleute für Öffentliches Recht sowie Europa-, Völker- und Migrationsrecht, Opferanwält:innen im NSU- und im Halle-Prozess, Vorsitzende von Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sind ebenso vertreten wie der Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights.

Der Report stellt fest: Rassistische, homophobe, revisionistische Ressentiments treten immer schamloser auf, die Rechten verschieben die Grenzen des Sagbaren weiter, nutzen das Recht für ihre Zwecke. Die Prozess-Dokumentationen verstehen sich als wichtiger Schritt dazu, sich besser wehren zu können.

Erfolgreiche Gegenstrategien werden gezeigt, um zivilgesellschaftliche Kräfte beim Kampf gegen rechtsextreme Tendenzen zu unterstützen. Einer kritischen Öffentlichkeit wird großer Wert beigemessen. Das Vorwort stammt von Gerhart Baum (FDP). Der Report soll jährlich erscheinen. – Die Herausgeber laden zur Einsendung von solchen rechtlichen Entscheidungen ein, die bislang noch nicht die öffentliche Beachtung erlangt haben, die sie verdienen – am besten mit einer E-Mail an recht_gegen_rechts@posteo.de. Recht gegen rechts: Report 2020. Hrsg. Nele Austermann u.a., Fischer-Verlag, Frankfurt a. M., 2020, 14 Euro.

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Auf Youtube mit Eingabe „Recht gegen rechts“: Mit dem Mitherausgeber dieses Buchs, Dr. Ronen Steinke, Jurist und Journalist und Autor Dr. Mehmet Daimagüler, u.a. Opferanwalt im NSU-Prozess, diskutierte die Bundessprecherin der VVN-BdA Conny Kerth:

Dr. Steinke stellt enthemmten Rechtsextremismus fest und will die Debatte darüber anregen, welche Instrumente dagegen genutzt werden können.

Wenn Polizeikräfte in Chats NS-verherrlichende Dinge posten, werde das normalerweise in einer Untersuchung gegen ihr sonstiges Dienstverhalten abgewogen und damit relativiert. Die zentrale Frage müsse aber sein: „Zerstört dieses Verhalten Vertrauen?“ Wie im Privatrecht, wenn Beschäftigten bei Diebstahl gekündigt wird, müsse Vertrauensbruch als gleiches Prinzip angewendet werden. Keiner traue solchen Beschäftigten noch zu, dass sie den Rechtsstaat vertreten. Der Diskursrahmen verschiebe sich durch Diffamierungen von rechts noch stärker in eine autoritäre Richtung, Tätigkeiten zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, (z.B. Flüchtlingshilfe) würden schrittweise delegitimiert, fänden in repressiven Gesetzesentwürfen Niederschlag. Ein Urteil wie das des Richters am Landgericht Gießen, der die NPD-Parole „Migration tötet“ sanktionierte, mache die Einmischung der Öffentlichkeit dringend nötig.

Stärkerer gesellschaftlicher Druck für die Aufklärung der rassistischen Morde sei erst zu beobachten, nachdem W. Lübcke und Polizeibeamte als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft erschossen wurden, was ein Licht auf Alltagsrassismus in der Gesellschaft werfe.

Zur Frage: „Wie geht das Recht mit einer Gesellschaft um, die divers ist?“ antwortet er, die Bedrängten seien für Änderungen mit einzubeziehen. Vergehen gegen Menschenrechte müssten mindestens gleichwertig behandelt werden wie Eigentumsdelikte. „Diese Wut, das Eigentum zu schützen, brauchen wir auch für die Menschen“. Als Vorbild sieht er (nur in diesem Bereich!) das amerikanische Recht, bei dem der Strafrahmen bei Diskriminierung aus gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hochschnelle.

Dr. Daimagüler unterrichtet an einer Berliner Universität (Polizei-)Beamt:innen in Grund- und Menschenrecht – überwiegend junge Leute verschiedener Kulturen und Herkunft, die sich auf ihren Beruf freuen, jedoch in ihrem späteren Berufsleben nichts mehr über die Anwendung der Menschenrechte erfahren.

Er tritt für regelmäßiges Grund- und Menschenrechtstraining als obligatorische Fortbildung ein, damit Beamtinnen und Beamte aus ihren Wahrnehmungstunneln herauskommen und einen Resonanzboden im Austausch mit anderen erhalten als wirksames Instrument, der verbreiteten Praxis des Racial Profiling und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust in Staatsorgane entgegen zu wirken.

Er fordert auch, Kritik am Polizeiapparat differenziert zu üben. Rechtes Gedankengut verbreiteten nur wenige Polizei-Beschäftigte, die meisten machten ihren Job gut.

Seiner Wahrnehmung nach wächst bei jüngeren Staatsanwält:innen und Richter:innen das Verständnis für politische Taten. Er berichtet von Verfahren, in denen der Nebenanklage Raum gegeben wird und in denen z. B. antiziganistische Tatmotive vollständig gewürdigt wurden, in denen Verständnis von Pluralität und Menschenwürde herrsche.

03

Der Leitantrag des Sozialparteitags der AfD – völkisch sowie neoliberal. Im verabschiedeten Leitantrag wird die Rentenpolitik der AfD zentral mit einer geburtenfördernden Familienpolitik verbunden. „Eine Steigerung der Geburtenrate auf ein bestandserhaltendes Niveau von 2,1 Kindern pro Frau ist die einzige Möglichkeit zur Stabilisierung und zum Erhalt unserer Sozialsysteme, aber auch zur Bewahrung unserer Kultur und zum Fortbestand unseres Volkes. …“ (Seite 6) „Zuwanderung ist keine Lösung“, (Seite 8) „Die demografische Situation in Deutschland wird oft als Argument für eine massive Zuwanderung verwendet. Laut … der UN müssten jährlich 3,4 Millionen Migranten einwandern, um den für die Rentenversicherung so wichtigen Altersquotienten konstant zu halten. … (und) die Migranten müssten das gleiche Durchschnittseinkommen aufweisen, wie die deutsche Bevölkerung. In der Vergangenheit erfolgte demgegenüber eine massive Zuwanderung von Geringqualifizierten, die die Sozialsysteme zusätzlich belasten … Unabhängig von den reinen quantitativen Betrachtungen müssen bei (diesen) Zuwanderungszahlen aber natürlich auch die kulturellen und zivilisatorischen Änderungen berücksichtigt werden, die durch Migration verursacht werden und bereits heute unser Land spürbar verändern.“ Der Schwerpunkt Familienpolitik bildet einen Kompromiss zwischen der Position des „solidarischen Patriotismus“ (AfD Thüringen, Höcke – umlagefinanzierte Rente auf Kosten der privaten Vorsorge) und der neoliberalen Position (hauptsächlich kapitalgedeckte Finanzierung der Rente). Renten-Regelalter, Rentenniveau, steuerfinanzierte Grundrente, Beitragsbemessungsgrenze bleiben ungeklärt. Die AfD könnte aber mit der Rückzahlung bzw. Freistellung von Rentenbeiträgen in Höhe von 20 000 Euro für jedes Kind und eine Zahlung von 100 Euro je Monat für jedes Kind bis zum 18. Lebensjahr bei Familien und abhängig Beschäftigten punkten. (Seite 18)

Quelle: Berichterstattung von Dr. Gerd Wiegel Referent der Fraktion Die Linke für Rechtsextremismus/ Antifaschismus über die AfD im Bundestag). Alle Seitenangaben beziehen sich auf den beschlossenen AfD-Leitantrag Sozialpolitik,

J. Meuthen, ID-Fraktion im EU-Parlament: (21.11.2020) „Wir sprechen heute über die Möglichkeiten der EU, die sozialen und ökonomischen Folgen der Covid-19-Krise zu mildern. … Warum sollte diese Aufgabe überhaupt eine Aufgabe der EU sein?

Die sozialen und ökonomischen Folgen der Covid-19-Krise sind in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. …die Sozialpolitik ist eine nationalstaatliche Aufgabe, und dort gehört sie auch hin. Jeder Staat muss und kann seine eigene Antwort auf die sozialpolitischen Herausforderungen geben.

Was Sie hier tatsächlich betreiben, ist etwas ganz anderes und läuft der nationalstaatlichen Souveränität eklatant zuwider. Sie gerieren sich hier als generöse Retter, nur um die Verfügungsgewalt über weitere Finanzmittel zu erlangen und damit Ihre eigene Macht auszubauen. Auf diese Weise streben Sie letztlich nur danach, den Weg zur Eigenstaatlichkeit der EU zu ebnen, und nutzen dazu ganz gezielt die Covid-19-Krise. … Der Wettbewerb um die beste Lösung ist allemal besser als eine falsche zentralistische Strategie für alle.“ …

04

Instrumentalisierung von Kindern durch „Querdenken 711“ verhindern. Das Deutsche Kinderhilfswerk e.V. verurteilt die deutschlandweiten Aktionen der Initiative „Querdenken 711“ vor Schulen gegen das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung auf das Schärfste. „… Kinder (sollen) auf dem Schulweg angesprochen werden, und ihnen eine unwirksame Maske mit einem Logo der Initiative und eine CO2-Messung unter dieser Maske angeboten werden, um auf die angebliche Gefährlichkeit und Unwirksamkeit der Masken hinzuweisen. Das ist … eine perfide Instrumentalisierung von Kindern zur Durchsetzung politischer Interessen. Dem muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln ein Riegel vorgeschoben werden“, betont Präsident T. Krüger und ruft alle Eltern in Deutschland dazu auf, ihren Kindern den Rücken zu stärken, damit sie sich nicht verunsichern lassen. … „Wir fordern die Verantwortlichen der Initiative ‚Querdenken 711‘ unmissverständlich auf: Finger weg von unseren Kindern!“

4.11.20 www.dkhw.de

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Kinderbuchautorin lehnt Preis des Vereins Deutscher Sprache ab. Die Hamburger Ehrenbürgerin und Autorin ausgezeichneter Kinderbücher Kirsten Boie weigert sich, den „Elbschwanenorden“ 2020 des Vereins Deutsche Sprache anzunehmen. In einem Brief, aus dem das „Hamburger Abendblatt“ (24.11.) zitiert, nennt sie rechtspopulistische Äußerungen des Bundesvorsitzenden und die „eher puristische Auffassung von Sprache“ als Grund. So spricht der Bundesvorsitzende Krämer von „Meinungsterror unserer weitgehend linksgestrickten Lügenpresse“ oder von „Überfremdung der deutschen Sprache“. „Ich glaube, der VDS hat sich in mir geirrt. Das ist kein Verein, von dem ich einen Preis annehmen möchte.“