Politische Berichte Nr. 6/2020 (PDF)24
Rechte Provokationen – demokratische Antworten

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Hamburg: Erfolgreiche Klage gegen Racial Profiling

Christiane Schneider, Hamburg

Seit 2016 wohnt Barakat H. auf St. Pauli. Seit 2016 gerät er mehr oder weniger regelmäßig in die Kontrollen, die die Task Force Drogen in St. Pauli, dem in großen Teilen zum „gefährlichen Ort“ erklärten Stadtteil, bei ihrer Jagd auf Kleindealer durchführt oder solche, die sie dafür hält. Schon 2016 hatte er nach einer dieser Kontrollen die Stadt wegen Racial Profiling verklagt und Recht bekommen. Zwar erließ die Polizei daraufhin eine interne Dienstanweisung, nach der als Anwohner:innen erkennbare Personen nicht mehr kontrolliert werden sollen. Geändert hat sich nichts. Daraufhin erhoben Barakat H. und seine Anwält:innen Carsten Gericke und Conny Ganten-Lange erneut Klage, in der sie den schon entschiedenen Fall noch einmal aufgriffen und drei weitere, besonders eklatante Fälle hinzufügten.

Am 10. November hat das Hamburger Verwaltungsgericht nach drei langen, zähen Verhandlungstagen der Klage weitgehend stattgegeben und die Rechtswidrigkeit von drei der vier Polizeikontrollen festgestellt. Lediglich in einem Fall hielt das Gericht die Rechtmäßigkeit der Kontrolle mit ausreichender Wahrscheinlichkeit gegeben; in diesem Fall zog der Kläger die Klage zurück. Da es unmöglich ist, auch nur die wesentlichsten Inhalte der drei Verhandlungstage wiederzugeben, will ich mich auf eine kurze Darstellung zweier Kontrollereignisse und auf einige Eindrücke beschränken.

Zu Wort kamen neben dem Kläger vor allem Polizeizeug:innen. Man kann diese Zeug:innen, die alle an den Kontrollen und an weiteren Schikanen – Durchsuchung, teils Fesselung, Abtransport ins Kommissariat – beteiligt waren, nicht in einen Topf werfen. Es gab den Polizeizeugen, der kaum noch Erinnerungen an die über zwei Jahre zurückliegende Kontrolle hatte, aber eines noch wusste: Er hatte Barakat H. und seinen Freund passiert, die beiden „gescannt“, wie er sich ausdrückte, und keinen Anlass für eine Identitätsfeststellung gesehen.

Aber es gab eben auch seinen Kollegen, der hinter ihm ging und zur Kontrolle schritt. Als Begründung gab er an: Die beiden, die vom Sport kamen, noch eingekauft hatten und nach Hause wollten, hätten sich verdächtig oft umgedreht, beim Anblick der Polizeistreife ihre Schritte beschleunigt und außerdem an ihren Sporttaschen herumgefummelt. Der Kläger sah keinen Grund, seine Papiere zu zeigen, es kam Verstärkung, die Sporttasche von Barakat H. wurde durchsucht. Um weitere Eskalation zu vermeiden, zeigte er schließlich seine Papiere, und nach ihrer Überprüfung konnten die beiden weitergehen.

Eine weitere Kontrolle im April 2018 verlief noch grotesker. Nachdem er abends einen Freund zur S-Bahn gebracht hatte, befand sich Barakat H. auf dem Heimweg, als eine Streife seine Papiere zu sehen verlangte. Barakat weigerte sich hinhaltend, man drohte, ihn mit aufs Revier zu nehmen, Verstärkung wurde geholt, und als ihm ein Polizist mit Gewalt das Portemonnaie mit den Papieren abnahm, zerriss er dabei die Kette, mit der es seinem Gürtel befestigt war. Der Kläger wurde aufs Revier verschleppt und musste ca. 20 Minuten in Handschellen warten, bis die Polizei festgestellt hatte, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen Anwohner handelte. Warum hatte die Polizist:innen ihn überhaupt kontrollieren wollen? Der Polizist, der die Kontrolle eingeleitet hatte, will vorher drei Männer eng zusammenstehend gesehen haben, darunter „zwei Schwarzafrikaner“. Sie seien, als sie die Streife sichteten, schnell auseinandergelaufen, dabei sei Barakat H. auf ihn zugekommen. Seine Kollegin hatte die Gruppe nicht bemerkt, erinnerte sich aber, dass der Kläger auf sie „zugeschlendert“ sei.

Hier konstruiert, wie in dem zuvor kurz geschilderten Fall sein Kollege, der für die Kontrolle verantwortliche Polizeibeamte ein „konspiratives Verhalten“ des Kontrollierten, das die Rechtmäßigkeit der Kontrolle begründen soll. Die überdetaillierten Erinnerungen der handelnden Polizist:innen, was den angeblichen Anlass der Kontrollen angeht, kontrastierten in allen Fällen mit totalen Erinnerungslücken in Bezug auf alle weiteren Umstände. Konnte sich die Polizeibeamtin in ihrem ersten Bericht über die Kontrolle an die Kleidung des Kontrollierten nicht mehr erinnern, fiel ihr Monate später bei einer weiteren, vom Polizeijustiziariat angeforderten Stellungnahme ein, dass Barakat H. „weite Kleidung“ getragen habe, wie dies Dealer ihrer Erfahrung nach häufig zu tun pflegten. Es war schmerzhaft, manchen Aussagen zuzuhören.

Das Gericht hat die Schilderungen in Zweifel gezogen und keine ausreichenden Anhaltspunkte darin gefunden, die vom Kläger ausgehende Gefahr als gegeben anzunehmen. Deshalb waren die Kontrollen nach Auffassung des Gerichts rechtswidrig.

Einige Schlussfolgerungen

Die Studie zu strukturellem Rassismus in der Polizei ist dringend notwendig. Es geht bei dieser Studie nicht einfach nur um rassistische Einstellungen von Polizeibediensteten, sondern um Strukturen in der Polizei, die rassistisch diskriminierende Praktiken begünstigen. Zum Beispiel: Es dürfte wohl keine Anweisung geben, wonach „Schwarzafrikaner“ grundsätzlich zu kontrollieren sind, aber es gibt, das ergab auch die Zeugenbefragung, ein vermeintliches „Polizeiwissen“, demzufolge Drogendealer häufig „Schwarzafrikaner“ und „Schwarzafrikaner“ häufig Dealer sind. Das macht „Schwarzafrikaner“ potenziell verdächtig. Verhaltensweisen, die bei anderen gar nicht auffallen würden, werden bei „Schwarzafrikanern“ als „konspirativ“ gedeutet (wenn nicht gleich als Legitimation für Kontrollen dazu gedichtet). Befragt, was er denn meint, wenn er „Schwarzafrikaner“ sagt, ob zum Beispiel ein schwarzer Deutscher oder ein schwarzer Engländer „Schwarzafrikaner“ sei, antwortete der Polizeizeuge, ohne zu zögern, mit Ja. In dieser Denkstruktur sind schwarze Menschen „Schwarzafrikaner“ und werden damit als Fremde, Nicht-Dazugehörige gedeutet. Die Kontrolle macht das ihm und der Gesellschaft deutlich. Das ist, ob bewusst oder unbewusst, rassistische Diskriminierung. Es gibt weitere strukturelle Probleme: vor allem gesetzliche Regelungen, die zu (faktisch) anlasslosen Kontrollen ermächtigen, begünstigen Rassismus. So die Einrichtung von „Gefahrengebieten“ bzw. „gefährlichen Orten“.

Ein Problem scheint mir in der Aus- und Weiterbildung und in der mangelnden Fehlerkultur der Polizei zu liegen. In den europäischen Gesellschaften mit ihrer Kolonialgeschichte sind rassistische Wahrnehmungs- und Deutungsschemata (wie „Schwarzafrikaner“ als Synonym für Schwarze) gang und gäbe und nur durch ständige Sensibilisierung für und Auseinandersetzung mit ihnen zu überwinden. Geschieht das nicht, verfestigen sie sich in der alltäglichen Praxis. Die beiden Polizeizeug:innen im zuletzt geschilderten Fall waren zum Zeitpunkt der Kontrolle knapp Mitte 20. Die Polizei wäre verdammt noch mal dazu verpflichtet, ihnen Unterstützung bei der kritischen Verarbeitung ihrer täglichen Praxis zu bieten. Stattdessen hat die Behörde zwar eine interne Dienstanweisung erlassen, wonach Anwohner:innen vor Kontrollen geschützt werden sollen – aber in den Dienststuben war nach einhelliger Aussage aller Zeug:innen davon bisher noch nie die Rede.

Andernorts sind Instrumente u.a. gegen Racial Profiling entwickelt worden, gegen die sich (nicht nur) Hamburg bisher noch heftig sträubt. Dazu gehört eine unabhängige Beschwerdestelle mit Kontrollbefugnissen, die rassistisch Diskriminierten einen leichteren Zugang zu Aufklärung und Unterstützung bietet. Sinnvoll scheint auch, dass zukünftig auf Verlangen des Betroffenen der Anlass der Identitätsfeststellung schriftlich bescheinigt werden muss. Eine solche Bescheinigung müsste neben Ort, Zeitpunkt, Dienstnummer auch die Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung und die personenbezogenen Anhaltspunkte, die die Kontrolle veranlasst haben, benennen.

Nach dem Ende des Verfahrens erzählte Barakat beim Verlassen des Saals, dass gerade erst wieder, direkt vor seiner Haustür, Polizist:innen seine Papiere verlangt hatten.

Abb. (PDF): Solidarischer Protest am ersten Verhandlungstag vor dem Gerichtsgebäude