Politische Berichte Nr. 6/2020 (PDF)31a
Kalenderblatt

21. August, 1867, Großbritannien – Schranke des Arbeitstags für Alle Thomas Macaulay im Parlament Der Kampf um den Normalarbeitstag Magna Charta? Zeitleiste

Magna Charta?

Martin Fochler, München. Zu Marx‘ Zeit standen der politischen Öffentlichkeit Europas die despotischen Machtansprüche absoluter Monarchie noch vor Augen. Erst im Verlauf des Revolutionsjahres 1789, der Sturm auf die Bastille am 14. Juli ist bis heute in Frankreich Nationalfeiertag, hatte die Nationalversammlung die Lettres de Cachet geächtet, durch die die französischen Könige Untertanen per Geheimbefehl und auf unbestimmte Zeit inhaftieren konnten.

Die breite Kritik des Despotismus berief sich auf eine lange Tradition. Bereits 1215 war dem englischen König Johann Ohneland von den Häuptern des rebellierenden Adels unter dem Stichwort Magna Charta ein Vertragswerk aufgezwungen worden, das unter anderem den berühmten Artikel 39 (in späteren Fassungen Artikel 29) enthielt:

„Kein freier Mann soll verhaftet, gefangen gesetzt, seiner Güter beraubt, geächtet, verbannt oder sonst angegriffen werden; noch werden wir ihm anders etwas zufügen, oder ihn ins Gefängnis werfen lassen, als durch das gesetzliche Urteil von Seinesgleichen oder durch das Landesgesetz.“ (Wikipedia)

Der Vorgang selbst belegt, dass der Herrscher nicht von Gott eingesetzt wurde, sondern durch einen Vertrag mit einem Kreis privilegierter Untertanen. Die Charta zieht der Machtausübung gegenüber den „Freien“ Grenzen, die zu überschreiten Thron und Leben kosten kann. Der Kreis der „Freien“ ist im Europa des 13ten Jahrhundert klein, der Status aber verlockend. Die politischen Rechte der „Freien“ mögen dürftig erscheinen, lösen aber bei diesen den Wunsch nach Ausweitung und bei den vielen den nach Gleichstellung aus. So gilt die Magna Charta in der öffentlichen Meinung des 19ten Jahrhunderts als Anfang vom Ende der Despotien. Die bürgerlichen Aufklärer mochten sich Abhängige (in Arbeit wie in der Familie) als Träger politischer Freiheiten und Quelle politischer Ideen nicht einmal vorstellen, aber die Bewegung für den Normalarbeitstag und für freie Zeit erledigt dieses beschränkte Denken. Freie Zeit – immer in Verbindung mit einem auskömmlichen Lohn gefordert – ermöglicht Lohnabhängigen einen selbständigen Blick auf Arbeitsleben und politische Verhältnisse.

Beeindruckt vom langen Atem, weltweiter Verbreitung und massenhaftem Zustrom sieht Marx in der Bewegung für den gesetzlich geregelten Normalarbeitstag eine politische Kraft. Aus der Kritik ihrer Daseinsbedingungen kommt die Bewegung zu politischen Konzeptionen und kommt im Kampf um die Gesetzgebung zu Erfolgen. Der gesetzlich geregelte Normalarbeitstag ist ein Schritt der materiell sozialen wie der politischen Emanzipation, der zur Diskussion, Kritik, Organisation und Verwirklichung führt, dem weitere Schritte folgen werden.