Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)05
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Spanien: Mit den Hilfen aus den EU-Fonds raus aus der Krise?

1 Befürchtungen und Forderungen der Gewerkschaften

2 Wahl in Katalonien: Sozialisten stärkste Partei, aber absolute Mehrheit für Pro-Unabhängigkeitsparteien

Claus Seitz, San Sebastián

Im Gefolge der Covid-19-Pandemie erlitt die spanische Wirtschaft 2020 ihren stärksten Einbruch seit 85 Jahren (Bürgerkrieg 1936) mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts um elf Prozent und einer Steigerung der Arbeitslosigkeit auf 16,3% (+ 623 000). Die Industrie verlor 4,3%, Dienstleistungen 9,8%, die Bauindustrie 18,2%, innerhalb der Dienstleistungen Handel, Transport, Hotel und Gastronomie 20,4% und künstlerische Aktivitäten 31,5%.

Schlimmeres wurde durch die Maßnahmen der EU (Aufhebung der Defizitbegrenzung, …), durch Gegensteuern mit Kurzarbeit und Krediten (120 Milliarden Euro bis Ende Januar) verhindert. Nach einer leichten Erholung im vierten Quartal 2020 um 0,4% hat sich die Situation mit der dritten Pandemiewelle erneut verschärft. Mit Lockdowns und einer möglichst raschen Impfung hofft man vielleicht doch noch den Tourismus in der zweiten Jahreshälfte retten zu können. Der Horizont ist düster, ca. 700 000 verweilen in Kurzarbeit, viele Firmen stehen wegen hoher Schulden vor dem Konkurs. Schätzungen gehen von bis zu 20% Firmenkonkursen aus.

Das wiederum könnte sich zu einem Desaster für die Banken auswirken. Kredite allein helfen hier nicht mehr weiter.

Wirtschafts- und Finanzministerium, Nationalbank und Arbeitgeberverbände arbeiten zusammen an einem Schema zur Analyse, welche der vom Konkurs bedrohten Firmen Zukunftsaussichten haben und welche nicht, bis zu welcher Höhen Schulden tragbar sind und bis zu welcher Höhe Hilfen gewährt werden sollen. Direkthilfen mit weichen Kriterien wie in Deutschland, in Spanien als „Gießkannenprinzip“ bezeichnet, hält die Regierung angesichts des hohen Niveaus der spanischen Staatsverschuldung (96,7 % des BIP) für keinen gangbaren Weg.

Der Finanzsektor priorisiert Subventionen, die an Teilrückzahlungen geknüpft sind. Bis Ende Februar will die Regierung einen Plan zur Genehmigung bei der Generaldirektion für Wettbewerb der EU einreichen. Von zwanzig Milliarden Euro Direkthilfen ist die Rede. Allein die Gastronomie- und Hotelbranche fordert 8,5 Milliarden Euro.

Steuerung der Investitionsprojekte

Am 3. Dezember wurde der Staatshaushalt 2021, in den die ersten 27 Milliarden Euro aus den europäischen Wiederaufbau-Fonds und acht Milliarden Euro aus dem Fonds React EU einfließen sollen, vom Parlament mit großer Mehrheit angenommen (189 Ja-, 161-Nein-Stimmen).

Die Regierungskrise, die 2018 mit dem Sturz der von Korruptionsskandalen erschütterten Rajoy-Regierung (konservative Partei Partido Popular) begann und im Rücktritt der sozialdemokratischen PSOE-Minderheitsregierung nach verlorener Abstimmung über den Staatshaushalt 2019 ihre Fortsetzung fand, ist formell beendet. Die Möglichkeit für eine Fortsetzung der linken Regierungskoalition für den Rest der Legislaturperiode besteht.

Die Koalitionsregierung muss sich der Herausforderung um die Gewährung der Mittel aus den europäischen Fonds und ihrer erfolgreichen Umsetzung in Investitions- und Reformprojekte stellen, Projekte zur ökologischen und digitalen Modernisierung der spanischen Wirtschaft entwickeln, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger zu werden, Investitionen anzuziehen und qualifiziertere und besser bezahlte Beschäftigung zu generieren.

Vor Ende April müssen die Investitions- und Reformpläne bei der europäischen Kommission eingereicht werden. In den folgenden drei Monaten überprüfen europäische Kommission, Ecofin etc. die Pläne. Bei Genehmigung könnten die ersten Gelder ab Juli fließen. Danach wird die EU die Umsetzung der Investitionen und Reformen zweimal pro Jahr einer strengen Prüfung unterziehen.

Am 31. Dezember hat das spanische Parlament ein Dekret, das Strukturen und Prozesse bezüglich der europäischen Fonds regelt, genehmigt.

Die Steuerung der Investitionsprogramme soll über eine innerministerielle Kommission unter Vorsitz von Ministerpräsident Sanchez erfolgen. Strategische Projekte (PERTE), eine Art VIP-Pläne, sollen absolute Priorität erhalten. Über öffentlich-private Zusammenarbeit sollen die europäischen Fondsmittel um das Vier- bis Fünffache multipliziert werden.

Da in den Bereichen Umwelt, Energie, Transport, Erziehung, Gesundheitswesen, Wohnen und Wasserversorgung die Kompetenzen bei den regionalen Gemeinschaften liegen, werden ca. 54 % der Fondsgelder schließlich an die Regionen transferiert und dort in Projekten umgesetzt. Die Satzung der dafür zuständigen Sektor-Konferenz sah vor, dass Finanzministerium und Regionen über jeweils 19 Stimmen verfügten und bei Patt die Finanzministerin entscheiden konnte. Nachdem die autonomen Regionen (inklusive der PSOE-regierten) dies en bloc ablehnten, musste die Ministerin eine Revision zusagen. Außerdem musste sie sich darauf verpflichten, auch der Föderation der Gemeinden und Provinzen Rede- und Stimmrecht zu geben.

Andererseits versucht die Regierung über das Dekret, die Verwaltung zu modernisieren und die Verfahren zu beschleunigen, um die europäischen Fondsmittel so schnell wie möglich investieren zu können. Die öffentliche Verwaltung Spaniens gilt nach der italienischen als die veraltetste in Europa. Die Regierung animiert die autonomen Regionen zu einem vergleichbaren Vorgehen.

Der Kapazität der Regionen bei der Ausführung der Programme kommt hohe Bedeutung zu, da Verzögerungen bei der Ausführung zur Zurückhaltung der Mittel durch die EU führen können.

Für 2021 wird ein Anstieg der Beschäftigung um 200 000, davon 130 000 dank des EU-Wiederaufbaufonds, erwartet, vor allem im Handel, in der Industrie, im Bau, im Transportwesen und in der Planung (Ingenieure, Architekten, Berater). Die entscheidenden Impulse sollen Digitalisierung, Chipfertigung, Umstieg auf Elektroautos, ökologische Gebäuderenovierung, Ausbau von Eisenbahninfrastrukturen im Nahverkehr und im Mittelmeerkorridor setzen.

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EU-Fonds und Arbeitsreform: Befürchtungen und Forderungen der Gewerkschaften

Die spanische Regierung hat Anfang Februar der EU-Kommission ein Reformpaket mit insgesamt 170 geplanten Maßnahmen übergeben. Die Arbeitsreform der konservativen PP-Regierung 2012 legte u.a. den Vorrang von Firmen- gegenüber Branchen-Tarifverträgen fest und hebelte die Nachwirkung von Tarifverträgen aus. Im Koalitionspakt wurde die Wiederherstellung des Vorrangs der Branchentarifverträge und der Nachwirkung der Tarifverträge vereinbart. Dennoch wollte Wirtschaftsministerin Calviño die Arbeitsreform der PP-Regierung im Text an die EU-Kommission unangetastet lassen.

Der nach Protesten von UP (Linkspartei Unidas Podemos) und den Gewerkschaften überarbeitete Text spricht die Themen jetzt an, ohne sich explizit zu positionieren: „Ziel ist, die Kollektivverhandlungen an die Notwendigkeiten der Firmen und der Branchen anzupassen und ein ausgewogenes System der Arbeitsbeziehungen auf nationaler Ebene zu strukturieren.“ Dafür wird die Regierung Aspekte wie die „Nachwirkung von Tarifverträgen und die Beziehung zwischen Firmen- und Branchen-Tarifverträgen“ in Angriff nehmen.

Vor dem Dachverband der Gewerkschaft CCOO berichtet ihr Vorsitzender Sordo, dass die Behauptung verbreitet würde, die Mittel aus den europäischen Fonds würden nur gewährt, wenn die sozioökonomischen Reformen aus der Austeritätsperiode erhalten und vertieft würden (insbesondere die Arbeits- und Rentenreform).

„Wir müssen diese Vorstellungen bekämpfen, erstens weil sie nicht stimmen, zweitens weil sie darauf abzielen, die Reformagenda der nächsten Zeit Bedingungen zu unterwerfen, und drittens, weil sie einen sehr gefährlichen Keim der Delegitimierung der Demokratie beinhalten, für den Fall, dass sich in Spanien eine neue Situation externer Einmischung ergibt.“

Abb.: Landesweiter Protesttag der Gewerkschaften UGT und Comisiones Obreras am 11. Februar: Aus dem Aufruf: „Die europäischen Fonds müssen dazu dienen, die wirtschaftliche Basis des Landes zu verbessern, aber in der Weise, dass sich dies auf die die gesamte Gesellschaft positiv auswirkt, über die Entgelte, die Beschäftigung, die Steuergesetzgebung und die öffentlichen Dienste. Deshalb sagen wir jetzt, es ist Zeit für gute Arbeit und für stabile Arbeitsverträge. Es ist jetzt Zeit für eine gerechte Neuregulierung, die Segmentierung, prekäre Arbeitsbedingungen und Subverträge zum Zweck der Kosteneinsparung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verhindert. Es ist jetzt an der Zeit, die Renten zu verbessern und die Abmachung, dass zum Ende der Legislaturperiode der Mindestlohn 60 % des Durchschnittsentgelts beträgt, fest zu machen.“

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Wahl in Katalonien: Sozialisten stärkste Partei, aber absolute Mehrheit für Pro-Unabhängigkeitsparteien

14.2.21. Bei der Wahl in Katalonien siegen die Sozialisten (PSC) (+16 Sitze). Die drei Pro-Unabhängigkeitsparteien ERC, JxCat und CUP stärken ihre absolute Mehrheit in Sitzen (+4) und erreichen erstmals die absolute Mehrheit der Stimmen, dies allerdings bei einer um über 25 Prozentpunkte auf 53,55% gesunkenen Wahlbeteiligung. Ciudadanos, Liberale, 2017 stärkste Partei, erlebt erneut ein Debakel und verliert 30 seiner 36 Sitze. Die konservative PP kann davon nicht profitieren, verliert sogar einen Sitz. Stärkste Partei auf der Rechten wird erstmals die rechtsradikale VOX, die mit 11 Sitzen in das Parlament einzieht.

Die Sozialisten hatten ihren Gesundheitsminister Illa, der auf Grund seines sachlich ruhigen Stils bei der Steuerung der Maßnahmen gegen die Pandemie Ansehen erworben hatte, aus der Regierung abgezogen und als Spitzenkandidaten aufgeboten. Die Strategie ging auf, die Sozialisten konnten viele ehemalige Ciudadanos-Wähler anziehen. Da der Triumph der Sozialisten gleichzeitig nicht auf Kosten von Comú Podem ging, die ihre acht Sitze verteidigen konnten, geht die spanische Regierung stabilisiert aus den Wahlen hervor.

Kommt hinzu, dass Esquerra (ERC), die mit dem Kurs der einseitigen Unabhängigkeitserklärung gebrochen hat, auf Dialog setzt und im spanischen Parlament die Linkskoalition bei ihrer Investitur und beim Staatshaushalt 2021 unterstützt hat, knapp vor der Puigdemont-Partei JxCat erstmals stärkste Partei im katalanisch-nationalistischen Lager wurde. ERC würde damit bei einer Neuauflage der Regierungskoalition den katalanischen Regionalpräsidenten stellen. Einfach wird diese Regierungsbildung nicht werden, da der Bruch zwischen ERC und PxCat sehr tief ist und die neue Regierung von den Stimmen der antikapitalistischen CUP (+ 5 Sitze) abhängen würde. Über die einzig mögliche Regierungsalternative ERC-PSC-Comú (zusammen ebenfalls 74 Sitze), für die sich Comú Podem einsetzt, zu spekulieren, ist derzeitig müßig, da PSC und ERC dies beide ausgeschlossen haben.

Im rechten Lager ist die PP mit ihrer Strategie, VOX in Regierungen auf regionaler Ebene einzubinden, im spanischen Parlament auf Fundamentalopposition zu setzen und jegliche konstruktive Zusammenarbeit zu verweigern, schwer angeschlagen.

Abb.: Tabelle, Wahlergebnisse Resgionalwahl Katalonirn