Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)07
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Die WHO nach dem Wiedereintritt der USA – Globaler Ansatz für die Pandemiebekämpfung erforderlich

Christiane Schneider, Hamburg

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt unterzeichnete US-Präsident Biden ein Schreiben, mit dem er den von Trump verfügten Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation WHO zurücknahm, der sonst im Juli wirksam geworden wäre. Das war ein wichtiger Schritt, auch weil die WHO mit dem Rückzug der USA ihren größten einzelnen Geldgeber verloren hätte.

Eine der wesentlichen Grundlagen der 1948 gegründeten WHO ist die Einsicht, dass die „Ungleichheit zwischen den verschiedenen Ländern in der Verbesserung der Gesundheit und der Bekämpfung der Krankheiten, insbesondere der übertragbaren Krankheiten, eine gemeinsame Gefahr für alle“ bildet. (1) Diese schwerwiegende Ungleichheit aufzuheben sei, wie die WHO 1978 in der ebenfalls als grundlegend geltenden Erklärung von Alma Ata bekräftigte, gemeinsames Anliegen aller Länder (2). Der Austritt der USA hätte die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung gemeinsamer Gefahren weiter geschwächt. Doch die Probleme der UN-Sonderorganisation sind mit der Rücknahme des Austritts lange nicht gelöst. Die Corona-Pandemie legt bloß, wie notwendig eine grundlegende Reform der WHO ist.

Die WHO muss Unabhängigkeit zurückgewinnen

Seit die 194 Mitgliedsstaaten ihre Pflichtbeiträge 1993 auf Druck der USA eingefroren haben, ist die WHO zunehmend auf freiwillige Zahlungen angewiesen: von Mitgliedsstaaten, aber auch von Organisationen wie der Globalen Impfallianz GAVI, der Weltbank, der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung oder von großen Pharma- und Lebensmittelkonzernen. Die freiwilligen Zahlungen machen inzwischen über 75% des Etats aus. Dabei bestimmen meist die Spender, wofür die Gelder ausgegeben werden: selten für die Verbesserung der Gesundheitssysteme, oft zugunsten von Produkten der Pharmakonzerne. Das Einfrieren der Mitgliedsbeiträge führte schon bald, trotz vieler Erfolge z.B. im Kampf gegen Infektionskrankheiten, zum fortschreitenden Verlust der Unabhängigkeit der WHO und ihrer Bedeutung.

Die Entwicklung eines weltweiten Gesundheitssystems, das die Ungleichheit in einer verflochtenen Welt bekämpft, kam nicht voran. So wurde für die Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria der Globale Fonds eingerichtet, in dem die WHO nicht vertreten ist, dafür Unternehmen wie Coca-Cola, Öl- und Pharmakonzerne. Der mit mehr Geld als die WHO ausgestattete Global Fonds setzt, mit durchaus großem Erfolg, auf technologische Bekämpfung von Krankheiten, nicht aber auf Prävention und Stärkung der Gesundheitssysteme.

Eine andere Folge ist, dass die WTO Maßnahmen, die mit Interessen ihrer privaten Geldgeber kollidieren, oft nicht ergreifen kann. In den 1990ern stimmte die WHO auf Druck der USA dem sogenannten Trips-Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums zu, das verbindlich für alle Mitgliedsländer Patente bis zu 20 Jahre lang schützt.

Die WHO muss, so fordern es weltweit viele NGOs, ihre Unabhängigkeit zurückgewinnen. Dazu ist die Selbstverpflichtung der Mitgliedsländer zu deutlich höheren Beiträgen unerlässlich. Das betrifft nicht nur die wohlhabenden westlichen Länder, sondern auch Staaten wie Russland, China, Brasilien.

Impfstoff als „globales öffentliches Gut“

Kürzlich forderte der Generaldirektor der WHO in einem dringenden Appell eine gerechtere Verteilung des Covid-Impfstoffes. Der Konkurrenzkampf der westlichen Länder um den Impfstoff hat katastrophale Folgen. Diese Länder repräsentieren 14% der Weltbevölkerung, haben bisher aber mehr als die Hälfte der Impfstoffe aufgekauft. Der Großteil der Länder des Globalen Südens geht bisher leer aus. Viele afrikanische Länder werden nach Schätzungen frühestens im April 2022 erste Lieferungen erhalten. In anderen Ländern werden 2021 maximal zehn Prozent der Bevölkerung geimpft werden. Das von der Pandemie hart getroffene Südafrika muss für den bestellten Impfstoff mehr als zweieinhalb Mal so viel zahlen wie die EU.

Zu Beginn der Impfstoffentwicklung im April 2020 hatte Merkel noch dazu aufgerufen, Covid-Impfstoff als „globales öffentliches Gut zu behandeln“. Der Einspruch der Pharmaindustrie erfolgte prompt. Die WHO rief im Mai ergebnislos dazu auf, die Patente auf den Impfstoff in einen gemeinsamen Pool einzuspeisen. Dabei ist die zentrale Begründung der Konzerne – die hohen Entwicklungskosten – sachlich nicht haltbar: Die Haupttreiber der beispiellosen Forschungsanstrengungen zu Covid 19 seien, so Ärzte ohne Grenzen, Milliarden Steuermittel und Gelder aus Stiftungen.

Auch die Covid-Impfinitiative Covax, die für kostengünstige oder kostenlose Abgabe für eine gerechte Verteilung an arme und mittlere Länder sorgen soll, löst die Probleme nicht. Der internationale Fonds ist unterfinanziert, die zugesagten Gelder sind noch nicht vollständig eingegangen. Bangladesch zum Beispiel mit einer Bevölkerung von über 160 Millionen soll zunächst gerade einmal knapp 13 Millionen Impfdosen erhalten. Erst die Freigabe des Patentschutzes wird es ermöglichen, den Impfstoff in vielen Ländern günstig zu produzieren. Das würde die Produktion enorm ausweiten, den Impfstoffpreis senken und die Bekämpfung der Pandemie entscheidend voranbringen. Denn eines ist klar: In einer Weltgesellschaft wird die Pandemie nur besiegt, wenn sie überall besiegt wird.

Deshalb haben Indien und Südafrika einen neuen Anlauf unternommen und beantragt, die Trips-Bestimmungen zum Patentschutz für einschlägige Impfstoffe, Diagnostika und andere Technologien wie Beatmungsgeräte, Masken für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Entsprechende Maßnahmen hatten vor zwanzig Jahren die Wende im Kampf gegen Aids gebracht. Die von einigen UN-Organisationen unterstützte Initiative wurde im Dezember von den WHO-Mitgliedern erstmals beraten. Notwendig ist auf jeden Fall eine Dreiviertelmehrheit. Zwar unterstützen über hundert Mitgliedsstaaten und damit mehr als die Hälfte den Vorstoß. Die EU, USA, Kanada, Japan und andere lehnen sie jedoch vehement ab.

Weltweit wird die Initiative von vielen NGOs unterstützt, hier vor allem von Ärzte ohne Grenzen. Im EU-Parlament setzen sich neben der Linken auch viele Sozialdemokraten dafür ein. Die Europäische Bürgerinitiative sammelt Unterschriften unter eine Petition an die EU-Kommission. Die Linke hat einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht, der in den Gesundheitsausschuss überwiesen wurde. (3) Medico International sammelt zusammen mit anderen NGOs Unterschriften unter einen Aufruf: die Aufhebung des Patentschutzes für alle unentbehrlichen Medikamente. Unter anderem solle ein globaler Patentpool bei der WHO für die einfache und kostengünstige Handhabung von Lizenzverträgen eingerichtet werden. (4)

1 Verfassung der WHO von 1946, s. www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1948/1015_1002_976/de

2 https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0017/132218/e93944G.pdf

3 Drs. 19/25787

4 Hier kann unterschrieben werden: www.patents-kill.org/ deutsch/

Abb.: Logo Unfaires Patentsystem ..