Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)11
Hochhausbau

München: Eine Stadt sucht nach ihrer Bestimmung Tossehof in Gelsenkirchen: Teure Korrektur eines Irrwegs der 1960er Duisburg: Wohnen im Hochhaus? Essen: Entwicklungskonzept statt Hochhaus-„Wildwuchs“! Elbtower: Gigantismus à la SPD Kommunales Thema: Sozial wohnen

München: Eine Stadt sucht nach ihrer Bestimmung

Martin Fochler, München

Vor fast 20 Jahren kam es in München zu einem Bürgerentscheid, der Hochbauten eine Grenze von hundert Metern (Höhe der Türme der Frauenkirche) zog. Bei einer Wahlbeteiligung von 21,9% und 50,8% Ja-Stimmen wurde im November 2004 das erforderliche Quorum von zehn Prozent der Stimmberechtigten ganz knapp erreicht. Obwohl die Bindewirkung eines Bürgerentscheides nur ein Jahr beträgt, führte der Entscheid dazu, dass die Entwicklung der Stadt in den folgenden Jahren stürmischen Wachstums nicht in Richtung Hochhausstadt & Skyline ging. Inzwischen liegt jedoch der Plan vor, auf ein Areal nahe Schloss und Park Nymphenburg zwei mit 155 Metern geplanter Höhe die Silhouette der Stadt überragende Nadeln zu setzen. Ferner gibt es ein vom Planungsreferat eingeholtes Gutachten, das vorsieht, das Stadtgebiet nach Quartieren zu gliedern, die durch so bezeichnete Hochpunkte markiert würden. So steht die durch Bürgerentscheid gesetzt 100-Meter-Regel zur Debatte. Grüne und Linke fordern, dass eine Änderung dem entsprechend ebenfalls der Bürgerschaft zur Abstimmung vorgelegt wird.

Bessere Flächennutzung durch Hochhausbau?

Der Verzicht auf die Krönung des Stadtbildes durch eine Skyline hat die Anziehungskraft der Stadt als Wirtschafts- und Lebensort nicht gemindert. Die Stadt ächzt unter steigenden Miet- und Immobilienpreisen und Flächenknappheit. Könnten die knappen Flächen durch Hochhausbau besser genutzt werden? Auf die Grundfläche des Bauwerks bezogen bringt Hochhausbau eine größere Nutzfläche. Betrachtet man aber die Stadtfläche, zeigt sich, dass Verkehrsanbindung, Ver- und Entsorgung, Feuerwehrzufahrten und Einrichtungen der Daseinsvorsorge dazugehören. Die höhere Verwertung des privaten Grundstücks verbraucht öffentlichen Raum. Eine Antwort auf Flächenknappheit in Ballungsräumen ist der Hochhausbau nicht. Allerdings macht der Grundstückspreis einen seit Jahren steigenden Anteil der Baukosten aus. Hier kann „höher Bauen“ schon günstiger sein. Wenn es aber in die Höhe geht, muss schon ab fünf, sechs Stockwerken der erhebliche (und mit jedem weiteren Stock steigende) Aufwand berücksichtigt werden, Statik, Aufzugstechnik, Fluchtwege, Wasser und Abwasser. Auch der Verbrauch von Baumaterial pro Nutzeinheit wächst mit jedem Höhenmeter überproportional und die Unterhaltskosten wachsen mit. Auch wenn man die Grunderwerbskosten herausrechnet ist Hochhausbau weder preiswert noch nachhaltig. Es fragt sich, was dieser Bautyp besonderes leisten kann.

Symbol und Funktion – Was kann der „Wolkenkratzer“ exklusiv leisten?

Die Hochbauten der Moderne entstehen in den Handelszentren der neuen Welt. Technische Komponenten, Aufzugtechnik aus dem Bergbau, Rahmenbauweise in Stahl und Beton ermöglichen den Bau hochragender Verwaltungszentren. In Hafenstädten wie z.B. New York oder San Franzisko bildet die Skyline eine Landmarke, die sich Ankommenden unvergesslich einprägt und den Ort als Platz des Welthandels, des Weltgüterverkehrs und der Hochfinanz ausweist. Vertikale Bauten können vertikale Hierarchien nachbilden, die Leitung kann den Untergebenen von oben herab sehr schnell nahetreten. In der Nachkriegs-BRD wurde dieser Bautyp als Gestaltungsprinzip in vielen Städten ausprobiert, so richtig eingeschlagen hat die Sache nur in Frankfurt am Main. Am Schnittpunkt europäischer Verkehrswege gelegen war dieser Ort schon in der frühen Neuzeit Marktplatz des Fernhandels, der Messen und des damit verbundenen Finanzierungswesens. Heute zeigt die Frankfurter-Banken-Skyline an, dass sich die im Weltmaßstab kleine Metropole mit der heutigen globalen Arbeitsteilung als Standort des Finanzsektors behauptet.

Anders München. Die Landeshauptstadt hat sich auf ihren Weg in die Moderne als Standort von Wissenschaft, Kultur, gewerblicher Fertigung und Marktplatz für Konsumgüter behauptet. Für die Organisation dieser Leistungen ist der extreme Hochbau nicht das Mittel der Wahl, die klassische Fabrik, in der schwere Güter bewegt werden müssen, entfaltetet sich besser in der Fläche, und das gilt auch für Einrichtungen der Kultur und Bildung, die massenhaften Publikumsverkehr bewältigen müssen.

So hat der Verzicht auf eine Skyline die Anziehungskraft Münchens nicht gemindert, während umgekehrt die markante Skyline Frankfurt a.M. bei der Bewerbung als Sitz der Europäischen Zentralbank geholfen haben mag.

Metropolenkern im Funktionswandel

Bedeutungsverlust der klassischen Fabrik. Die Ballung großer Menschenmassen auf nahem Raum wurde durch den Arbeitskräftebedarf zentralisierter Fertigungsstätten angetrieben. Seit einigen Jahrzehnten schon werden weltweit große Industrieflächen frei. In München ist z.B. die „Siemensstadt“, in der auf einem riesigen Areal Fertigung, Planung, Leitung, Wohnanlagen, Freizeiteinrichtungen kombiniert waren, untergegangen. IT-gestützte Kommunikationstechniken überbrücken Distanzen, arbeitsteiliges Zusammenwirken muss in zunehmende vielen Fällen nicht mehr durch Zusammenführen von Personen zur gleichen Zeit am selben Ort organisiert werden. Diese Entwicklung erzeugt ein rasantes Anschwellen von Kommunikation, ändert aber auch die Bewegungsmuster von Gütern und Menschen. Es entstehen metropolitane Räume.

Kaufhaus und internationale Ketten: Der Reiz verblasst. In der Nachkriegszeit erschloss der Versandhandel mit seinem Katalog- und Lieferwesen jeden Haushalt mit Postadresse Zugang ein breitestes Warenangebot. „Neckermann machts möglich!“ Es zeigte sich jedoch, dass die Kundschaft die Ware gerne sehen, anfassen, beschnuppern wollte. Als Metropolenkern ist das Zentrum Münchens von vielen Orten Südbayerns aus für einen Einkaufstag zu erreichen. So wurde die Innenstadt zur Auslage, die zeigt, was die Welt zu bieten hat. Das hat paradoxerweise zur hier wie anderswo vielbeklagten Gleichförmigkeit der Innenstädte beigetragen – Es scheint, also ob die Präsentation des Angebotes per Internet, verbunden mit schneller Lieferung, einfacher Zahlungsabwicklung und kulanten Rücknahmeversprechen diese Funktionen in erheblichen Teilen ablösen können. Es drohen Leerstände.

Hochspezialisierte Dienstleistungen, hochpreisige Angebote. In den Nischen, die zwischen den internationalen Lieferketten frei blieben, konnten und können Spezialangebote von Waren und Dienstleistungen auch ihren Platz finden: Luxusangebote, aber auch Büros für technisch-wissenschaftliche, juristische, finanzwirtschaftliche Dienstleistungen, medizinische Fachpraxen, Organisation internationaler Produktionen und Geschäfte. Solche Einrichtungen lösen Publikumsverkehr aus, eine gute Standortbedingungen für die Gastronomie, die Kultur und alle Arten des Vergnügens. Es ist interessant, dass viele der neuen Nutzungen gerade ins traditionelle Ambiente drängen. So hat Google in München den „Alten Postpalast“ erworben und will, wie es heißt, am äußeren Erscheinungsbild nicht ändern.

Bleibende Aufgabe: Schnittstelle zur Welt …

Metropolregionen, in die globale Arbeitsteilung des Weltmarktes eingebettet, benötigen eine Schnittstelle zum Weltmarkt, die Kernstadt muss die dazu nötige Infrastruktur anlegen und ertragen. Straßen- und Schienennetz, Flughafenanbindung, Funktionen im globalen IT-Netzwerk, sprach- und kulturvermittelnde Dienstleistungen, Stätten der Bildung und Ausbildung, internationale beachtete Veranstaltungen der Künste und des Sports. Ein solches Angebot macht den Metropolenkern auch als Entwicklungszentrum und Produktionsstandort zwar nicht exklusiv, aber attraktiv. Die Konzentration der modernen Lohnabhängigen auf das Berufsleben erzeugt einen großen Bedarf an öffentlichen Diensten etwa der Bildung und Erziehung, aber auch der Gastronomie. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass im Metropolenkern das gesamte Angebot beruflicher Fertigkeiten präsent sein und auskömmlich leben können muss.

München – Stadt im Land, Siedlung in der Landschaft

Der Trend zur Skyline steht für den Drang nach absoluter Beherrschung der Umwelt, wenn die Siedlung dementsprechend durchstrukturiert wird, entsteht ein Lebensraum aus technischen Bedingungen. Die Leute werden von den Naturbedingungen des Lebens getrennt, was ins Extrem getrieben schmerzlich als Verlust an Lebensqualität empfunden wird. München, im Vorland der Alpenkette gelegen, von der Isar durchflossen, dicht bebaut, aber mit Parks- und Grünflächen versehen, technisch und kulturell gut mit dem Land vernetzt, macht die Kombination von Stadtleben und Naturgenuss möglich. Wie die Metropole Menschen aus dem ganzen Land anzieht, lockt das Land die Städter, zum Vergnügen, aber, wenn Mobilität, Kommunikation und Nahversorgung stimmen, auch als Ort der Lebensgestaltung.

Standpunkte und weiterführende Quellen zur Münchner Hochhausdiskussion bei:

https://muenchner-forum.de/2020/standpunkte-6-7-2020-neue-hochhaeuser-fuer-muenchen/

Abb.: In der Tradition der Illusionsmalerei: Die Präsentation der zwei Bolzen bei münchen.de, https://www.muenchen.de/aktuell/2019-07/paketposthalle-neue-plaene-hochhaus-155-meter.html