Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)11
Hochhausbau

München: Eine Stadt sucht nach ihrer Bestimmung Tossehof in Gelsenkirchen: Teure Korrektur eines Irrwegs der 1960er Duisburg: Wohnen im Hochhaus? Essen: Entwicklungskonzept statt Hochhaus-„Wildwuchs“! Elbtower: Gigantismus à la SPD Kommunales Thema: Sozial wohnen

Tossehof in Gelsenkirchen: Teure Korrektur eines Irrwegs der 1960er

Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

Der ehemalige Bauernhof „Tossehof“ wurde am Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts mit 1.400 Geschosswohnungen, etwa die Hälfte davon Eigentumswohnungen, in bis zu 15 Stockwerken hohen Wohngebäuden sowie 100 Einfamilienhäusern bebaut. Er bot auf 1,5 Hektar Wohnraum für bis zu 5 000 Menschen zu einer Zeit, als die Wohnbevölkerung in Gelsenkirchen wegen des Zechensterbens bereits massiv schrumpfte (1959 fast 390 000 EW, 1975 322 000 EW).

Anfang der 70er Jahre fertiggestellt, war der Tossehof zunächst trotzdem ein beliebter, sozial gemischter Wohnort aus Arbeiter- und Mittelklasse. Er galt als modern gegenüber Altbauhäusern und Zechensiedlungen, liegt in grüner Umgebung am Rande eines Parks und gleichzeitig innenstadtnah. Mit dem Auftauchen der Arbeitslosigkeit als Massenphänomen in den achtziger Jahren kam es zu einer Ballung sozialer Probleme auf engstem Raum, von Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen. Die soziale Segregation setzte ein, auch durch Geschmacksveränderung in der Mittelklasse (modernisierter Altbau). So wurde der Tossehof insbesondere durch die Wohnanlage der städtischen ggw (Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft) im Kern der Siedlung zu einem „Problemviertel“. Zu Beginn der 2000er-Jahre entwickelte die Stadt deshalb ein Integriertes Handlungskonzept, das bauliche und soziale Maßnahmen miteinander verknüpfen sollte und aus vier Handlungsfeldern bestand: die Aufwertung des öffentlichen Raums, die Verbesserung des baulich-energetischen Zustands der Siedlung, die Modernisierung und den Rückbau der städtischen Wohnanlage sowie die Förderung des Miteinanders im Quartier durch ein Quartiersmanagement. Dabei wurden die Menschen vor Ort von Anfang an durch Informationsveranstaltungen und Workshops sowie der Einrichtung eines Beirates in den Prozess einbezogen und an den Planungen beteiligt. Von 2007 bis 2011 wurden von sieben Wohnblocks der ggw zwei vollständig abgerissen, die anderen fünf Wohnblocks von bis zu 13 Geschosse auf vier reduziert. Den Mietern wurde bei der Suche einer neuen Wohnung geholfen und bekamen eine Vorzugsbehandlung bei der Vermietung der neuen Wohnungen. Die anderen Maßnahmen – neue Kita, neuer Spielplatz, neue Grünwegeverbindungen und Außenanlagen, Quartierszentrum mit kleinem Supermarkt, Büros und Café – wurden 2016 beendet. 2014 bekam die Stadt den Stadtumbaupreis des Landes NRW. Finanziert wurde der Umbau des Tossehofes aus EU,-Bundes,- Landes- und städtischen Mitteln sowie aus Eigenfinanzierung der ggw. Mittlerweile ist der Tossehof wieder eine recht beliebte Wohngegend. Die Hoffnung, dass die öffentlichen Investitionen deutliche private Folgeinvestitionen nach sich ziehen würden, hat sich bisher aber nicht erfüllt. Deshalb ist es nicht absehbar, welche weitere Entwicklung der Tossehof nimmt. Fest steht, dass die Fehlplanung aus den 60er Jahren nur mit einem Riesenaufwand zum Besseren entwickelt werden konnte. Deshalb ist es gut, dass die späteren Planungen der Stadt in den 70er Jahren, die Bergbausiedlung „Flöz Dickebank“ für eine weitere Hochhaussiedlung abzureißen, am Widerstand der Bewohner scheiterterten und so der Stadt ein weiterer „Tossehof“ erspart blieb.